Diana Rosdolsky, Herausgeberin von »Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947«, im Gespräch

»Formen der Abwehr«

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Interview Von

Sorgte sich der Vater, dass die ­Beschäftigung mit Buchenwald seinen Sohn zu sehr mitnahm?
Ja, natürlich war Paul besorgt. Dabei lässt sich aber eine Ambivalenz feststellen. An manchen Stellen seiner Briefe ermutigt Paul seinen Sohn zu schreiben, weil es ihn sicher ent­lasten würde, andererseits wollte er nicht, dass er durchs Schreiben alles »gründlich wiederholt«. Damit ­bezog er sich auf Freuds Wiederholungszwang, nach dem Traumatisches zwangsweise wiederholt wird. Ich glaube, dass Ernsts Gemütsschwankungen zwischen Euphorie und Depression diese Ambivalenz unterstützten. Paul war nicht klar, ob das Schreiben Ernst gut tun würde oder nicht, da er nicht genau wusste, welche Gefühle und Stimmungen dadurch entstehen würden. In welchem Ausmaß Ernst seine KZ-Er­fahrungen verharmloste, ahnte Paul nicht.

Welche Rolle spielt Paul Federns Ich-Psychologie im Umgang mit seinem Sohn?
Sicherlich war der Umgang von der Psychoanalyse bestimmt. In den Briefen wirft Paul oft einen psychoanalytischen Blick auf die besprochenen Themen, wobei mir wichtig erscheint, dass er von seinem Sohn ein Interesse daran zu erwarten schien. Auch war sich Paul Federn bewusst, dass die Vater-Sohn-Beziehung nicht nur von Liebe, sondern auch von Rivalität geprägt ist. Dennoch würde ich nicht sagen, dass Pauls Ich-Psychologie seinen Umgang mit Ernst prägte. Die Ich-Psycho­logie wurde von ihm konzipiert, um Psychosen besser verstehen und ­behandeln zu können. Das hatte aber für seine Beziehung zu Ernst kaum Relevanz.

Was zeichnet Paul Federns Ich-Psychologie genau aus?
Sie zeichnet sich durch seine bestimmte Betrachtung des Ichs aus, wobei er Begriffe wie Ichgrenzen und Ichgefühl neu anwendete. Sie unterscheidet sich von der bekannten Ich-Psychologie von Hartmann, Kris und Löwenstein und scheint eine Art Werkzeug für ihn gewesen zu sein, mit psychotischen Menschen zu arbeiten. Darin vor allem unterscheidet sich Federn von an­deren Psychoanalytikern seiner Zeit, die fast alle Freuds Meinung teilten, dass man mit diesen Patienten psychoanalytisch nicht arbeiten könne.

Federn konnte mit seiner Methode aber tatsächlich erfolgreich mit psychotischen Patienten arbeiten. Auch die inzwischen vergessene psychiatrische Krankenschwester Gertrud Schwing hat sich bei ihrer Arbeit an seiner Theorie orientiert. Inwieweit Federn tatsächlich Patienten heilte, kann man nicht mehr nachvollziehen, dennoch scheint er vielen sehr geholfen zu haben. Er war auch sehr engagiert, ließ einmal eine Patientin bei sich wohnen und behandelte auch öfters in der eigenen Praxis, ohne Geld dafür zu verlangen.

Ernst Federn plante, ein Buch über das Verhältnis von Karl Marx und Sigmund Freud zu schreiben, wozu es allerdings nie kam und wovon sein Vater auch abgeraten hatte. In den Briefen über Ernsts Vorhaben wird deutlich, welchen Bruch die Shoah für das Denken Paul Federns bedeutete. Er, dem die USA Zuflucht geboten hatten und der dort mittlerweile assi­miliert war, betrachtete das Land mit anderen Augen als Ernst. Paul sympathisierte zudem mit dem Zionismus als Antwort auf die antisemitische Raserei. Ernst Federn hingegen dachte noch in einem anderen politischen Koordinatensystem und war Sozialist geblieben.
Man muss bedenken, dass Vater und Sohn die Kriegsjahre in völlig unterschiedlichen Welten verbracht hatten, so unterschiedlich, dass wir es uns eigentlich nicht vorstellen können. Ernst hat trotz – oder vielleicht gerade wegen – des durchlebten Horrors an seinen sozialistischen Idealen fest­gehalten, während Paul durch die Emigration und Assimilation eine Art Realitätsprüfung durchgemacht hatte. Dazu kam natürlich der Altersunterschied. Paul war nicht mehr für Ideale zu gewinnen. Und Ernst wollte unbedingt die gesamte Welt verbessern.

Ernst emigrierte schließlich in die USA, und damit reißt der Briefwechsel dann auch ab. Wie ging das Leben der Federns ­weiter?
Ernst musste sehr lange auf ein Visum warten. Was sich damals genau abspielte, geht leider aus den Briefen nicht ganz eindeutig hervor. Offenbar konnte Paul hilfreiche Kontakte in den USA knüpfen. Ernst studierte dann social work an der Columbia University und arbeitete sowohl in New York als auch in Cleveland, Ohio, als psychoanalytisch orientierter Sozialarbeiter. Er heiratete Hilde noch in Brüssel und emigrierte dann gemeinsam mit ihr. Beide kehrten 1972 zurück nach Wien, da Ernst von Christian Broda eingeladen worden war, sich an der damaligen Reform des Strafvollzugs zu beteiligen. In Wien half er auch, eine psychoanalytisch orientierte Sozialarbeit mit Häftlingen zu etablieren. Ich habe ihn selbst noch als Supervisor für ehrenamtliche Mitarbeiter der katholischen Seelsorge für Häftlinge an der Justizanstalt in der Josefstadt erlebt, da er mich mehrmals bat, ihn mit dem Auto hin und wieder zurück nach Hause zu bringen. Es war sehr eindrucksvoll, ihn als Supervisor in diesem Rahmen zu sehen und zu hören.

 


Diana Rosdolsky (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Ernst Federn und seinem Vater Paul aus den Jahren 1945 bis 1947. Psychosozial-Verlag, Gießen 2018, 319 Seiten, 36,90 Euro