Der Protest der »Gelben Westen« geht auch nach den Zugeständnissen der französischen Regierung weiter

Die wilden Westen

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Kritik an der Sozialpolitik Macrons kommt auch von rechts. Die extreme Rechte möchte den Sozialprotest allerdings lieber mit der Einwanderungsthematik verknüpfen. Konkret versuchen der Rassemblement National (RN) und außerparlamentarische rechte Gruppen, die Gelben Westen für den Migrationspakt der Vereinten Nationen zu interessieren, den sie zu einer ­gigantischen Verschwörung gegen die Nationen erklären. Der neurechte Pub­lizist Alain de Benoist will die Gelbwesten ebenfalls beeinflussen. Ein echter Populismus könne nur entstehen, »wenn verschiedene soziale Schichten sich als Opfer kultureller Unsicherheit und sozialer Unsicherheit betrachten«, sagte er in einem Interview mit der rechten Zeitschrift Sezession.

An den Blockadepunkten und bei Straßenprotesten spielt diese Debatte zwar kaum eine Rolle. Allerdings enthält eine »Charta der Gelben Westen«, die am vorvergangenen Sonntag im Internet auftauchte, neben einer Reihe sozialer und ökologischer Forderungen sowie mehreren populistischen Leerformeln auch einen Punkt, der sich gegen Zuwanderung richtet. Dort heißt es, angesichts »der Zivilisationskrise, die wir erleben«, seien »Migrationsströme nicht integrierbar« und müssten aufgehalten werden. Obwohl unklar bleibt, wie repräsentativ die Charta für die Bewegung ist, zeigt diese, dass auch rechte Parolen in der Bewegung, vor allem wohl bei den mittelständisch geprägten Steuerrebellen, Gehör finden.

Durch die nun wachsenden Aktivität von Gewerkschaften, die den Augenblick gekommen sehen, ebenfalls aktiv zu werden, und durch das Aufkommen von Schülerprotesten in der vorigen Woche bringen sich nun aber auch vermehrt progressive Kräfte in die Proteste ein. In einer Talkshow kündigte Mélenchon vor einigen Tagen bereits an, in der Zeit nach dem »Macronismus« werde das Rennen um politische Hegemonie »zwischen ihnen und uns ausgetragen«, womit er Marine Le Pens RN und seiner Partei La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) meinte.

Die CGT – der älteste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich – versuchte zunächst, eigene Aktionen parallel zu denen der Gelbwesten-Bewegung zu organisieren. Mit dieser Strategie sollte einerseits Distanz zu rechten Kräften gehalten werden, andererseits ist die Gewerkschaftsführung aber auch ­generell skeptisch gegenüber Protestbewegungen, die außerhalb bürokratischer Apparate entstehen. Am 1. Dezember versuchte die CGT, zu eigenen ­Demonstrationen zu mobilisieren, die jedoch nur eine geringe Dynamik entfalteten. Nun ruft der Dachverband für den kommenden Freitag zu einem ­Aktionstag vor allem für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf. ­Beteiligt sind auch Beschäftigte von Transportunternehmen, bei der fran­zösischen Bahn und dem Pariser Nahverkehr wurde zum Streik aufgerufen. Rechts von der CGT reagiert etwa der rechtssozialdemokratisch geleitete Dachverband CFDT vor allem mit Abgrenzung von den Protesten und dem Wunsch, endlich in Verhandlungen mit der Regierung zu treten. In einer Stellungnahme von sechs Gewerkschaftszusammenschlüsen, die die Handschrift der CFDT trägt, überwiegt diese Position. Ferner wird »die Gewalt der Gelben Westen, mit der die Forderungen zum Ausdruck gebracht werden«, ­explizit verurteilt. Die Polizeigewalt wird hingegen mit keiner Silbe erwähnt.

Solidaires, ein Zusammenschluss linker Basisgewerkschaften, grenzte sich zunächst zugunsten einer Teilnahme an den Protesten von behäbigeren, bürokratisierten Dachverbänden ab. Am Samstag waren Mitglieder von Solidaires auf den Straßen und versuchten eine Verbindung zwischen den sozioökonomisch motivierten Protesten und den gleichzeitig stattfindenden Demonstrationen für Klimaschutz ­herzustellen. Zu Wochenanfang überlegten die SUD-Gewerkschaften, die ­Solidaires angehören, den von der CGT ausgerufenen Aktionstag am Freitag zu unterstützen.

In der Bewegung der Gelbwesten werden Forderungen zugunsten der Lohnabhängigen, aber auch zumindest kleiner und mittlerer Unternehmer ­erhoben; sowohl Rassisten als auch Antirassisten beteiligen sich. Welche Strömung am Ende die Oberhand gewinnen wird, zeichnet sich noch nicht ab.