Der Haushaltsstreit zwischen Italien und der EU geht in die nächste Runde

Warten auf das nächste Beben

Die EU-Kommission macht den Weg frei für ein Defizitverfahren gegen Italien. Das wird die Populistenregierung noch stärker machen.
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Am Mittwoch vergangener Woche ist die Frist abgelaufen. Drei Wochen Zeit hatte die italienischen Regierung, um ihren Haushaltsplan zu ändern, nachdem die EU-Kommission Mitte Oktober den ersten Entwurf abgelehnt und Korrekturen gefordert hatte. Der italienische Haushaltsplan stelle eine »beispiellose Abweichung von den Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspaktes« dar, begründete die Kommission diesen bisher in der Euro-Zone noch nie vorgenommenen Schritt. Die Antwort aus Rom war so deutlich wie erwartbar. In einem Schreiben an die Kommission verteidigte Finanzminister Giovanni Tria die Haushaltsziele seiner Regierung für das kommende Jahr – vor allem an den Plänen für höhere Ausgaben werde sich nichts ändern.

Theoretisch könnte die EU-Kommission jetzt ein Defizitverfahren einleiten. Ihr Vizepräsident Valdis Dombrovskis äußerte sich am Freitag voriger Woche entsprechend in der Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore. Das wäre ein erster Schritt, um der italienischen Regierung mehr Disziplin zu verordnen. Als letztes Mittel könnten die Finanzminister der Euro-Zone sich darauf einigen, Sanktionen gegen Italien zu verhängen – eine Entscheidung, die wenige Monate vor den Europawahlen eine große politische Tragweite hätte, denn die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sie euroskeptischen Parteien, nicht nur Italien, zu einem Erdrutschsieg verhelfen würde. Das dürfte ein wichtiger Grund sein, warum die EU-Institutionen sich derzeit mit der Kritik an Italien zurückhalten. Allerdings will die Kommission in diesen Tagen zum künftigen Umgang mit Italien Stellung nehmen. Bis Redkationsschluss am Dienstagnachmittag war das noch nicht passiert.

Während einer Fernsehtalkshow Anfang Oktober war Arbeitsminister Luigi Di Maio in dieser Hinsicht unerwartet ehrlich. »Wir müssen die EU dazu zwingen, den Haushaltsplan abzulehnen.«

Auffällig war jedenfalls, dass weder aus den Presseabteilungen der EU-Politiker noch von den bekanntlich leicht erregbaren Wirtschaftjournalisten deutscher Leitmedien das große Italien-Lamento zu vernehmen war – Ausnahme war hier erwartungsgemäß der Spiegel, der auf der Titelseite seiner letzten Oktoberausgabe verkündete: »Italien greift an. Europa droht eine neue Schuldenkrise«. Ob diese beiden Aussagen überhaupt stimmen und vor allem, ob sie in einem kausalen Zusammenhang stehen, darüber kann man sicher diskutieren. Mit der Aufregung stand der Spiegel jedenfalls ziemlich allein da.

Alles andere als im Angriffsmodus schien vor allem die italienische Regierung zu sein. Auf deren wichtigsten Kommunikationskanälen, den Facebook-Seiten und Twitter-Accounts der beiden stellvertretenden Ministerpräsidenten, fanden sich in den vergangenen Wochen weder europafeindliche Getöse und »Italiener zuerst!«-Rufe noch Hetze gegen Deutschland, die Europäische Zentralbank und die »EU-Eliten«. Als ein Zeichen der Vorsicht, gar der Angst vor der Reaktionen aus Brüssel ist dies allerdings nicht zu deuten. Die souveränistische Rhetorik kommt vielmehr erst dann zum Einsatz, wenn sie als Reaktion auf vermeintliche Angriffe der »Brüsseler Eliten« gegen das »italienische Volk« präsentiert werden und damit ihre ganze emotionale Sprengkraft entfalten kann. Der Blick ist stets auf die Wählerstimmen gerichtet. Wie auch immer die Antwort der EU-Kommission ausfallen wird, ein Ausstieg Italiens aus der Euro-Zone ist derzeit kaum zu befürchten.

Schon kurz nach der Unterzeichnung der Regierungsvereinbarung im Juni war klar, wozu die EU für die italienische Regierung da ist: als eine Projektionsfläche, die Konsens generiert. Während einer Fernsehtalkshow Anfang Oktober war Arbeitsminister Luigi Di Maio in dieser Hinsicht unerwartet ehrlich. »Wir müssen die EU dazu zwingen, den Haushaltsplan abzulehnen«, sagte er, um sich dann schnell zu korrigieren und zu versichern: »Wir wollen keine Kollision mit der EU, warten wir ab.« Worauf er wartet, sagte Di Maio auch und bezog sich nicht auf das Urteil der EU-Kommission zum italienischen Haushaltsplan, sondern auf die Ergebnisse der kommenden Europawahlen: »Die Kommission, die wir bisher hatten«, werde es »dann gar nicht mehr geben«. Das ist als Drohung zu verstehen.

 

aktualisiert am 22.November, 08:50