Ein Besuch bei Zentren für abgeschobene Flüchtlinge in Honduras

Rückkehr ins Ungewisse

Jedes Jahr kehren mindestens 100 000 Menschen Honduras den Rücken, die meisten fliehen vor Gewalt und Arbeitslosigkeit. Viele davon werden von der Polizei in Mexiko oder den USA aufgegriffen und wieder abgeschoben. In Honduras gibt es drei Aufnahmezentren für die unfreiwilligen Rückkehrer.
Reportage Von

Der Schreibtisch von Schwester Lidia Mara de Souza steht verwaist in einer Ecke des Büroraums. Neben dem Tisch, auf dem ein paar Akten liegen, ist ein Transparent mit dem Slogan des bischöflichen Hilfsprogramms für Migranten zu sehen. »Ich war Migrant und du hast mich aufgenommen«, steht auf dem Plakat, das an die Wand ge­heftet ist und das Logo der Bischofskonferenz von Honduras trägt. Die Sekretärin kommt aus dem Nebenzimmer: »Schwester Lidia musste kurzfristig zu den Migrationsbehörden, um ihr Visum zu verlängern. Tut mir leid«, sagt sie und hebt entschuldigend die Schultern.

Viel zu sehen bekommt die Sekretärin ohnehin nicht von der quirligen Kol­legin, die das Hilfsprogramm für Migranten leitet und zwischen den drei Aufnahmeeinrichtungen für abgeschobene Migranten, die es in Honduras gibt, pendelt. Zwei davon, die in der Hauptstadt Tegucigalpa und die in der zweitgrößten Stadt San Pedro Sula, werden von den Schwestern des Ordens der Scalabrini gemanagt, die dritte vom Roten Kreuz. Dort, bei den Kollegen vom Roten Kreuz, ist Schwester Lidia Mara de Souza am nächsten Tag anzutreffen. »Hier koordinieren wir unsere Arbeit, tauschen uns aus, bevor ich später nach San Pedro Sula reise«, erklärt die Ordensfrau.

In der Industriemetropole des Landes befindet sich die größte Einrichtung in Honduras für zurückkehrende Mi­granten. Täglich setzt mindestens ein Flugzeug aus den USA mit 80 bis 110 Rückkehrern auf der Piste des Flughafens der Stadt auf, die nicht weit von der Grenze zu Guatemala entfernt ist. Das Logo der US-amerikanischen Polizei- und Zollbehörde United States Immigration and Customs Enforcement (ICE) prangt auf den Flugzeugen, die die Rückkehrer zu Fuß in Richtung Aufnahmeeinrichtung verlassen.

In der Industriemetropole des Landes befindet sich die größte Einrichtung in Honduras für zurückkehrende Mi­granten. Täglich setzt mindestens ein Flugzeug aus den USA mit 80 bis 110 Rückkehrern auf der Piste des Flughafens der Stadt auf, die nicht weit von der Grenze zu Guatemala entfernt ist. Das Logo der US-amerikanischen Polizei- und Zollbehörde United States Immigration and Customs Enforcement (ICE) prangt auf den Flugzeugen, die die Rückkehrer zu Fuß in Richtung Aufnahmeeinrichtung verlassen.

»Bien­venido a tu Tierra« (Willkommen in deinem Land), steht auf einem Plakat über dem Eingang zum Zentrum, das sich in einem separaten Teil neben dem Rollfeld befindet. »Bloß nicht die Geschäftsleute und die Touristen mit den oftmals traumatisierten Rückkehrern konfrontieren, lautet die De­vise«, so Schwester Lidia. Sie nimmt mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Abgeschobenen in Empfang. Doch begleiten bei ihrer Arbeit darf man sie nicht. Die zuständige Regierungsstelle hat Pressebesuche verboten, um die Migranten nicht unnötig zu stören. »Das ergibt Sinn«, meint die Nonne, »denn 2017 wurden Bilder der Einrichtung und Interviews mit Migranten im Wahlkampf genutzt.«

 

Gefährlicher Treck nach Norden

Den Missbrauch zu Wahlkampfzwecken will die Ordensfrau den Menschen ersparen, die meist den Treck durch den Süden Mexikos hinter sich haben, wo Kartelle, bewaffnete Banden und gewöhnliche Kriminelle lauern, um ihnen auf dem Weg in den Norden das letzte Bargeld abzunehmen, sie zu entführen, um die Familien zu erpressen oder Frauen wie Männer als Arbeits- oder Sexsklaven zu missbrauchen. Das alles sei »Teil der bitteren Realität vor allem im Süden Mexikos, wo das Kartell der Zetas aktiv ist«, berichtet die Nonne. Sie ist mit Herbergen an der Strecke in Kontakt, die den Migranten Obdach gewähren, sie versorgen und ihnen Tipps zur Weiterreise geben.

Etwa in der südmexikanischen Grenzstadt Tapachula und in ­Ixtepec, wo der katho­lische Priester Alejandro Solalinde sich seit Jahren um die Migranten kümmert, die auf den Dächern der Güterzüge gen Norden reisen. In Ixtepec wird rangiert, die Kleinstadt im Süden des mexikanischen Bundesstaats Oaxaca ist Ankunftsort für Züge aus dem Süden und Abfahrtsort für Züge in Richtung Norden. Ein Grund, weshalb dort immer Migranten anzutreffen sind. Der andere ist die Tatsache, dass die Menschen sich in der Herberge »Hermanos en el Camino« (Brüder auf dem Weg) ein paar Tage erholen, Kraft sammeln oder auf ihr Transitvisum durch Mexiko warten können.

So wie Gaby Tablada. Die Transfrau aus San Pedro Sula hat ihr Land wegen der gewalttätigen Attacken verlas­sen. »In Honduras stellt meine sexu­elle Orientierung für mich ein Risiko dar. Ich bin geflohen, weil ich meines Lebens nicht mehr sicher war«, sagt sie. Die Statistiken über Morde an Transfrauen und LGBTI geben ihr recht. Knapp 30 Morde an bekennenden Schwulen, Lesben, Trans- und Bisexuellen hat es 2018 bereits gegeben, so die Zahlen der Menschenrechtskommission von Honduras.

»Gewalt ist einer der Gründe, weshalb jedes Jahr mehr als 100 000 Honduranerinnen und Honduraner das Land verlassen, der andere ist die fehlende ökonomische Perspektive«, gibt Schwester Lidia ihre Erfahrungen aus der zehnjährigen Arbeit mit Migranten in Honduras wieder. Die decken sich mit jenen von Pater Solalinde, der immer wieder auf die Fluchtursachen aufmerksam macht: »In Honduras sind die Verhältnisse letztlich von einer Handvoll Familien dominiert. Wir haben es mit tiefgreifenden sozialen Problemen zu tun, die Konflikte werden oft mit Gewalt ausgetragen. Die maras (Jugendbanden) sind nur ein Ausdruck davon«, so der Geistliche. Er wollte die Herberge vor elf Jahren aus einem einzigen Grund aufbauen: »Ich hatte begriffen, dass die Migranten geschlagen, entführt, vergewaltigt, versklavt wurden, ohne dass es jemand interessierte. Deshalb habe ich den Bischof ersucht, die Herberge gründen zu dürfen. Ich wollte den Migranten zumindest einen sicheren Ort bieten, wo sie Luft holen können.« Das ist überaus wichtig für die rund 3 000 Kilometer lange Reise durch Mexiko, die jedes Jahr mindesten 300 000 Migranten aus El Salvador, Honduras und Guatemala antreten – Tendenz steigend.

Abstimmung mit den Füßen

Mindestens 100 000 davon kommen aus Honduras . Viele davon werden von der Grenzpolizei in Mexiko oder den USA aufgegriffen und dann zügig abgeschoben. 2018 waren es laut den honduranischen Migrationsbehörden 67 913 bis Anfang Dezember. Davon ­kamen rund 27 000 aus den USA und etwa 39 000 aus Mexiko zurück, von wo aus sie per Bus zum Grenzübergang Agua Caliente an der guatemaltekisch-honduranischen Grenze abgeschoben wurden. »Von dort machen die allermeisten auf dem Absatz kehrt und versuchen es noch einmal«, schildert Schwester ­Lidia ihre Erfahrungen an dem Grenzübergang, wo sie mit den Kollegen vom Roten Kreuz wiederholt im Einsatz war. Der Grund dafür ist einfach. »Es ist nicht nur die fehlende Perspektive, sondern auch die Tat­sache, dass die Schlepper für die einmalige Zahlung von 7 000 bis 12 000 US-Dollar drei Anläufe anbieten, um in die USA zu kommen«, erklärt sie mit einem Schulterzucken die Hintergründe.

Meist pendelt die Ordensfrau jedoch zwischen Tegucigalpa und San Pedro Sula, wo die Flugzeuge mit den aus den USA Abgeschobenen landen. Den ­unfreiwilligen Rückkehrern will sie zumindest die Ankunft mit Beistand, ein paar Tipps und etwas Essen erleichtern. »Jede und jeder, die oder den wir davon abhalten können, wieder auf den Treck gen Norden zu gehen, ist ein ­Erfolg für uns«, sagt die quirlige Frau, um deren Hals eine Kette mit einem silbernen Kreuz baumelt. Philosophie hat sie studiert, einen Master in Poli­tologie mit Schwerpunkt Migration in Rom gemacht, bevor sie 2008 für den Scalabrini-Orden die Arbeit in Honduras aufnahm. »Wir haben uns der ­Arbeit mit den Migranten überall verschrieben und sind in rund 25 Ländern aktiv«, erklärt sie. Ihren Optimismus hat sie in Honduras nicht eingebüßt, auch wenn die Arbeitsbedingungen ­alles andere als einfach sind in dem von Korruption, Erpressung und Straflosigkeit geprägten mittelamerikanischen Land. Für de Souza haben die Menschen das Recht, mit den Füßen abzustimmen. »Auswanderung ist ein Grundrecht, nicht auszuwandern aber auch«, sagt die Nonne. Dann vibriert ihr Telefon. Eine Nachricht von Kollegin Karen Nuñez, die sie bittet, im Büro vorbeizukommen.

 

Wieder klein anfangen

15 Minuten später, nach einem schnellen Abschied von den Kollegen vom Roten Kreuz, ist sie am Bischofssitz in einer parkähnlichen Anlage außerhalb der Hauptstadt angelangt. Dort sitzt Nuñez neben dem Schreibtisch ihrer Kollegin und unterhält sich mit Héctor Pérez. Er ist ein Rückkehrer, dem der Orden helfen konnte. Einer derjenigen, die ohne die erhofften US-Dollar zurückkamen – aber auch ohne sein linkes Bein. »Ich bin vom Dach des Güterzugs gefallen, der mich nach Norden bringen sollte. La Bestia hat mir dann das linke Bein unterhalb des Knies abgetrennt«, erinnert er sich an seine Reise in Richtung USA. La Bestia (die Bestie) nennen die Migranten die Güterzüge, auf deren Dächern sie pro Etappe 20 Stunden und mehr ausharren, um weiter gen Norden zu kommen.

Schnell und billig an die US-Grenze gelangen, das wollte auch Pérez. Doch sein Traum endete auf offener Strecke in einem Wüstenstreifen bei Los Abejones im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca. Fast verblutet wäre der damals 17jährige, dem die Ärzte später noch den Oberschenkel bis zur Hüfte amputierten, denn das Bein hatte sich infiziert.

Es ist einer von Hunderten solcher Fälle, die Nuñez kennt. Sie ist für das Programm des Ordens für Migranten zuständig, die mit schweren Verletzungen wie Amputationen nach Honduras zurückkehren. Mehr als 700 Namen von Menschen, denen das Hilfsprogramm helfen konnte, stehen in ­ihrem Computer. Der heute 37jährige Pérez, ein kräftiger, großgewachsener Mann, ist einer derjenigen, die am längsten mit ihrer Behinderung leben. »1998, direkt im Anschluss an den Hurrikan Mitch, der Honduras und mehrere Nachbarländer verwüstete, bin ich losge­zogen. Ich wollte US-Dollar verdienen, um meiner Familie beim Wiederaufbau zu helfen. Ein Traum, der sich neben dem Gleis in Luft auflöste«, sagt der Mann, der in Tegucigalpa neben dem Einkaufszentrum »Premier« Handy­zubehör anbietet. Adapter, Kabel, Speicherkarten und Powerbanks hat er im Angebot, von dem Erlös konnte er bis vor kurzem leben. Das kirchliche Hilfsprogramm fördert die Gründung von Kleinstunternehmen, von der Schusterei bis zur pulpería, einem Tante-Emma-Laden. Rund 70 der geförderten Kleinunternehmen funktionieren. Darunter war auch der Laden von Pérez, nur haben ihm die mareros, Mitglieder einer kriminellen Jugendbande, im November 2017 die Tageseinnahmen und alle seine Waren abgenommen. »Seitdem habe ich nur noch ein knappes Angebot und muss mich durchschlagen«, sagt der zuckerkranke Fußballfan genervt.

Kicken trotz Amputation

Eine Invalidenrente oder irgendeine staatliche Unterstützung erhält er nicht. »In Honduras gibt es noch nicht einmal Medikamente im Krankenhaus. Selbst die Handschuhe für die Behandlung muss ich bezahlen«, kritisiert Pérez die Verhältnisse. Ohne die Hilfe seiner Mutter und später seiner Frau, die mit dem Verkauf von Tortillas Geld verdienen, wäre er kaum zurechtgekommen. Auch die Arbeit mit Nuñez hilft ihm. Bei »Conamiredis«, dem ­Programm für versehrte Migranten, arbeitet er seit rund sieben Jahren mit. Er hilft Neuankömmlingen, die ähnliche Erfahrungen wie er gemacht haben, beim Neustart, motiviert und sorgt für Kontakte. Sich nicht unterkriegen zu lassen, obwohl Behinderte in Honduras es sehr schwer haben, sei für ihn selbstverständlich. Jüngstes Beispiel ist die Gründung einer Fußballmannschaft mit ein paar Mitstreitern: »Alles Migranten, alle zurückgekehrt und alle mit einem Arm oder Bein weniger«, sagt Pérez in seiner direkten Art. Aus Kleinstädten wie El Progreso, La Ceiba oder Santa Rosa de Copán kommen die Kicker, aber auch aus den beiden Metropolen San Pedro Sula und Tegucigalpa. Rund um die Weihnachtstage steht ein erstes kleines ­Turnier mit anderen Versehrtenmannschaften an – für Pérez das Highlight zum Jahresende. Möglich gemacht hat das Nuñez. Sie hat über das Rote Kreuz Geld für die Trikots, spezielle Unterarmstützen, ein paar Bälle und für die Fahrten zum Training und zu den Spielen gesammelt.

Das Team von Kapitän Pérez hat das sehr motiviert und die Kicker haben sich einen aussagekräftigen Namen gegeben: »Conamiredis eben«, sagt ­Pérez und lächelt Nuñez zu, die gegenüber sitzt und mit Schwester Lidia ­gerade Organisatorisches besprochen hat. »Die Fußballmannschaft macht ­etwas sichtbar, das in dieser Gesellschaft bisher kaum sichtbar ist: Menschen mit Amputationen, die Sport treiben, sind hier etwas vollkommen Neues«, sagt die 35jährige Ordensfrau. Dass ihr Programm nun ein eigenes Team auf den Rasen schickt, hat sie dem Organisationstalent und der Begeisterungs­fähigkeit von Pérez zu verdanken. Der hat es nun eilig, zur Arbeit zu kommen, denn spätestens am Mittag will er ­seinen kleinen Stand am Einkaufszentrum öffnen. Auch Schwester Lidia mahnt nun zum Aufbruch, denn am Nachmittag will sie den Abschiebe­flieger aus den USA in San Pedro Sula empfangen. Diesmal wird sie Nuñez begleiten, denn unter den Passagieren soll es zwei Krankheitsfälle geben. ­Denen wollen die beiden Hilfe anbieten. Für die anderen Rückkehrer bleibt ­wenig mehr als der seelsorgerische Beistand.
Anmerkung: Die Recherche wurde vom Evangelischen Entwicklungsdienst gefördert.