Die Zentraleuropäische Universität zieht wegen des Drucks der rechten Regierung in ­Ungarn nach Wien um

Raus aus Orbán-Land

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Auch in Sachen Gedenkpolitik machen staatliche Stellen in Ungarn Druck. Am 7. Dezember beschloss die »hohe nationale Gedenkstättenkommission« unter Führung von Parlamentspräsident Kövér, die Statue von Imre Nagy, des reformorientierten Ministerpräsidenten während der ungarischen Revolu­tion, der 1958 hin­gerichtet worden war, vom »Platz der Märtyrer« an der Ecke des Kossuth-Platzes zu entfernen und statt dessen die vom reaktionären Horthy-Regime errichtete nationale Gedenkstätte für die Opfer des »roten Terrors« wiederherzustellen.

Damit nichts an die Revo­lution 1956 erinnert, wurde auch das ewige Feuer, das an die Toten dieses Aufstands erinnert, entfernt. 
In einem Land, in dem ­einer repräsentativen Erhebung vom September zu­folge 51 Prozent der Aussage zustimmen, Georg Soros wolle Millionen Flüchtlinge nach Europa bringen, sind antisemitische Ressentiments zweifellos weit verbreitet. Bei einer repräsentativen Meinungsumfrage des ­Budapester Forschungsinstituts Political Capital unter 1 200 Teilnehmern gab es unter anderem folgende Ergebnisse: Mit der Aussage »Die Juden möchten in internationalen Finanzinstitutionen eine entscheidende Rolle spielen« waren 49 Prozent der Befragten eher einverstanden, 19 Prozent waren eher nicht einverstanden, 23 Prozent neutral. Mit der Aussage »Die ­Juden wollen die Welt beherrschen« waren 44 Prozent eher einverstanden, 24 eher nicht, 22 Prozent zeigten sich neutral. Die Politik von Orbán und Co. gründet auf Antisemitismus und ­Antikommunismus. Er postuliert ein homogenes ungarisches Volk, dazu ­gehört auch die christliche »Abstammung«. Christentum wird genauso wie eine ethnische Abstammung biologisch verstanden, und oft spricht man von den Ungarn als »christlicher Art«. Kommunisten und Liberale sind in diesem Weltbild dem Ungarntum fremd. 

Doch George Soros genügt nicht als ferner Feind, der ständig angeprangert wird, die Regierung stellt auch die Obdachlosen als solche hin. Mitte ­Oktober wurde ein Gesetz verschärft, demzufolge Wohnungslose nicht auf Straßen oder öffentlichen Plätzen leben und übernachten dürfen. Trifft die Polizei Obdachlose im öffentlichen Raum an, werden sie zunächst verwarnt. Nach drei Verwarnungen innerhalb von 90 Tagen eröffnet die Be­hörde ein Verfahren, das zu einer Verurteilung zu gemeinnütziger Arbeit oder einer Haftstrafe führen kann. Mindestens 20 000 Menschen sind in Ungarn nach Schätzungen obdachlos, in staatlichen Notunterkünften gibt es ­lediglich 11 000 Plätze. 

Viele dieser armen Menschen fliehen deshalb nach Wien, wo die sozialdemokratisch-grüne Wiener Stadtverwaltung und die Wohlfahrtsorganisationen auch den ungarischen Obdachlosen helfen, die in Österreich grundsätzlich keinen Anspruch auf soziale Hilfe ­haben. Wien ist sicherlich nicht in der Lage, die sozialen Probleme Ungarns zu lösen, aber es soll niemand erfrieren, das ist Konsens in der österreichischen Hauptstadt. 

Besorgniserregend ist, dass die von Orbán angeführte Partei Fidesz das Verjagen der CEU als Erfolg verbuchen kann und trotzdem noch immer Mitglied der Europäischen Volkspartei ist, zu der auch CDU/CSU und ÖVP ge­hören. Diese Parteien zeigen damit trotz aller gegenteiligen Deklarationen, dass sie nichts gegen ein autokratisches und rechtsextremes System zu haben, das sich als »christlich-konservativ« maskiert. Die linken und liberalen Parteien waren bisher nicht in der Lage, den Wählern in Europa aufzuzeigen, dass gerade jene, die rechtsextremen Parteien folgen, die ersten sind, die ­soziale Rechte einbüßen, wie man am Beispiel Ungarns ­sehen kann.