Eine Kritik der »dritten Geschlechtsoption«

Der liberale Patriarch

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Mit der dritten feministischen Welle setzte sich jedoch eine andere Tendenz durch: die zur Vervielfältigung von Geschlechtern. Die patriarchale Norm der Zweigeschlechtlichkeit wurde nun weniger kritisiert, weil sie gegen die tatsächliche Gleichheit aller Menschen verstieß, sondern vielmehr weil die Gewalt ihrer groben ­Kategorien die wirkliche Vielfalt der Menschen verschleierte. Das Menschengeschlecht, hieß es, bestehe aus so vielen Geschlechtern wie es Menschen gibt.
Historisch wie logisch, im Recht wie im Rest des Lebens sind das die zwei möglichen Optionen: kein Geschlecht oder viele. Die dritte Option – viele ­Geschlechter plus zwei weitere – bewegt sich neuerdings im Rahmen des gesetzlich Erlaubten, aber weiterhin im Rahmen des logisch Unerlaubten. Laut deutschem Personenstandsrecht soll es nun drei Geschlechter geben, von denen das dritte (im Singular) den ­Namen divers (verschieden) trägt. »Männlich, weiblich, divers« ist jedoch logisch so sinnvoll wie »Mann, Frau, Geschlecht« beziehungsweise »Löffel, Gabel, Besteck«. Wenn es die überaus reiche, tendenziell unendliche Kategorie der Diversität gibt, warum dann zusätzlich noch an zwei Sondergeschlechtern festhalten?

Ein alter Slogan der zweiten Frauenbewegung lautete: »Könnten Männer schwanger werden, ließen sich Abtreibungen beim Barbier vornehmen.« Wie lässt sich dieser Slogan in der Gegenwart, angesichts der juristischen Auseinandersetzungen von schwangeren Männern, verstehen?

Historisch betrachtet, angesichts der Geschichte geschlechtlicher Herrschaft, ist dieses Gesetz ein großer Schritt: Die Regierung des mächtigsten Staats in Europa gesteht ein, dass die juristische Fiktion der Zweigeschlechtlichkeit ein ideologischer Unfug war. Gemessen an den Bedürfnissen der lebenden Menschen ist es jedoch ein armseliges Gesetz, ebenso elend wie das deutsche Abtreibungsgesetz. Auf dem Papier gibt es jetzt zwar eine Vielzahl von Geschlechtern, mit den realen, gelebten Geschlechtern haben diese weiterhin wenig zu tun. Denn die ­medizinischen und psychiatrischen Zwangsuntersuchungen, die der Staat für einen Wechsel des Geschlechtseintrags verlangt, haben einen normierenden wie abschreckenden Charakter. Auch wenn das Bundesverfassungs­gericht dies im vergangenen Jahr verneinte, verletzen die ­pathologisierenden Verfahren die Menschenwürde und sicherlich den Gleichbehandlungsgrundsatz. Schließlich ist die Zwangsuntersuchung nicht für alle Geschlechter vorgesehen. Das Gesetz, das Diskriminierung beheben soll, ist so selbst diskriminierend. Es hat den Zweck, eine Ordnungsphantasie aufrechtzuerhalten, welche die Menschheit weiterhin in zwei Geschlechter teilt – normale und kranke. Damit folgt es dem neoliberalen Erfolgsmodell von Öffnung und Einhegung, das die Ordnung sichert, indem es das, was sich ihr tendenziell entzieht, in diese integriert. In seinem unbedingten Ordnungswillen inszeniert sich der Gesetzgeber bei Schwangerschaftsabbruch wie Personenstandrecht als liberaler Patriarch: Er gewährt Ausnahmen, vergisst dabei aber nicht, klarzustellen, dass es sich um Geschenke von Staates Gnaden handelt.

Die minimale Änderung gegenüber dem ursprünglichen Entwurf zur dritten Option aus Horst Seehofers Innenministerium, zu der sich die Bundes­regierung hat durchringen können, zeichnet sich durch eine beeindruckende Dreistigkeit aus. Menschen, bei ­denen ein ärztliches Attest »nicht möglich« ist, »dürfen« stattdessen eine ­eidesstattliche Erklärung abgeben. Was sollen sie erklären? Dass sich ihr Geschlecht nicht mehr ändern wird? Woher sollten sie das wissen, wenn das niemand wissen kann? Dass sie ihr wahres Geschlecht zu Protokoll geben? Was sollte das sein, wenn Geschlecht ein Ensemble von Konventionen ist? Dass sie nicht in betrügerischer Absicht handeln?

Super-Idee. Schließlich könnten Menschen, so wie sie Abtreibung als bequeme Alternative zur Verhütung verwenden, auch ihren Geschlechtseintrag ändern, um sich Vorteile bei der juristischen Schnäppchenjagd zu sichern. Der genialste Einfall dabei ist, Leute würden einen männlichen Eintrag zugunsten eines weiblichen aufgeben, um an die mickrigen Frauenförderungen zu kommen, die der deutschen Staat gewährt. Viel näher läge da ja die massenhafte Migration vom weiblichen zum männlichen Eintrag, um an gleichen Lohn, ausreichende Rente, Führungspositionen und ­einen entspannten Nachhauseweg zu kommen. Daran zeigt sich bereits, wie geschlechtliche Ausbeutung und geschlechtliche Identitätszuweisungen zusammenhängen. Das gilt auch für die Reproduktionspolitik. Als hätten die Gesetzgeberinnen gespürt, dass das Öffnen der geschlechtlichen Grenzen auch Auswirkungen auf die Kontrolle der Reproduktion haben könnte, sind die beiden Gesetze, die zufällig am selben Tag verhandelt wurden, mitein­ander verschränkt.

Ein alter Slogan der zweiten Frauenbewegung lautete: »Könnten Männer schwanger werden, ließen sich Abtreibungen beim Barbier vornehmen.« Wie lässt sich dieser Slogan in der Gegenwart, angesichts der juristischen Auseinandersetzungen von schwangeren Männern, verstehen? Das Bundesverfassungsgericht hat 2017 mit dem bereits bekannten Willen zur Widersinnigkeit entschieden, dass ein Vater, der ein Kind gebiert, in der Geburtsurkunde als Mutter ­eingetragen werden muss. Das Patriarchat bröckelt an mehreren Seiten. Doch die geschlechtliche Ordnung muss geschützt werden, auch um den Preis des weiteren Wahnsinns.