Judith Braband, Bürgerrechtlerin, und Renate Hürtgen, Historikerin, im Gespräch über die Rolle von Frauen in der DDR-Opposition

»Ich will nach wie vor eine Revolution«

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Interview Von

Man sagt Frauen aus dem Osten oft nach, unabhängiger zu sein als Frauen aus dem Westen. Kann das sein?
JB:
Ja klar, ich glaube schon. Das ist der Vorteil der Gesetze, der verordneten Gleichberechtigung. Die Quote der arbeitenden Frauen war hoch, deren Selbstbewusstsein ist gewachsen. Wenn du dein eigenes Geld verdienst und nicht davon abhängig bist, dass der Kerl das Geld nach Hause bringt, hast du einen eigenen Wert in der Gesellschaft. Das ist ein Ergebnis der DDR-Politik gewesen. Diese hohe Beschäftigtenquote bei Frauen führt dazu, dass Frauen selbstständiger und selbstbewusster waren.
RH: Ganz bestimmt hat die Erwerbsarbeit einen bestimmten Frauentyp hervorgebracht. Ich hab später auch Arbeiterehepaare aus dem Ruhrgebiet kennengelernt. Da waren die Frauen genauso selbstbewusst. Diese proletarische Lebensweise war in der DDR am meisten verbreitet. Der Hausfrauentypus war einfach nicht das Leitbild. Das kann man aber nicht gleichsetzen mit emanzipatorischem Verhalten. Frauen gehörten in der DDR nicht pauschal zu den besonders kritischen, oppositionellen Menschen. Frauen haben viel weniger im Betrieb mit Streiks und Widerstand gedroht. Schwierigkeiten zu bewältigen, das war ihr Stolz und machte ihr Selbstbewusstsein aus: »Ich hab’s gepackt, obwohl alles scheiße war«. Daraus ist auch etwas entstanden, das man nicht idealisieren sollte. Am Anfang der ­demokratischen Revolution waren die Frauen nicht mehrheitlich an den Protesten beteiligt – auch weil es gefährlich war. Aber als es darum ging, im Betrieb die Gewerkschaftsstrukturen aufzubauen und sich wählen zu lassen, wurden viele aktiv. Als die Frauen eine konkrete Aufgabe hatten, erfüllten sie die auch. Sehr viele von ihnen sind dann nach westlichen Maßstäben zu Betriebsratsvorsitzenden gewählt worden. Anfang der neunziger Jahre gab es aber recht rasch eine Gegen­entwicklung und sie haben sie sich wieder rausdrängen lassen. Bei den nächsten Wahlen sah es dann in den Betrieben wieder fast genauso aus wie in Westdeutschland: die Verteilung, die Hierarchien, wer da im Betriebsrat saß, wer Funktionen hatte. Trotzdem hatte es Einfluss auf die Gewerkschaften, dass da plötzlich so viele Frauen aktiv wurden.

»Der politische Druck, dem wir in der DDR ausgesetzt waren, war natürlich immens. Aber du konntest ihm auch entgehen. Du konntest Kleingärtner werden oder Angler oder Indianer. Du musstest dich nicht politisch betätigen. Wenn du das tatest, musstest du aber mit Konsequenzen rechnen. Im Kapitalismus aber kannst du dem enormen, existentiellen Druck nicht entgehen.«
Judith Braband

Emanzipation sollte also nicht idealisiert werden, weil sie auch das männliche Leistungsprinzip beinhaltet?
RH:
Natürlich, und das betrifft uns beide ja auch. Ich habe das ganz tief ver­innerlicht: Leistung, Leistung, Leistung, und noch besser sein als die Männer.
JB: Das finde ich ein ganz zentrales Thema in der Auseinandersetzung über die Gleichstellung der Geschlechter. Denn es ändert alles, wenn du Leistung neu definierst. Oder wenn der Stellenwert, den eine bestimmte Leistung hat, neu definiert wird. Dann ändert das letztlich die Gesellschaft.

Hattet ihr im Herbst 1989 auch schon Kontakt zu Frauen aus dem Westen? Wie waren eure Erfahrungen mit denen?
JB:
Chic, charmant und dauerhaft.

Was heißt das?
JB:
Das ist der Titel einer alternativen Modeschau aus der DDR. Ich hatte schon seit Mitte der siebziger Jahre Freundinnen aus dem Westen. Im Laufe der Jahre fiel mir auf, dass sie immer irgendwie gut drauf waren. Wenn wir uns besser kannten, dann habe ich auch von ihren Sorgen gehört, aber eher nicht von Geldsorgen. Und zur Wendezeit habe ich dann verstanden, was das bedeutet. Ich habe verstanden, dass sie tatsächlich charmant und dauerhaft sein mussten – immer präsent und gut drauf und leistungsfähig.
RH: »Wie geht es dir?« – »Suuuper!«
JB: Ja genau, scheiße. »Leckeres Essen« – ich hasse diese Wörter. Viele Dinge verstehst du ja erst im Nachhinein. Der politische Druck, dem wir in der DDR ausgesetzt waren, war natürlich immens. Aber du konntest ihm auch entgehen. Du konntest Kleingärtner werden oder Angler oder Indianer. Du musstest dich nicht politisch betätigen. Wenn du das tatest, musstest du aber mit Konsequenzen rechnen. Im Kapitalismus aber kannst du dem enormen, existentiellen Druck nicht entgehen. Es sei denn, du hast irgendwelche Millionäre in der Familie.
RH: Eines meiner ersten Erlebnisse mit Westfrauen war in der Hans-BöcklerStiftung. Ich musste ein Projekt über »Wendefrauen« verteidigen. Da bin ich in einer krassen Weise von den Gutachterinnen angefahren worden, weil ich die Texte nicht gegendert hatte. Wenn ich nicht so viel Selbstbewusstsein gehabt hätte, wäre ich sicher kleinlaut davongegangen. Sie sind damals sehr arrogant und auch dumm mit mir umgegangen.
JB: Eigentlich ist mir in der letzten Zeit erst die Idee gekommen, dass die Westfrauen ja aus einer Opferposition heraus gehandelt haben. Sie haben immer gekämpft. Wir waren zwar auch Opfer der DDR-Verhältnisse, aber wir haben für nichts gekämpft, wir haben alles geschenkt bekommen. All die sozialen Maßnahmen, die Kinderbetreuung und -versorgung, legale Schwangerschaftsabbrüche und so weiter.
RH: Der Feminismus war in der DDR deswegen vielleicht auch ein indivi­dueller und kein kollektiver. Man hat sich emanzipatorische Errungenschaften oder das Verhältnis zum Partner individuell erkämpft. Es gab aber keine Bewegung, und das ist ein großer Unterschied zum Westen. Die DDR-Frauen haben sich nicht als Opfer wahrgenommen, das ist richtig. Aber das heißt ja nur, dass sie bestimmte Dinge nicht begriffen hatten.

Könnt ihr von euren Erfahrungen heute noch zehren?
JB:
Ich zehre davon, nicht weil ich eine Vision daran hänge, sondern weil ich praktische Erfahrungen damit verbinde. Auch weil ich heute weiß, was wir falsch gemacht haben. Ich will nach wie vor eine Revolution. Auch wenn ich noch nicht weiß, wie. Die Macht lag damals auf der Straße und wir haben sie nicht aufgehoben. Und auch nicht neu definiert. Das erste, was fünf von sechs Oppositionsgruppen gemacht haben, war, in die Regierung von Hans Modrow einzutreten und Minister zu stellen, anstatt die Regierung abzusetzen.