Eine antirassistische Kritik am Migrationspakt wäre nötig

Angriff auf globale Verpflichtungen

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Dass internationale Verhandlungen oft keine öffentliche Aufmerksamkeit erfahren, ist im Übrigen keine Besonderheit des UN-Migrationspakts, sondern vielmehr typisch für derlei Vereinbarungen. Rechtzeitig vor der Unterzeichnung in Marrakesch haben extreme Rechte wie die Identitäre Bewegung in Österreich und die AfD in Deutschland aber erkannt, welche Chance sich ihnen bietet. Sie verbreiten die Behauptung, durch den Pakt würde die Souveränität der Nationalstaaten in Bezug auf Grenzkontrollen und die Steuerung von Migration ausgehöhlt. Er verfolge das Ziel, schrittweise Grenzen zu öffnen. Doch davon kann keine Rede sein.

Vielmehr besagt der UN-­Migrationspakt, das Ziel sei ein »integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement«. Weder die Operationen der Grenzschutzagentur Frontex zur Flüchtlingsabwehr noch das Visumssystem werden durch den Pakt angetastet. Der UN-Migrationspakt stellt ferner klar, dass die Debatte über Migration auf der Basis nachweisbarer Fakten zu führen sei. Dass gerade diejenigen, die mit offensichtlichen Lügen gegen Migranten agitieren, damit nicht einverstanden sind, liegt auf der Hand. Ohnehin steckt hinter der Kritik der extremen Rechten noch ein anderes strategisches Ziel: Ihre Kampagne gegen den UN-Migrationspakt soll dazu beitragen, das Prinzip internationaler Abkommen anzugreifen, die zwar die nationale Souveränität achten, aber globale Verpflichtungen postulieren und so dafür sorgen könnten, die politische Realisierung der Vorhaben von völkischen Nationalisten zu behindern.

Falsch ist auch die Behauptung, der Pakt öffne die Tür für ein Menschenrecht auf Migration. Aus antirassistischer Sicht wäre das durchaus zu begrüßen, es lässt sich aber dem Pakt nicht entnehmen. An vielen Stellen fasst der UN-Migrationspakt nur die Rechte in einem Dokument zusammen, die heutzutage ohnehin in internationalen Verträgen festgelegt sind, zum Beispiel eine verpflichtende Seenotrettung, der Kampf gegen Menschenhandel oder die Sicherstellung von fairen Arbeitsverhältnissen.
Über bereits geltende Grundrechte geht der Pakt kaum hinaus. Als eine der wenigen Neuheiten sieht der Abschlussentwurf einen diskriminierungsfreien Zugang von Migranten zu basalen Leistungen vor, dazu zählen materielle Sozialleistungen, die Gesundheitsversorgung und Teilhabe an inklusiver Bildung.
Bezogen auf die Situation in Deutschland gibt es bereits ein Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, das in der Praxis sehr oft missachtet wird. Der Pakt könnte immerhin dazu taugen, diesem Grundrecht Geltung zu verschaffen.

Leider zeigt die Debatte über den UN-Migrationspakt, wie defensiv die Verteidiger der Rechte von Migranten und Flüchtlingen der rechtspopulistischen Agitation entgegentreten. In der Entwurfsversion steht explizit, das Dokument sei ein rechtlich nicht bindender Kooperationsrahmen, der das souveräne Recht der Staaten, ihre Migrationspolitik selbst zu bestimmen, nicht berührt. Auf diesen Aspekt wird in jeder Diskussion über den Pakt verwiesen, offenbar, um die Rechten zu beschwichtigen.

Genau an dieser Stelle müsste aber eine migrationsfreundliche und anti­nationalistische Kritik einsetzen, um verbindliche Rechte von Migranten einzufordern. Dafür liefert der Pakt, so beschränkt seine Wirksamkeit sein mag, strategische Optionen. Er sieht internationale Überprüfungsgremien vor, die die Umsetzung des Paktes in der staatlichen Praxis sicherstellen ­sollen. Auf diese Weise ließe sich ein Maßstab zur Bewertung staatlicher Praxis etablieren. Durch die Verteidigung solcher Evaluation und eine gleichzeitige Kritik der repressiven Aspekte des Paktes hätte man der Kam­pagne von AfD und anderen offensiv begegnen können. Doch zu vernehmen sind nur rechte Einwände und als Reaktion Beschwichtigungsversuche, während antirassistische Kritik am UN-Migrationspakt, die durchaus notwendig wäre, kaum geäußert wird.