Keir Milburn und Nadia Idle von der Gruppe Plan C, im Gespräch über Mark Fishers Begriff des »Acid-Kommunismus«

»Die Linke ist keine Insel«

Seite 2
Interview Von
Acid Smiley

Acid-Smiley oder trocknende Pfütze: In jedem Fall sieht man Licht am Ende des Tunnels

Bild:
mauritius images / Christian Ohde

Was passiert in euren Workshops?
KM: Es gibt diesen Text »We Are All Very Anxious« von 2014, der überall kursierte. Er endete mit dem Gedanken, dass viele der Dinge, die in den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern passiert sind, die Strategien, die Linke in dieser Zeit benutzten, Technologien waren, um die Langeweile zu bekämpfen. Aber wir leben nicht mehr in der Welt der Langeweile, wie sie in der fordistischen Fabrik sinnbildlich geworden ist. Wir leben in einer Welt der Unsicherheit und Prekarität. Der Text schlägt deshalb vor, »consciousness raising«-Gruppen zu gründen, in denen die kollektive ­Dimension dieser Unsicherheit sichtbar wird, so wie es die zweite Welle des Feminismus in den siebziger Jahren getan hatte, um die kollektive ­Dimension der Frauenunterdrückung zu erkennen. Plan C hat also versucht, solche Gruppen zu gründen. Das hatte Einfluss darauf, wie Mark, der damals Mitglied bei Plan C war, über die Gegenkulturen nachgedacht hat. Es ist also nicht nur so, dass die Idee, »consciousness raising«-Gruppen zu gründen oder Workshops durchzuführen, auf Marks Arbeiten zum »Acid-Kommunismus« zurückgeht, sondern dass ihre Wiedererfindung als Praxis umgekehrt auch sein Denken über die Gegenkulturen inspiriert hat. Als Mark starb, hatte er erst die Einleitung des geplanten Buchs verfasst, es gab noch ein paar Interviews und Vorträge. Wir hatten aber den Wunsch, weiter mit Marks Ideen zu arbeiten.
NI: Ich habe immer noch meine Probleme mit dem Begriff postkapitalis­tisches Begehren. Ich würde das Ganze so übersetzen: Was sind die Dinge, die du in deinem Leben nicht verwirklichen kannst? Indem wir gemeinsam diese Frage diskutieren, werden die konkreten Einschränkungen, die genau das verhindern, sichtbar. Die Hoffnung ist, dass dieser Prozess selbst transformativ ist. Ich glaube, es ist wichtig, den Unterschied zu anderen Fragen, wie sie in der Linken diskutiert werden, deutlich zu machen. Etwa: Was wäre eine linke Wirtschaftspolitik, wie sollen wir mit dem Defizit umgehen, oder was machen wir mit dem Geld? Ich sage nicht, dass das keine wichtigen Fragen sind, aber sie lassen außen vor, dass unsere Alltag im Neoliberalismus eine echte Barriere ist, unsere Beziehungen in einer Weise zu führen, die nötig ist, um als politische Akteure wirksam zu sein.
KM: Ein klassisches Beispiel sind Schulden, denn Schulden sind ein Mittel, Kontrolle auszuüben, indem ein Konflikt in die Zukunft verlagert wird. Wenn du dir die Platzbesetzungen in Spanien anschaust, oder den Schuldenstreik, der aus Occupy Wall Street hervorging: Sie alle haben mit Schuldnerversammlungen angefangen, eigentlich so etwas wie riesigen »consciousness raising«-Gruppen.

Es geht also auch darum, eine Politik der Sorge innerhalb der radikalen Linken zu erneuern?
NI: Ich verstehe schon, warum viele Leute in der Linken irgendwann angefangen haben, die Konzentration auf die eigene Erfahrung zu problematisieren und gesagt haben: Scheiß drauf, wir werden die Faschisten nicht dadurch besiegen, dass wir ständig über unsere Gefühle reden. Aber ich denke, es muss Orte geben, in denen wir über unsere gemeinsamen Erfahrungen im kapitalistischen Alltag reden können, Praktiken, in denen wir herausfinden, was das mit unserem Verstand macht, was das mit unserer Fähigkeit macht, kollektiv zu sein, was das mit unseren Vorstellungen von der Zukunft macht. Wenn die einzige Zeit, in der du – wenn überhaupt – darüber sprechen kannst, wie es sich für dich anfühlt, Schulden zu haben, deine Therapiesitzung ist, dann macht die Linke ­etwas falsch!
KM: Wir wollen einen lebbare Linke. Die muss allerdings skalierbar sein. Uns interessiert nicht, das Ganze in eine Subkultur zu verwandeln. Vielleicht kann man es andersherum ­sehen: Praktiken, die einmal subkulturell schienen, können – die Gegenkulturen haben das gezeigt – Massenpolitik werden.
NI: Ich bin sehr defensiv, was meine Zeit, meine geistige Verfassung, meinen Raum angeht. Deshalb ist es mir wichtig, uns so zu organisieren, dass wir das neoliberale Schrapnell, das in unsere Richtung fliegt, aushalten oder sogar abwehren können. Ich glaube, eine Art Resilienz, eine auch kollektive psychische Widerstandskraft ist dafür notwendig.

Die Beispiele zur Neubewertung der poltitischen Implikationen der Gegenkulturen, die Mark Fisher heranzieht, sind aus den Sechzigern, die Beatles, die Temp­tations, Mod-Kultur. Was sind ­aktuelle Bezugspunkte für einen Acid-Kommunismus?
KM: Mark hat an so etwas wie einen populären Modernismus gedacht. Es gab eine Zeit im Nachkriegskompromiss, in der Kultur zumindest teilweise von Kindern aus der Ar­beiterklasse und der unteren Mittelschicht produziert und dominiert wurde. In England kann man das besonders gut nachvollziehen. Das ist heute nicht mehr der Fall, und damit ist auch sein Gedanke, dass insbesondere Musikmachen eine Möglichkeit war, mit anderen, freiheit­licheren Lebensformen zu experimentieren, nicht mehr aufrechtzuerhalten, und zwar ziemlich genau ab dem Zeitpunkt, als der Sozialstaat in den achtziger Jahren zerlegt wurde. Ich bin mir insgesamt nicht sicher, was ich von diesem Argument halte. Ich finde es verführerisch und nützlich, um darüber nachzudenken, dass es materielle und soziale Voraussetzungen dafür gibt, mit Freiheit zu experimen­tieren.

In einem Artikel hast du »Acid Corbynism« einmal als Einstiegsdroge bezeichnet, Keir. Was ist ­damit gemeint?
NI:
Bei Plan C gibt es ganz unterschiedliche Einstellungen zu Labour und Jeremy Corbyn. Ich für meinen Teil bin völlig ohne Scham ein überzeugtes Mitglied von Labour und von Momentum. Ich habe gar kein Problem damit, zugleich an meinen autonomen marxistischen Überzeugungen festzuhalten. Es ist nicht so, dass wir unsere Politik an Labour angepasst haben, Labour hat sich uns angepasst. »Corbynism« handelt nicht von Jeremy Corbyn: Klar gibt es ein paar Leute, die in ihm einen Heilsbringer sehen. Meine Idee, was »Acid« und »Corbyn« gemeinsam haben, ist aber die: Als es 2017 eine reale Chance gab, dass die Labour-Partei die Regierung stellen könnte, in der eine Reihe von Linken sitzt, deren Politik der unseren im Prinzip sehr ähnlich ist, hat das ein psychologisches Fenster geöffnet. Das brach mit der Vorstellung, Austerität und den Aufstieg der Rechten zu akzeptieren, sei unabwendbar. Das hat den Leuten die Augen geöffnet, so ähnlich wie das eben auch LSD tut. Natürlich gibt es Grenzen, das soll hier keine Verteidigung parlamentarischer Politik sein. Aber wir sollten als Linke wahrnehmen, was die Stimmung im Land war, was der Erfolg von Labour und von Corbyn für ein gigantisches »Fuck You« in Richtung des Establishments und den Mainstream-Medien bedeutet hat.
 

Im Herbst 2019 erscheint in der Edition ­Tiamat eine deutsche Übersetzung der kürzlich bei Repeater Books erschienenen Sammlung von Mark Fishers wichtigsten und unveröffentlichten Texten. »K-Punk. Ausgewählte Schriften, 2004-2016« wird auch die Einleitung zu seinem geplanten, aber nicht mehr verwirklichten Buch »Acid Communism« enthalten.