In Indien werden Menschenrechtler auf Grundlage des Antiterrorgesetzes verfolgt

Modis kommunistische Gespenster

In Indien sind mehrere Menschenrechtler unter Berufung auf das Antiterrorgesetz verhaftet worden. Mit Blick auf die Parlaments­wahlen im Mai 2019 versucht die hindunationalistische Regierungs­partei BJP, ihre Kritiker mundtot zu machen und sie zu Feinden des indischen Staats zu stilisieren.
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Die Behörden haben nun noch mehr Zeit, um eine Anklage zu fabrizieren. Am Dienstag voriger Woche gab ein Gericht im indischen Pune der Polizei eine Frist von 90 weiteren Tagen, um Material gegen fünf prominente Inderinnen und Inder vorzulegen, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen.

Die Polizei nennt die Festgenommenen »städtische Naxaliten« und wirft ihnen Verbindungen zur verbotenen maoistischen Kommunistischen Partei Indiens (CPI) vor.

Ende August waren die fünf simultan in verschiedenen indischen Städten festgenommen und später unter Hausarrest gestellt worden: die Gewerkschafterin und Landrechtlerin Sudha Bhardwaj in Faridabad, der Journalist Varavara Rao in Hyderabad, der Bürgerrechtler und Journalist Gautam Navlakha in Neu-Delhi und in Mumbai der Autor Vernon Gonsalves, der sich unter anderem für Dalits und Gefangene einsetzt, sowie Arun Ferreira, der ­unter anderem als Strafverteidiger für politische Gefangene arbeitete. Die Operation wurde vom Innenministerium des von der hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) regierten westindischen Bundesstaats Maharashtra geleitet. Es berief sich auf den Unlawful Activities Prevention Act (UAPA), ein seit 1967 immer wieder erweitertes Antiterrorgesetz, mit dem ­gegen den Staat gerichtete Straftaten verfolgt werden.

Die fünf eint der Kampf für die Rechte marginalisierter Gruppen der indischen Gesellschaft. Die ermittelnde Polizei in Pune behauptet, bei den Razzien Beweise für Verbindungen zu maoistischen Terrorristen gesichert zu haben. Als Anlass für die Festnahmen werden offiziell Ermittlungsergebnisse nach den gewaltsamen Zusammenstößen zwischen hindunationalistischen Gruppen und Mitgliedern der Dalit-Bewegung von Anfang Januar angegeben. Dabei wurde ein 28jähriger Dalit so schwer verletzt, dass er an den Ver­letzungen verstarb. Der Gewaltausbruch fand im Zuge von Elgaar Parishad statt, einer wichtigen Gedenkveranstaltung in Pune, an der sich über 250 Dalit-­Organisationen beteiligten. Dabei wurde an das 200jährige Jubiläum der Kämpfe von Koregaon Bhima erinnert, bei ­denen Dalits zusammen mit Soldaten der britischen East India Company in zahlenmäßig überlegene Krieger der höherkastigen Marathen besiegten.

Als sogenannte Unberührbare stehen Dalits, wie die Nachfahren der indischen Ureinwohner bezeichnet werden, außerhalb des Kasten­systems. Nach der jüngsten Volkszählung im Jahr 2011 gehören 16,6 Prozent der indischen Bevölkerung dieser Gruppe an. Im hinduistischen Glauben gelten sie als unrein. Obwohl die indische Verfassung ihnen dieselben Bürgerrechte einräumt, leben sie häufig in ärmlichen Verhältnissen und räumlich getrennt von den höheren Kasten und sind täglich Diskriminierung ausgesetzt.

Der Tod des jungen Dalits hatte große Proteste der Dalit-Bewegung in den Großstädten Maharashtras zur Folge. In Mumbai blockierten Dalits zwei Tage lang Bahngleise und Straßen. Fundamentalisten höherer Kasten reagierten erneut mit Gewalt. Busse wurden mit Steinen beworfen, Menschen mit Stöcken geschlagen und Fahnen mit dem Symbol der Dalits verbrannt.

 

Um die Festnahmen im August unter Berufung auf das UAPA zu legitimieren, nennt die Polizei die Festgenommenen »städtische Naxaliten« und wirft ihnen Verbindungen zur verbotenen maoistischen Kommunistischen Partei Indiens (CPI) vor. Die sogenannten Naxaliten sind eine maoistisch geprägte Guerilla-Bewegung, die hauptsächlich in ländlichen Gebieten im Osten Indiens agiert. Ursprünglich kämpften sie für die unterdrückte und von Vertreibung betroffene Landbevölkerung. Der Guerilla werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Von der indischen Regierung wird sie als terroristische Organisation eingestuft. Ein weiterer Vorwurf gegen die fünf Festgenommenen lautet, dass sie großan­gelegte Anschläge geplant hätten, um in Indien Chaos zu verbreiten. Auch ein Anschlag auf den Ministerpräsidenten Narendra Modi (BJP) sei geplant ­gewesen.

Die Vorwürfe bleiben vage. Der UAPA ermöglicht Festnahmen, Versammlungsverbote sowie das Verbot ganzer Organisationen, sobald sie verdächtigt werden, sich gegen die Souveränität des Staats zu richten. Im Namen der Terrorabwehr kann die Regierung so gegen linke Regimekritiker vorgehen. Auch bei den indischen Vertretungen der NGOs Amnesty International und Greenpeace gab es kürzlich Razzien. Ihre Büros wurden durchsucht, die ­Lizenzen ausgesetzt und Konten eingefroren. Als Grund wurden Verstöße ­gegen die Regeln zur Annahme ausländischer Spenden angegeben. Die Organisationen gehen jedoch von politischen Motiven aus.

Venkitesh Ramakrishnan vom Nachrichtenmagazin Frontline und andere indische Journalistinnen und Journalisten sehen hinter den Festnahmen von Regierungskritikern eine Strategie der BJP, um die Massen zu mobilisieren und Gewalt gegen Minderheiten und Oppositionelle zu schüren. Durch die hindunationalistische Propaganda solle ein klares Bild von Gut und Böse gezeichnet werden. Für viele Reaktionäre werden so aus Regierungskritikern maoistische und antinationale Terrorristen. Unterdrückte Minderheiten wie Dalits oder Muslime werden zu einer Gefahr für Indien stilisiert.
Der derzeit laufende Wahlkampf für die Parlamentswahlen im Mai 2019 ­befeuert die BJP darin, rigoros gegen ihre Kritikerinnen und Kritiker vor­zugehen. Ramakrishnan zufolge will die BJP damit davon ablenken, dass die Politik der Regierung Modi in vielen Punkten gescheitert ist. Vor allem das Versprechen, Wohlstand für alle durch hohes Wirtschaftswachstum zu fördern, konnte sie nicht einlösen.

Die Historikerin und emeritierte Professorin Romila Thapar aus Neu-Delhi initiierte mit vier Mitstreitern nach den Festnahmen eine Petition, in der sie die sofortige Freilassung der Menschenrechtler fordern. Thapar warnt vor ­einer fortdauernden Kampagne gegen die Grundsätze der indischen Verfassung und wertet die Festnahmen aufgrund fiktiver Straftaten als schweren Machtmissbrauch, um Oppositionelle einzuschüchtern und mundtot zu ­machen. Auch zahlreiche Initiativen wie »Mumbai Rises to Save Democracy«, die über soziale Netzwerke, Kundgebungen und öffentliche Veranstaltungen auf Diskriminierung und Repression aufmerksam machen, setzen sich für die Freilassung von inhaftierten Menschenrechtlern ein.