Rechtsextreme Proteste gegen den UN-Migrationspakt in Brüssel

Flandern nur für Flamen

Hooligans, Rechtsextreme und »besorgte Bürger« demonstrierten am Sonntag in Brüssel gegen den UN-Migrationspakt. An diesem Thema war bereits die belgische Regierungskoalition zerbrochen.

Etwa 5 500 Menschen zogen am Sonntag durch das Zentrum von Brüssel: Anhänger des rechtsextremen Vlaams Belang und identitärer Organisationen wie Voorpost, dazu katholische, flämisch-nationalistische Studierende, Migrationsgegner und die obligatorischen »besorgten Bürger«. Sie alle hatten sich versammelt, um gegen den UN-Migrationspakt zu protestieren, der vorige Woche von 164 Staaten bei der Konferenz in Marrakesch angenommen worden war. Zunächst war die Demonstration untersagt worden, doch hatten die Organisatoren per gerichtlicher Verfügung eine Genehmigung bekommen. Auch eine Gruppe schwarz gekleideter und eigentlich verfeindeter Hooligans verschiedener Fußballclubs waren gekommen – ein allemal bemerkenswertes Bündnis.

Nach sieben Jahren relativer Ruhe und Konsolidierung ist Belgien erneut in politische Turbulenzen geraten. In dieser Woche wird sich zeigen, ob der Minderheitsregierung die Verabschiedung des Haushalts gelingt.

Zuerst gab es die bei Kundgebungen der flämischen Rechten gängigen Parolen: »Eigenes Volk zuerst« und »Linke Ratten, verpisst euch!« Der von permanentem Böllergeknall begleitete Protestmarsch endete mit einer Kundgebung vor der EU-Kommission. Danach entlud sich die Wut der Demonstrierenden in Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Tränengas, Wasserwerfer und wehende gelbe Fahnen mit dem flämischen Löwen – diese Eindrücke bleiben von der Veranstaltung, bei der es 90 Festnahmen gab.

Der »Marsch gegen Marrakesch« fiel in eine ohnehin angespannte Situation. Denn am Streit über das Migrationsabkommen war eine Woche zuvor die Mitte-rechts-Regierung von Premierminister Charles Michel zerbrochen. Die nationalistische Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) bestand darauf, die Zustimmung zum UN-Migrationspakt zu verweigern, ihre drei liberalen und christdemokratischen Koalitionspartner ließen sich darauf nicht ein. So schied die N-VA nach einem grotesken, eine Woche andauernden Streit aus der Koalition aus, die verbleibende Minderheitsregierung will die Zeit bis zu den Parlamentswahlen im Mai überbrücken.

Nach sieben Jahren relativer Ruhe und Konsolidierung ist Belgien erneut in politische Turbulenzen geraten. In dieser Woche wird sich zeigen, ob der Minderheitsregierung die Verabschiedung des Haushalts gelingt. Dazu ist sie auf Unterstützung der Opposition angewiesen, in der einige Strömungen jedoch das Parlament abstimmen lassen wollen, ob man der umgebildeten Koalition überhaupt das Vertrauen ausspricht. Sollte es dazu kommen, wären Neuwahlen zu Beginn des Jahres wahrscheinlich.

Michel warnte deshalb vor drohendem »Chaos«. Doch selbst wenn er sich weiter als Premierminister halten sollte, dürfte Belgien ein hektisches Frühjahr bevorstehen: Die Parlamentswahlen sollen am 26. Mai stattfinden, gleichzeitig mit den Wahlen zum EU-Parlament, die in den Mitgliedstaaten vom 23. bis 26. Mai abgehalten werden sollen. In der Tat sind die aktuellen politischen Konflikte des Landes Teil einer viel größeren Auseinandersetzung. Nicht erst seit den Ausschreitungen vom Sonntag ist »Marrakesch« ein Reizwort für den identitären Kulturkampf, bei dem es um Migration und Nationalismus geht.

Wie der Konflikt um die Unterzeichnung des UN-Migrationspakts gezeigt hat, kommt der N-VA dabei eine Schlüsselrolle zu. Sie verdankt ihren rasanten Aufstieg zur stärksten Partei des Landes der Tatsache, dass sie einen moderateren Kurs als der Vlaams Belang einschlug. Diese Nachfolgepartei des wegen ihres Rassismus von staatlicher Finanzierung ausgeschlossenen und deshalb 2004 aufgelösten Vlaams Blok schnitt bei den jüngsten Parlamentswahlen 2014 schwach ab. Sie schloss sich anders als die N-VA dem Verband rechtspopulistischer Parteien im EU-Parlament an und vertritt in Belgien damit die Position von Lega, FPÖ oder Rassemblement National. Bei den Kommunalwahlen im Oktober (Jungle World 42/2018) deutete sich erstmals an, dass die Kräfteverhältnisse sich ändern könnten. Erst danach forcierte die N-VA ihren Protest gegen den UN-Migrationspakt, den der Vlaams Belang bereits zuvor angegriffen hatte. In den Statuten bekennt sich die N-VA nach wie vor zu einem unabhängigen Flandern.

Dieses Ziel hat man in den vergangenen, realpolitisch geprägten Jahren der Regierungsbeteiligung der Profilierung als moderne und moderate rechte Partei geopfert.

Die Ambivalenz der Partei verkörpert niemand besser als Theo Francken, bis vor kurzem Staatssekretär für Asyl und Migration. Seine Rolle als Identifikationsfigur des rechten Lagers spielte er mit so viel Verve, dass er zum erklärten Hassobjekt progressiver Belgierinnen und Belgier wurde. Beim Vlaams Belang allerdings macht man sich über Francken als eine Art Papiertiger lustig. Dem »Marsch gegen Marrakesch« sicherte Francken noch ausdrücklich seine Unterstützung zu – entgegen der offiziellen Parteilinie, die zu Hooligans und auch der rechtsextremen, nationalistischen Studentenorganisation Schild en Vrienden auf Distanz ging.

Um den Bahnhof Brüssel Nord, der seit Jahren eine Anlaufstelle von abgelehnten Asylsuchenden und Migranten auf dem Weg nach Großbritannien ist, sorgte man sich in den Tagen vor dem rechten Marsch. Demonstrierende hätten mit Angriffen gedroht, hieß es Ende vergangener Woche in der Unterstützerszene. Mehrere Hundert Migranten wurden daher am Sonntag vorsorglich bei Privatpersonen untergebracht.

Unabhängig davon, wie sich die Regierungskrise nun weiterentwickelt, verschieben sich in Belgien die politischen Kräfteverhältnisse, und zwar beim Thema Zuwanderung. Tom Van Grieken, der Vorsitzende des Vlaams Belang, kündigte an, man werde die bevorstehenden Wahlen zu einem »Referendum über Migration« machen. Ob er die belgischen oder die europäischen Wahlen oder beide meinte, ließ er offen.

Auch die flämischen Autonomieforderungen werden eine Rolle spielen. Bei der Brüsseler Kundgebung waren zahlreiche Nationalfahnen zu sehen, was die Verbindung der Autonomie mit dem Thema Migration verdeutlicht. Es ist nicht auszuschließen, dass die N-VA im Wahlkampf versuchen wird, auch den flämischen Nationalismus in den Vordergrund zu stellen, um sich gegen den Vlaams Belang zu behaupten.