Die Event-Serie »Das Boot« wirkt wie ein Werbeclip der Bundeswehr

Neue Kriegsbilder

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Essay Von

In der neuen von Sky produzierten »Event-Serie« »Das Boot« wird die Situation des Filmes sozusagen als Vorspiel verwendet: Der Angriff mit den Wasserbomben, die Hilflosigkeit des U-Bootes, die Verzweiflung der Männer, und dann der Umschnitt auf den britischen Zerstörer: »Lieber die da unten tot als wir.«

Die Geschichte ist eher ein Sequel als ein Remake; sie beginnt ein Jahr nach der aus Petersens Film bekannten Geschichte und spielt auf einem anderen U-Boot: Das U-612 wird, wie das Vorbild, im Hafen von La Rochelle auf die Feindfahrt vorbereitet. Nun mangelt es auch an erfahrenen Offizieren; die Mission ist das erste Kommando von Kapitänleutnant Klaus Hoffmann (Rick Okon), aber alle sind sie hier vor allem young guns. Zur weiteren Besatzung gehören der Funker Frank Strasser (Leonard Scheicher) mit seiner Liebe zum Jazz und einer geheimen Beziehung, von der auch seine deutsch-französischen Schwester Simone (Vicky Krieps) nicht weiß, die als Übersetzerin im Dienst der Nazis vom (frankophilen) Gestapo-Kriminalrat Forster (Tom Wlaschiha) ebenso verehrt wird wie von der Amerikanerin im Widerstand, Carla Monroe (Lizzy Caplan). Und wieder geht dem Einsatz ein Besuch der Mannschaft im Bordell voraus.

Die Serie zieht ein Netz über Topographien, Sprachen, Regimes, Zuständen, und netzförmig, spinnenhaft ist auch das Landkarten-Intro zu Beginn der Folge, das die berühmte Tonfolge aus dem Vorläufer zitiert und sich aneignet unter den Dokumentaraufnahmen aus dem Krieg. Netz- und Zielstruktur, naheliegend, dient dem world building der neuen Serien, signalisiert aber treffend: Es gibt kein Entkommen, es gibt keine Alternative.

Von diesem erzählerischen Knoten aus fächert sich die Handlung auf, nur ein Strang verfolgt die Mannschaft des U-Bootes, ein anderer bleibt in La Rochelle. Die Handlung ist ein Mix aus den beiden Büchern Buchheims, »Das Boot« und »Die Festung«, mit eigenen Zutaten. Vor allem schien es bedeutend, dem Krieg auch ein weibliches Gesicht zu geben. Die symbolische Interaktion von Frank und Simone (die sich real nur in wenigen Szenen begegnen) hält vieles zusammen. Oder auch nicht. Sexualität kommt hier anders ins Spiel; im Krieg geht es nicht zuletzt um Vergewaltigung und Entmannung. Die Totalität, die bei Petersen eine Frage der äußeren Wirklichkeit war, wird in der neuen Serie unter Regie von Andreas Prochaska zu einer inneren Befindlichkeit. Die ei­nen kamen aus ihrem Boot nicht mehr heraus, diese jungen Männer hier kommen aus ihren überdeterminierten Biographien nicht heraus.

Die Serie zieht ein Netz über Topographien, Sprachen, Regimes, Zuständen, und netzförmig, spinnenhaft ist auch das Landkarten-Intro zu Beginn der Folge, das die berühmte Tonfolge aus dem Vorläufer zitiert und sich aneignet unter den Dokumentaraufnahmen aus dem Krieg. Netz- und Zielstruktur, naheliegend, dient dem world building der neuen Serien, signalisiert aber treffend: Es gibt kein Entkommen, es gibt keine Alternative.

Was es seit geraumer Zeit in Filmen und Serien gibt, ist ein fast fetischistisches Interesse an Frisuren und Kostümen. Der »Schweinestall unter Wasser« (»40 Kerle, keine Dusche, ein Scheißhaus«), bleibt dann eher Behauptung. Doch während der Film diese Klaustrophobie auf die Spitze treibt, fasert die Serie die Handlung auf und benutzt Thriller und Melodram ebenso wie Action, um das Interesse an den verschiedenen Figuren aufrechtzuerhalten. Je­de Aktion, jeder Charakter, jede Beziehung ist darauf angelegt, im Verlauf der Handlung ein Verborgenes zu offenbaren, eine überraschende Wendung zu ermöglichen, Vorher­gegangenes umzuwerten, Kommendes zu ermöglichen. So erzählt man heute in diesem Medium und in diesem Format. Was aber geschieht, wenn eine solche netzförmige, selbstreferentielle Erzählweise auf ein großes historisches Thema wie den Zweiten Weltkrieg angewandt wird?

Fragen der Repräsentation, wie sie sich noch vor nicht allzu langer Zeit stellten, etwa ob man Deportation, Nazibrutalität und Holocaust in Eins-zu-eins-Realismus zeigen kann, werden in diesem Format nicht mehr gestellt; anders als seine Vorläufer, die zwar »weltberühmt« wurden, aber im Wesentlichen an ein deutsches Publikum gerichtet waren, ist das neue »Boot« für den Weltmarkt produziert. Einmal sagt einer im ­Maschinenraum, wie viel es doch zu erzählen gäbe (»Das glaubt uns doch kein Mensch«), und tatsächlich scheint es manchmal so, als sei in diesem Format auch der Krieg vor allem eine Erzählmaschine.

Wenn in Petersens Film und der daraus gewonnenen mehrteiligen Fernsehfassung (die viel Zeit auf die Schilderung von Alltag und Verzweiflung verwendet) alles auf Reduktion und Beschleunigung hinausläuft, so zielt die »Event-Serie« auf Erweiterung und Retardierung. Jede Einstellung, jeder Dialog ist darauf gerichtet, etwas für den Plot zu gewinnen, der, je näher man ihn ansieht, desto weniger mit dem historischen Hintergrund zu tun hat. Immer wieder verharrt die Kamera auf einem Detail, ziehen sich Dialoge, verschnörkelt das Narrativ, nur um an anderer Stelle wieder Story-Material abzuwerfen. »Das Boot« ist, auch das dem Format geschuldet, over-written und under-directed, oder, genauer gesagt, die Inszenierung folgt einem Schema der Effektmaximierung und der maximalen Zeichendichte.

Das alles könnte man »filmkritisch« sehen, es ist aber vielleicht ein viel tiefer gehendes Wahrnehmungs- und Deutungsproblem. War der Krieg zuvor ein Geschehen, das auf den großen Knall zulief, im Großen wie im Einzelnen, dieses Davonkommen oder Nicht-Davonkommen, so wird der Krieg hier zu einem Zustand, zum Biotop eines endlos geflochtenen Beziehungs- und Identitätsbandes.

Paradoxerweise entsteht gerade daraus wieder eine merkwürdige Form der Nostalgie. Die Schauspieler agieren nicht mehr wie bei Petersen in einem revivre, bei dem zumindest die körperlicher Erschöpfung, die Prellungen und Schürfwunden, der Schweiß und manchmal auch die Panik wirklich durchlebt war. Bei allen Darstellern hatte man damals ein wenig das Gefühl, sie spielten um ihr Leben, und diese Passion, geplant oder nicht, übertrug sich auf das Publikum. Die Schauspieler in der Serie spielen in der professionell moderierten Form von Soap-Opera und Dynasty-Serie. Auch sie, so scheint es, sind vor allem für den Plot da, und Frisuren und Uniformen geben wenig von wirklichen Strapazen wieder.

Wenn es also (bei aller Fragwürdigkeit dieses Unterfangens) beim Projekt von Petersen darum ging, den Krieg näherzurücken, geht es hier darum, ihn zu entfernen. Mit nichts, nicht einmal mit den Delphinen (aus dem Computer), die am Anfang das ­U-Boot begleiten, bevor es zum Angriffsziel wird, lässt uns die Serie allein; alles wird Teil des symbolischen Geflechts, die Delphinmetapher wird wieder aufscheinen und unbarmherzig zerredet werden. Erzählmaschinen sind auf Effizienz getrimmt.

Und genau das, was bei Serien wie, sagen wir, »Game of Thrones« oder »Lost« zum Teil des Vergnügens wird, nämlich dass man ins Innere der Erzählmaschine blicken kann, wird hier zum Problem: Man sieht immer wieder Showrunner-Entscheidungen, die dem Vorbild Tribut ­zollen, die Marke bedienen und gleichzeitig das Eigenständige betonen: das Jonglieren mit Metaphern, das »Figurenschach«, wenn der Held und sein Widersacher auf engem Raum agieren. Starke Frauen sollen sein, aber auf sexuelle Attraktion darf nicht verzichtet werden. Erst im Marketing freilich wird ein innerer Kern der Serie bloßgelegt: Da werden die Serienschauspieler von der Zeitschrift GQ in einer Modestrecke (»5 Moncher Craig Green-Outfit« sowie in Boots der Marke »Hunter«) mit nackten Oberkörpern und blasiert-aggressiven Mienen präsentiert, als ginge um es die Chippendales in Stahlgewittern. Natürlich verweist man hier nur auf die »monumentalen« Produktionskosten von 26,5 Millionen Euro und zitiert die besonders törichte Aussage eines Darstellers, die einmal mehr betonen soll, dass es sich nicht um ein Remake handeln soll: »Das ist eine Operation am offenen Herzen der deutschen Filmkultur.« Das provoziert geradezu die Reaktion: Haben diese seltsamen Ärzte nicht bemerkt, wie der Patient unter ihren Händen gestorben ist?
Wenn Kriegsfilme immer auch Verhandlungen über Körperbilder sind, kann man hier erkennen, was sich geändert hat.

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Der Krieg als totales Erlebnis ist in den ersten deutschen Nachkriegsfilmen als Genre durchaus präsent, er erweist sich sowohl als horizontales wie vertikales Geschehen, also in einem räumlichen, zeitlichen, hierarchischen, technischen, historischen, mythischen Netz. In der zweiten Welle allerdings geht es dagegen offenbar immer um Prozesse der Isolierungen und des Ausscheidens, sei es in einer Fabrik der Offiziere, in der Napola, im Führerbunker oder eben im Inneren eines U-Bootes. Man ist zunächst einmal abgeschnitten, auf sich selbst gestellt; es gibt ein Echo im Inneren, und es gibt ein »Schicksal«. Man könnte also vom Wechsel von einer Furcht vor dem großen Raum (in den Stalingrad-Filmen zum Beispiel), hin zu einer dramatischen Verdichtung und der subjektiven Erfahrung sprechen, die sich nun, wie in der Serie, orbital auffächert (es herrscht eine Vorliebe für Aufnahmen aus der Himmelsperspektive, gerade dort, wo es für diesen Blick gar kein Subjekt gibt). Der Blick des alten deutschen  Kriegsfilms war infanteristisch und statisch, der Blick von Petersens »Boot« und seinen Nachfolgern dagegen eher artilleristisch (Torpedos und Wasserbomben in ihrer Funktion von Raum und Zeit); der Blick der Serie ist dagegen willkürlich und virtuell; Raum und Zeit bedeuten hier kaum noch etwas, was stattfindet, ist die Verbindung von Subjektivitäten durch den Effekt.

Es ist nicht nur allein der Erzählweise der »neuen Serien« (dem netzförmigen Ausstrahlen) geschuldet, dass nun gleichsam versucht wird, die mehr oder weniger splendide Isolation wieder durch eine Parallelhandlung zu überwinden. Ganz kann dieses Konzept nicht aufgehen. Die Totalität des Krieges jedenfalls wird hier nicht angestrebt, Netz und Dunkelkammer verknüpfen sich, ohne dass wirklich Räumlichkeit und Historizität entstehen. Natürlich sind auch Räumlichkeit und Historizität nicht das einzige, was den Krieg ausmacht, die Spreizung freilich lässt den Krieg über alle Dimensionen wuchern, er ist nicht mehr Ausnahmezustand, kein Höllentor mehr, sondern fast ein Normalzustand. Schon Petersens Film erkannte den Konflikt zwischen dem ideologischen und dem professionellen Zustand der Helden, und damit ist ein weiteres Exempel der Grammatik des Kriegs­bildes entstanden, nämlich die Scheidung zwischen dem Krieg einer »Volksarmee«, beziehungs­weise einer Armee von Kriegsdienstleistenden, Bürgern in Uniform, wie sie zum Beispiel in den Vietnamkriegsfilmen aufscheinen, und den Professionellen der Berufs- und Söldnerarmeen, die tunlichst das Kriegshandwerk den Handwerkern des Todes überlassen sehen wollen: Sie haben kein hehres, patriotisches Ziel vor Augen, sondern vor allem die Erfüllung eines Jobs, eines Auftrags, und meistens mischt sich schon deswegen materielles und militärisches Interesse. In der Serie »Das Boot« nun gibt es das alles nicht mehr; die Serie betreibt ihr world building mit solcher Konsequenz, dass es ein Außen nicht mehr geben kann. Eben dies ist das Geheimnis der nun auch nicht mehr ganz neuen Serien: Dass sie eine zwar vielfältige und wuchernde, aber letztlich in sich geschlossene und schließlich entropische Welt zeigen. Das heißt: Die einzige Zeit, in der solche Serien spielen können, ist eine Endzeit, eine Niemandszeit.

Konkreter freilich könnte man auch behaupten, »Das Boot« sei, so wie der alte deutsche Kriegsfilm ein Propagandaakt für die Wiederauf­rüstung der Bundesrepublik gewesen ist, eine Propaganda für eine Von-der Leyen-Armee. Eine Geisterarmee.

»Das Boot« (D/USA 2018), 8 Episoden mit jeweils 60 Minuten, Regie: Andreas Prochaska. Drehbuch: Tony Saint, Johannes W. Betz. Produzenten: Moritz Polter, Oliver Vogel, Jan S. Kaiser für Bavaria Fiction; Marcus Ammon und Frank Jastfelder für Sky Deutschland; Jenna Santoianni für ­Sonar Entertainment. Darsteller: Rick Okon, August Wittgenstein, Franz Dinda, Leonard Scheicher, Vicky Krieps, Lizzy Caplan, Tom Wlaschiha, Vincent Kartheiser, James D’Arcy, Thierry Frémont, Rainer Bock, Robert Stadlober, Stefan Konarske.