Die rechte Agitation gegen das Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik

Bolschewisierung und Volkstod

Gegen das Ende 1918 eingeführte Frauenwahlrecht in der Weimarer Republik gab es Protest – auch von rechten Frauen.

Als am Abend des 19. Januar 1919 die Lokale zur Wahl der Nationalversammlung schlossen, war damit nicht nur die erste reichsweite Wahl der Weimarer Republik abgeschlossen, sondern auch die erste Stimmab­gabe, bei der alle deutschen Frauen ab dem 21. Lebensjahr das aktive und passive Wahlrecht wahrnehmen konnten. Eine jahrelange Kampagne rechter Vereine gegen die Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland fand damit ihr Ende.

Bis zuletzt hatten nationalistische Organisationen versucht, das Frauenstimmrecht zu kippen. In Charlottenburg reichte eine Gruppe von Frauen eine Petition ein, die wesentliche Argumente der Rechten gegen das Frauenwahlrecht zusammenfasste. Es drohe die »Verweiblichung des Staates«, außerdem würde die »natürliche Arbeitsteilung« zwischen Mann und Frau durch ein Vordringen der Frauen in öffentliche Ämter durcheinandergebracht. In Neuseeland, wo das aktive Frauenwahlrecht bereits 1893 eingeführt worden war, sei ein Rückgang der Zahl der Ehen und Geburten zu verzeichnen, heißt es in der Petition. Die emanzipierte Frau, die das Stimmrecht besitze, sei »zu häuslicher ­Arbeit unlustig und unfähig«. »Wo aber die Frau ihr ureigenstes Wesen verleugnet, wird bald auch der rechte deutsche, kraftvolle Mann verschwinden – zum unwiederbringlichen Schaden unseres Volkstums«. Die Frauenbewegung bildete in der rechten Agitation gegen das Frauenwahlrecht eine ideale Projektionsfläche für die verschiedensten Facetten einer als bedrohlich wahrgenommenen Moderne: Als ein akt organisierter Unordnung wirke die Frauenbewegung autoritätszersetzend. Die Verfasserinnen sahen in der Einführung des Frauenwahlrechts den Beginn einer verhängnisvollen Kettenreaktion, die den Mann verweibliche und die Frau vermännliche. An deren Ende stehe – wie sollte es in rechten deutschen Dystopien anders sein – der »Volkstod«.

Die Demokratie, der Klassenkampf und die internationale Frauenbewegung waren dem Deutschen Bund gegen Frauenemanzipation zufolge Mittel der Juden, den Staat von innen zu zerstören und so das deutsche Volk wehrlos zu machen.

Neben der Angst vor dem Aufweichen der tradierten Geschlechterrollen wurde das Frauenwahlrecht auch als Ausdruck einer nahenden »Bolschewisierung Deutschlands« nach russischem Vorbild verstanden. »Die Grenzen zwischen den beiderseitigen Arbeitsgebieten sind verwischt, und erbittert tobt der Kampf der Geschlechter um Erwerb und Brot und schafft das Berufsproletariat, das immer ein Zeichen völkischen Niedergangs ist«, steht in der Petition. Die Frau werde durch die Herauslösung aus ihrem »natürlichen« Aufgabengebiet (Kinder, Küche, Kirche) »sozialisiert«. Darauf fußt ein unter Antikommunisten bis in die fünfziger Jahre kolportiertes Gerücht, wonach in der Sowjetunion nicht nur die Produktionsmittel, sondern auch die Frauen als Gemeingut gelten und dementsprechend in polygame Verhältnisse gezwungen würden.

Die Charlottenburger Petition wurde vom Deutschen Bund gegen die Frauenemanzipation (DBgF) verbreitet. Der DBgF gründete sich 1912 als Gegenkraft zur erstarkenden Suffragettenbewegung im Deutschen Reich. Mehrheitlich stammten die Angehörigen des Bundes aus dem Akademiker- und Angestelltenmilieu, knapp ein Viertel der Mitglieder war weiblich, was damals ein überdurchschnittlich hoher Frauenanteil für eine politische Organisation war. Eine Vielzahl der während des Ersten Weltkriegs veröffentlichten Pamphlete des Bundes argumentierte wie die Petitionierenden von 1919. Häufig trugen die Texte klar antisemitische Züge. Der Kieler Studienrat und Ehrenvorsitzende des DBgF, Ludwig Langemann, suchte in einem Aufsatz »die Zusammenhänge zwischen Semitismus, Demokratismus, Sozialismus und Feminismus« sowie die angebliche jüdische Urheberschaft der Frauenbewegung aufzudecken. Die Demokratie, der Klassenkampf und die internationale Frauenbe­wegung seien Mittel der Juden, um den Staat von innen zu zerstören und so das deutsche Volk wehrlos zu machen. Insbesondere die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Suffragettenbewegung brachte dieser den Vorwurf ein, das eigene Wohl über nationale Interessen zu stellen und mit supranationalen Kräften zu paktieren, womit nichts anderes als das Judentum gemeint war.

Die rechten Proteste blieben erfolglos; der Rat der Volksbeauftragten führte am 12. November 1918 das Frauenwahlrecht ein und die Wahl zur Nationalversammlung fand statt, zum »Volkstod« kam es indes nicht. Gerade einmal 8,7 Prozent der zu vergebenden Mandate gingen an Frauen. Insgesamt 37 Frauen standen 386 Männern gegenüber. Die USPD stellte dabei den größten relativen Frauenanteil mit 13,6 Prozent (drei von insgesamt 22 Abgeordneten), ­gefolgt von der MSPD mit 11,7 (19 von 165). Doch auch die rechten Parteien entsandten Frauen. Der Fraktion der größten rechtsextremen Partei der Weimarer Republik, der Deutsch­nati­o­nalen Volkspartei (DNVP), gehörten drei Frauen an (6,8 Prozent).

Frauen zur Wahl aufzustellen, war in der neugegründeten DNVP, die sich als rechte Sammlungspartei verstand, keineswegs unumstritten. Obschon sich unter den potentiellen Wählern und Parteimitgliedern viele Frauenwahlrechtsgegner und Protagonisten des DBgF befanden, schaffte es die DNVP rasch, politische Strukturen für Frauen innerhalb der Partei zu etablieren. Auf die Stimmen der Frauen konnte die Partei nicht verzichten. Die DNVP versuchte gezielt, Frauen für die Mitarbeit zu gewinnen, die bereits länger politisch organisiert waren. Zu den Gründungsmitgliedern zählten etwa die christliche Gewerkschaftsfunktionärin Marga­rete Behm und die Publizistin Lenore Kühn, die während des Krieges die Redaktion des Zentralorgans des nationalistischen Alldeutschen Verbands leitete. Das Verhältnis der rechten Frauen in der DNVP zum Frauenwahlrecht blieb jedoch ambivalent. Selbst jene, die durch das neue Recht ein politisches Mandat übernehmen konnten, lehnten Demokratie und Republik ab und warben weiterhin für ein Lebensmodell, in dem die Frau ihr Wohl im Opfer für Familie, Volk und Nation sehen sollte, nicht im Streit für ihre politischen Rechte. Die »politisierte Frau« war für sie eher mit der verhassten Demokratie und dem Sozialismus verbunden als mit ihren eigenen Lebenswegen.

Dass schließlich eine ganze Generation rechter Frauen im Kampf gegen die weibliche Politisierung ihre eigene Politisierung erlebte, wurde von diesen kaum als Widerspruch wahrgenommen. Die rechten Parlamentarierinnen sahen sich nicht als Vorbild, sondern als eine Elite, die dafür sorgte, dass die anderen Frauen es ihnen nicht gleichtun mussten und sich stattdessen ganz auf das Kinderkriegen konzentrieren konnten. Die deutschnationalen Frauen propagierten ein Konzept der Mütterlichkeit, in dem eine Art ideelle Gesamtmutterschaft des Volks die reale individuelle Mutterschaft überragte und das eigene politische Engagement einschloss. Ihr Wirken begriffen sie im Dienste der Reproduktion, Reinhaltung und sittlichen Erziehung des Volks.

Dieses Konzept trieb mitunter erstaunliche esoterische Blüten. So begründete etwa die kinderlose und mehrfach geschiedene Kühn ihr politisches Engagement nach dem ­Ersten Weltkrieg in ihrer Schrift »Magna Mater« 1928 rückblickend mit der notwendigen Wiederherstellung ursprünglicher Reproduktionsverhältnisse.

In einer Welt der Anarchie, Prostitution und Homosexualität sah sich Kühn als Mahnerin, um den nahenden Untergang des Volks abzuwenden. Das Wissen über die »Große Urmutter« verbreitend, ermahnte sie die deutschen Frauen, die Reproduktionsarbeit als ihre volksrettende Mission zu erkennen. So dichtete die Verfasserin ekstatisch: »Jauchzet! Schwestern! Zerreißt eure Kleider! Tut auf eure Leiber, die Einheit zu empfangen!« Mit Einheit war keine individuelle Sexualität gemeint, sondern das Aufgehen in einem ursprünglichen Volksganzen. Die Frauen sollten sich als bloße »Gefäße« des Volkes begreifen, dessen Inhalt sie von Generation zu Generation weiterzutragen hätten. Wenngleich sich nicht alle rechten Frauen als Dienerinnen eines archaischen Mutterkults sahen, so war das darin ­vermittelte, antliberale Verhältnis von Geschlecht und Politik im Selbstverständnis all dieser Frauen enthalten. Die rechtsextremen Politikerinnen der ersten Generation und die Gegner des Frauenwahlrechts stimmten in diesem Punkt überein, für alle galt: jede Handlung unter dem Primat des Volkstums. Der Dissens der beiden Lager lag nicht im Gegensatz von weiblicher Autonomie und Unterordnung begründet, sondern in der Frage, ob die Frau sich in selbstätig dem »Volksinteresse« unterwerfen oder ob sie dies vermittelt über die Autorität des Mannes tun solle. Die Opferbereitschaft galt allen als ehrbarste weibliche Tugend. Das Frauenwahlrecht selbst war somit kein Garant dafür, dass sich die gewählten Frauen auch für weibliche Selbstbestimmung einsetzten.