Nord Stream 2 ist für den russischen Energiekonzern Gazprom entscheidend

Verlustgeschäft für Gazprom

Deutschland und Russland halten an der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 fest. Die Ukraine befürchtet, durch das Projekt erneut in Gefahr zu geraten.

Angesichts aller politischen Differenzen zwischen Deutschland und Russland ist es bemerkenswert, wie sehr sich die Rhetorik der Führungen beider Länder gelegentlich ähnelt. So verhält es sich auch beim umstrittenen Bau einer ­Gaspipeline durch die Ostsee von der russischen Küste bis nach Greifswald. Die Pipeline Nord Stream 2 soll noch in diesem Jahr ihren Betrieb aufnehmen und russisches Gas nach Westen transportieren. Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat lange Vorarbeit geleistet, Angela Merkel setzt sich ebenfalls dafür ein. Dabei vertritt die Bundesregierung den Standpunkt, es handele sich um ein rein wirtschaftliches Projekt. Vom russischen Präsidenten Wladimir Putin, der seinerseits auf rein kommerzielle Hintergründe verweist, erwartet ohnehin niemand etwas Anderslautenden.

Das russische Unternehmen Gazprom hat im vergangenen Jahr, abweichend vom ursprünglichen Plan, seinen Investitionsanteil für den Bau der Pipeline von anderthalb Milliarden Euro um etwa 300 Millionen reduziert. Insgesamt aber stockte der Konzern seine Ausgaben für Infrastrukturprojekte weiter auf, zu denen insbesondere auch der Bau der nördlich des Baikalsees bis nach China verlaufenden Pipeline »Kraft Sibiriens« zählt. Russland zielt beim Energieexport, der größten Einnahmequelle des Landes, auch auf den asiatischen Markt, doch der europäische Markt verspricht weitaus ­höhere Einnahmen aus dem Energierohstoffgeschäft. Immerhin soll Nord Stream 2 künftig über ein Viertel des russischen Gasexports abdecken. ­Gazprom forciert den Verkauf von Gas ins Ausland. 2017 erwies sich in dieser Hinsicht mit knapp 194 Milliarden Kubikmetern als neues Rekordjahr. Deutschland steht ganz oben auf der Liste der Abnehmerländer.

Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos kritisierten die Regierungen Litauens und der Ukraine, Russland benutze Nord Stream 2 als Waffe; Deutschland solle seine Position überdenken. Die Ukraine befürchtet durch Nord Stream 2 erhebliche Einbussen ihrer bisherigen Transiteinnahmen für ­Gaslieferungen von Russland in die EU. Klare Regelungen, ob und zu welchen Konditionen der Gastransit auch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 weiter erfolgen soll, liegen trotz Gesprächen bislang nicht vor.

Ob sich die getätigten Investitionen in laufende ambitionierte und extrem aufwändige Pipelinebauten am Ende gesamtwirtschaftlich rechnen, ist eine andere Frage. Der Umfang der zukünftigen Gaslieferungen und die Höhe der Einnahmen hängen von diversen Faktoren ab, nicht zuletzt von der Ölpreisentwicklung. Nord Stream 2 verspricht durch die direkte Zuleitung ohne Transitstationen zumindest einen ungestörten Verlauf beim Gasexport nach Europa. Wenngleich es in der Europäischen Union, allen voran in Polen, den baltischen Staaten und Dänemark, heftige Kritik am Pipelinebau gibt, stellt sich niemand ernsthaft quer. Auch zeichnet sich trotz geltender EU-Sanktionen ­gegen Russland kein Bruch in der Kooperation im strategisch wichtigen Energiesektor ab. Mit seinen riesigen Gasvorkommen lässt sich Russland ­ohnehin nicht so einfach vom Markt verdrängen. So gesehen muss sich ­Putin um das Europageschäft vorerst keine Sorgen machen.

Ganz so rosig stellen sich die Perspektiven dennoch nicht dar. Im Mai 2018 sorgte ein von Finanzanalytikern der staatlichen russischen Sberbank Investment Research verfasster Bericht für Aufsehen. Eigentlich war das Papier gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Darin bescheinigten die Autoren Gazprom herbe Verluste beim Bau gleich mehrerer Megaprojekte. Bei der »Kraft Sibiriens« lägen die Baukosten um elf Milliarden Dollar über den zu erwartenden Einnahmen, hauptsächlich weil sich der Konzern für die deutlich längere Route und die kostspieligere Variante entschieden hatte. Die Ausgaben für die Pipeline Turkish Stream im Süden werden sich den Prognosen zufolge erst in einem halben Jahrhundert, bei Nord Stream 2 frühestens in 20 Jahren amortisieren. Es sei bei beiden insgesamt mit einem Minus von 17 Milliarden Dollar zu rechnen.

Der damalige Leiter der Sberbank Investment Research, Aleksej Kudrin, und einer der Autoren des Papiers, Alexander Fak, wurden daraufhin ent­lassen, nicht aufgrund der im Bericht angeführten rechnerischen Prognosen, sondern wegen der Benennung der eigentlichen Profiteure. Die nämlich ließen sich im unmittelbaren Umfeld von Wladimir Putin finden. Ganz groß im Pipelinegeschäft stünden ­Arkadij Rotenberg und Gennadij Timtschenko, die wesentliche Anteile an Stroygazmontazh beziehungsweise Stroytransneftegaz halten. Beides sind Auftragnehmer von Gazprom. Herman Gref, Präsident der Sberbank, sprach von »groben Überschreitungen ethischer Normen« und beschuldigte Fak, Rückschlüsse aus ungeprüften und nicht haltbaren Angaben gezogen zu haben, um den Markt zu täuschen. Gazprom äußerte sich nicht zu dem Papier.

Fak war bereits zuvor immer wieder mit kritischen Rechercheergebnissen aufgefallen. Im Mai 2017 kam er zu dem Schluss, dass der staatliche Ölkonzern Rosneft über drei Quartalsperioden hinweg eine Negativbilanz verzeichne und auf Kredite angewiesen sei. Einige Monate später trug ein Kapitel in einem unter anderem von ihm für Sberbank Investment Research erstellten Report den verfänglichen Titel »Rosneft: We Need to Talk About Igor«. Gemeint war der Rosneft-Manager Igor Setschin, ­einer der mächtigsten Männer Russlands, der lieber im Hintergrund agiert, als sich der Öffentlichkeit zu stellen. Eine der Thesen stellte die Effektivität von Rosneft und seiner Leitung in Frage. Prompt reagierte der Rosneft-Pressesprecher Michail Leontjew mit der Anschuldigung, der Fall grenze an pathologisches Verhalten. Die Sberbank zog den Bericht zurück und entschuldigte sich.

Am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos kritisierten die Regierungen Litauens und der Ukraine, Russland benutze Nord Stream 2 als Waffe; Deutschland solle seine Position überdenken. Die Ukraine befürchtet durch Nord Stream 2 erhebliche Einbussen ihrer bisherigen Transiteinnahmen für ­Gaslieferungen von Russland in die EU. Klare Regelungen, ob und zu welchen Konditionen der Gastransit auch nach Inbetriebnahme von Nord Stream 2 weiter erfolgen soll, liegen trotz Gesprächen bislang nicht vor. An ein Lang­zeitabkommen ist derzeit ohnehin nicht zu denken. Die Ukraine verliert aber durch den Pipelinebau auch ihre Position bei der Gasverteilung nach Westen. Das Risiko steigt, dem russischen Druck dann noch schutzloser ausgeliefert zu sein. Dass es vor den für Ende Mai geplanten Präsidentschaftswahlen in der Ukraine zu einer Einigung kommen wird, ist unwahrscheinlich. Die russische Regierung wird vermutlich abwarten, wer nach Petro Poroschenko das Amt des Präsidenten übernehmen wird. Zurzeit kann Poroschenko sich kaum Chancen auf eine Wiederwahl ausrechnen. Andrej Kobolew, der Leiter des staatlichen ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz, befürchtet, Russland könne sich dem Abschluss eines neuen Transitvertrags komplett entziehen.

Genauso finden sich aber auch optimistischere Einschätzungen, wie die des ukrainischen Wirtschaftsexperten Jewgenij Newmerschizkij. Ökonomisch ­betrachtet bringe Russland der Transit durch die Ukraine klare Vorteile, zudem könne Nord Stream 2 gar nicht den gesamten Lieferbedarf abdecken.

Aus den USA steigt indes der Druck auf die am Bau der Pipeline beteiligten Firmen. Das Repräsentantenhaus sprach sich einstimmig gegen das Projekt aus. Die russische Regierung ­sagte, diese Entwicklung bringe nichts Neues. Solange sie sich auf ihre Bündnispartner in der EU, allen voran Deutschland, in energiepolitischer Hinsicht verlassen kann, demonstriert die russische Führung Gelassenheit.