Lange unterschätzt: Die Küche der DDR hat heute noch ihre Fans

Einfach, heiß und deutsch

30 Jahre nach der Wende ist nicht mehr viel übrig vom kulinarischen Erbe der DDR. Eine Erkundung ostdeutscher Kochtöpfe.
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Um das schwierige Verhältnis deutscher Sozialisten zum Genuss zu verstehen, hilft vielleicht eine Anekdote aus den Jugendtagen Daniel Cohn-Bendits. Der spätere Grünen-Politiker war, wie mancher heutige Realo, einst ein wilder Linker. Als solchen hatte die französische Regierung ihn 1968 des Landes verwiesen. Er fand Exil in der Frankfurter Hausbesetzer-Szene. Dort sei er überrascht gewesen, mit welcher Vehemenz die deutschen Linken darüber schimpften, dass die Reichen Austern essen. »Die wollten den Reichen die Austern wegnehmen«, erinnert Cohn-Bendit sich. Das sei ihm zu kurz gedacht. »Sozialismus heißt Austern für alle«, lautete sein Gegenentwurf.

Leider wurde die DDR nie von französischen Sozialisten betrieben. In der DDR lag es jedoch vermutlich nicht nur an der Mangelwirtschaft, dass dort das Modell »Austern für niemand« regierte. »Ein Genussmensch war er bestimmt nicht«, erinnert sich Erich Honeckers früherer Kellner Lothar Herzog in seinem Buch »Honecker privat.« Die Speisen mussten Herzog zufolge nur drei Anforderungen erfüllen: Sie mussten einfach, heiß und deutsch sein. Immerhin im Genussverzicht stand Honecker in einer Traditionslinie mit Lenin. Der Revolutionsführer soll an Essen überhaupt kein Interesse gehabt haben, schreibt der Historiker Vilyam Pokhlebkin. Auf Nachfrage, ob ihm etwas schmecke oder nicht, habe Lenin gar nicht antworten können, lästerte man im Kreml.

Das »Wir sind ziemlich gleich auf diesem Gebiet« war der DDR immer wichtig. Das zeigt sich auch in der Küche anhand vieler Gerichte, die theoretisch auf beiden Seiten der Mauer gleich waren, wie Sauerbraten, Rouladen oder Eintöpfe. Die Unterschiede lagen im Detail.

Das »Glück« kulinarischer Indifferenz hatten die meisten Bürger des Arbeiter- und Bauernstaates nicht. Sie hatten Interesse an gutem Essen, aber mussten sich mit dem arrangieren, was der real existierende Sozialismus an Lebensmitteln anzubieten hatte. »Natürlich spielte die Versorgungslage und Verteilung von Lebensmitteln eine zentrale Rolle bei den Essgewohnheiten der DDR-Bürger«, schreibt Toni Schwabe. Der Foodblogger kennt sich gut aus mit der Gastronomie in der DDR. Seine Mutter war Köchin im Arbeiter- und Bauern-Staat und gemeinsam betreiben die beiden den Blog »Erichs kulinarisches Erbe«, auf dem sie die Rezepte des ostdeutschen Realsozialismus sammeln und vorstellen. Über 200 Rezepte zeigen, mit wieviel Erfindungsreichtum die Menschen damals vorangingen.

Zu Schwabes Erkenntnissen zählt das Wissen um die unterschiedlichen Regionalküchen der DDR. »Auf dem Land gab es genug Fleisch und landwirtschaftliche Waren, wo die Großstädter schon oft leer ausgingen«, berichtet er. »An der Küste gab es genügend Fisch, der aber selten die ganze Republik erreichte. Die Versorgungslage war oft abhängig vom Wohnort. Es gab viele Kleintierzüchter und allgemein kochte man mehr mit heimischen Zutaten aus dem eigenen Garten, natürlich saisonbedingter als heute.« Die wichtigsten Schlagwörter zeitgenössischer Gourmetküche lauten »saisonal« und »regional«. War die Küche der DDR einfach ihrer Zeit voraus?

Was nach der Wende gerne vergessen wird: Im Vergleich zu Westdeutschland war das gastronomische Angebot in der DDR zwar karg, vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kriegswirtschaft war es allerdings durchaus ein Schritt nach vorn. »Es gab allgemein sehr wenig und da musste man eben erfinderisch sein. So entstanden sehr einfache Gerichte wie das Zuckerbrot, Zottelsuppe oder sogar Gerichte mit Pastinaken als Kartoffelersatz«, sagt Schwabe. Das erklärt vermutlich auch die kuriose Fehleinschätzung der ostdeutschen Versorgungslage durch zwei Überlebende des Krieges: Den westdeutschen Kanzler Helmut Schmidt und den ostdeutschen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Ab 1978 begannen die beiden regelmäßig zu telefonieren. Die Annäherung der beiden Deutschlands lief schleppend und da man sich politisch wenig erzählen konnte, wurden vor allem Banalitäten ausgetauscht. Dabei soll sich laut MDR auch der folgende Dialog entsponnen haben:

Schmidt: Bei uns ist das Getreide an und für sich sehr gut. Wir haben wieder einmal zu viel von dem Zeug.
Honecker: Nun ja, darüber kann man ja einmal reden, da wir zu wenig davon haben.
Schmidt: Habt ihr zu wenig?
Honecker: Butter haben wir genug, Fleisch auch. Aber was wir brauchen, ist Futter für das Vieh …
Schmidt: Butter haben Sie genug?
Honecker: Für die Ernährung haben wir genug.
Schmidt: Ich habe auch Sorge, unsere Butter ist zu teuer für euch.
Honecker: Nein, ich glaube nicht. Die DDR exportiert selbst sogar Butter.
Schmidt: Euer Lebensstandard hat sicherlich einen sehr hohen Stand erreicht.
Honecker: Ja, einen sehr hohen Stand. Wir sind ziemlich gleich auf diesem Gebiet.
Schmidt: Bei uns müssen die Leute alle aufgefordert werden, weniger zu essen.
Honecker: Ja, wir möchten das auch machen, nur sie essen nicht weniger. Das schadet sogar der Gesundheit, nur essen sie trotzdem nicht weniger. Wir haben den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Butter in der Welt – 14 Kilogramm.
Schmidt: Ja, das ist zu viel, die sollen lieber Margarine essen, da werden sie nicht so fett davon.
Honecker: Natürlich, Margarine ist auch viel besser.

Keine Frage, große Genusskultur war mit keinem der beiden Staatsmänner durchzusetzen. Das Glück der Westdeutschen bestand darin, dass ein Bundeskanzler in solchen Fragen nur wenig zu bestimmen hatte. Das »Wir sind ziemlich gleich auf diesem Gebiet« war der DDR immer wichtig. Das zeigt sich auch in der Küche anhand vieler Gerichte, die theoretisch auf beiden Seiten der Mauer gleich waren, wie Sauerbraten, Rouladen oder Eintöpfe. Die Unterschiede lagen im Detail, erklärt Schwabe: »In der DDR hat man einiges vereinfacht, Zutaten weggelassen oder ersetzt, da nicht immer alles zu bekommen war. Daneben sind aus dem gleichen Grund aber auch Gerichte in Ostdeutschland entstanden, die es im Westen so nicht gab.« Das berühmteste Beispiel ist vermutlich das ostdeutsche Jägerschnitzel. Unter diesem Begriff serviert heute jede Raststätte ein Schweineschnitzel mit Pilzrahmsoße. Bei den Genossen im Osten war das Jägerschnitzel hingegen eine panierte Scheibe Jagdwurst, serviert mit Nudeln. Ein ähnliches Beispiel war die SED-Antwort auf Pizza: Die Krusta. Auf seinem Blog beschreibt Schwabe das Gericht wie folgt: »Der Teig der Krusta war durch die Verwendung von Roggenmehl dunkler, meist auch dicker und fluffiger als der einer klassischen Pizza. Serviert wurde die Krusta in sogenannten »Krusta-Stuben« – geschnitten in viereckige Stücke mit verschieden Belägen wie Geflügel, Hackfleisch-Sauerkraut oder Gemüse.«

In der Gastronomie gibt es solche Gerichte oft leider nur noch als Nischenprodukt für Ostalgie-Freunde. Mit den Restaurants »Volkskammer« und »Pila« gibt es in Berlin gleich zwei Lokale, die sich ganz der Küche des Arbeiter- und Bauernstaates verschrieben haben. Doch gibt es jetzt schon erste DDR-Gerichte, die vom Aussterben bedroht sind. »Es gab auch Fertigprodukte, die teilweise zum Backen oder Kochen in der DDR verwendet wurden und die es heute nicht mehr gibt. Ein bekanntes Beispiel ist das Clic-Getränkepulver, das man beispielsweise für bestimmte Kuchen brauchte und das auch für einen speziellen Geschmack sorgte«, sagt Schwabe. In die »Arche des Geschmacks«, ein kulinarischen Rettungsprogramm bedrohter Genüsse von Slow Food, ist das Clic-Pulver bisher noch nicht aufgenommen worden.

Noch heute nachkochbar ist das Festessen, das zum großen und letzten Staatsfeiertag am 7. Oktober 1989 im Palast der Republik serviert worden ist. Als Vorspeisen gab es Zuchtwachtelbrüstchen auf Maispüree, Forellenröllchen mit Dillsauce und Lachskaviar und Schaumbrot von Räucherzunge. Danach folgte das Filetensemble Trianon: Kalbsfilet mit Schinkenduxelles, Rinderfilet mit Gemüsebukett sowie Hühnermedaillons mit Pfirsichhälften. Der Nachtisch hieß »Surprise« und damit war nicht die Wende gemeint, sondern verschiedene Eissorten auf Schokoladen-Marzipan-Biskuit. Dazu trank man DDR-Weine von der Saale und aus Meißen sowie den guten Kasoff-Wodka.

Es war nicht alles schlecht außerhalb von Hohenschönhausen. Apropos, drei Jahre später saß Honecker im Westen dann selbst hinter Gittern. Überliefert ist sein Weihnachtsessen in der Berliner Vollzugsanstalt Moabit. Es gab Brühreis, Rindfleisch, Möhren und Sellerie – »Einfach, heiß und deutsch.«