Der Film »Jean Améry – Die Tortur«

Nicht mehr heimisch in der Welt

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Die Stimme Amérys, in der sich persönliche Erfahrung und objektive Analyse treffen, steht auch im Mittelpunkt des Films »Jean Améry – Die Tortur« von Dieter Reifarth, der jetzt auf DVD erschienen ist. Der Regisseur hat die Radioaufnahme von 1965 für den einstündigen Film genutzt, um zu der Stimme Amérys dokumentarischen Filmbilder zu zeigen. Ähnlich wie von Améry 1972 im Zusammenhang mit dem Spielfilm von Horst Bienek gefordert, konzentriert sich Reifarths Film ebenfalls auf die Räume, Mauern und Gitter, auf die Topographie des Ortes, an dem ­Améry als Gefangener gefoltert wurde. Diese Form der Reflexion über die filmische Annäherung an den Nationalsozialismus, das Nachdenken über die Unmöglichkeit der Bebilderung des Unvorstellbaren, ist nicht neu: Jeder Film von Claude Lanzmann zeugt davon. Doch Lanzmann zeigt sich stets als Teil des Dokumentierten, als Teil der Inszenierung in der Gegenwart, während sich Reifarth völlig zurücknimmt, den Text von Améry und die ruhigen Filmbilder für sich sprechen lässt. Mikko Linnemanns Filme »Kein Friede den Frevlern« und »Die Erde von Treblinka« über die Konzentrationslager Sachsenhausen und Treblinka funktionieren auf ähnliche Weise, auch dort sind es lange, ruhige Einstellungen der Orte, von denen die eingesprochenen Texte begleitet werden. Neben dem für »Jean Améry – Die Tortur« verwendeten Text sind auf der DVD auch die Tondokumente aller weiteren von Améry eingesprochenen Essays zu finden, wie auch ein umfangreiches Interview mit Amérys Biographin Irene Heidelberger-Leonard und der von Jochen Nix eingelesene Text »Die Festung Derloven«.

Die Festung Breendonk ist heute eine Gedenkstätte, wie Améry in seinem Essay zu Beginn erklärt: »Die Kuratoren des Nationalmuseums haben alles so gelassen, wie es von 1940–1944 war.« Die Kamera nähert sich dem Ort behutsam an, betrachtet ihn zunächst von außen, um dann Schritt für Schritt jenen Weg nach­zuvollziehen, den einst Améry zurücklegen musste: »Man tritt durchs Haupttor und befindet sich bald in einem Raum, der damals myste­riöserweise ›Geschäftszimmer‹ hieß. Dann die feuchten, kellerigen Korridore.« Der Essay »Die Tortur« habe eine Dramaturgie, die »es eilig hat«, erklärte Irene Heidelberger-Leonard, »eine Dramaturgie, die nicht chro­nologisch vorgeht, sondern eine, die im Zeichen des Zeitsprungs steht.« Umso stimmiger erscheint der Versuch des Regisseurs, den Text in die Gegenwart zu übersetzen, drei Zeit­ebenen – das von Améry beschriebene Jahr 1943, die Entstehungszeit des Textes Mitte der Sechziger und die Gegenwart – miteinander in Verbindung zu bringen. »Ich rebelliere«, hat Améry 1976 im Vorwort zur Neuausgabe von »Jenseits von Schuld und Sühne« festgehalten, »gegen meine Vergangenheit, gegen die Geschichte, gegen eine Gegenwart, die das Unbegreifliche geschichtlich einfrieren lässt und es damit auf empörende Weise verfälscht.« Diesem Einfrieren der Geschichte wirkt der Film entgegen, der die analytische Kraft und Wut des Textes unangetastet lässt, jedoch mit visuellen Eindrücken der Gegenwart koppelt. Man sieht Menschen, die sich individuell mit dem Ort auseinandersetzen, alleine, in Gruppen, die sich frei durch die Anlage bewegen, wodurch die von Améry beschriebene Unfreiheit und Hilflosigkeit mit noch größerer Wucht wirkt.

»Der erste Schlag bringt dem Inhaftierten zu Bewußtsein, daß er hilflos ist – und damit enthält er alles Spätere schon in Keime«, erklärt Améry in seinem Text die Wirkung der Folter, während der Film gleichzeitig diese Einsamkeit des Inhaftierten in einer Folge von Einstellungen spiegelt, die keine Menschen der Gegenwart zeigen, lediglich die heutzutage verlassenen Orte, an denen diese Gewalt einst möglich gewesen ist. »Jean Améry – Die Tortur« fügt dem Text lange Einstellungen aus den Räumen der heutigen Gedenkstätte hinzu, ergänzt um einige wenige historische Filmaufnahmen und Fotos, die davon zeugen, dass in Breendonk tatsächlich alles belassen wurde wie zur Zeit der deutschen Besatzung. »Nichts ist vernarbt, und was vielleicht 1964 schon im Begriffe stand zu heilen, das bricht als infizierte Wunde wieder auf«, schrieb Améry 1976 mit Blick auf »die alten Tölpel aus dem Lager der unausrottbaren Reaktion« wie auch seine »natürlichen Freunde, die jungen Frauen und Männer der Linken«, bei denen ­»unter dem Banner des Anti-Zionismus der alte miserable Antisemitismus sich wieder hervorwagt.« Der Regisseur Dieter Reifarth erinnert daran, dass es Améry in der Auseinandersetzung mit der an ihm verübten Folter nicht nur um die individuellen Folgen für ihn selbst ging, nicht ausschließlich um seinen Verlust an »Weltvertrauen«, sondern um das Nachleben des Nationalsozialismus, um die Wiederkehr des Untoten von rechts wie von links, die sich Améry immer wieder offenbarte, und die ihn die gleiche Ohnmacht verspüren ließ, wie einst im Folterkeller der Festung Breendonk.

»Ein stolzes Volk, immer noch«, erklärt er in seinem Essay »Ressentiments«. »Der Stolz ist ein wenig in die Breite gegangen, das sei zugegeben. Er beruft sich nicht mehr auf die heroische Waffentat, sondern auf die in der Welt einzig dastehende Produktivität. Aber es ist der Stolz von einst, und es ist auf unserer Seite die Ohnmacht von damals. Wehe den Besiegten.«

 

Jean Améry – Die Tortur. Regie: Dieter ­Reifarth. DVD erhältlich bei Absolut ­Medien.