Das neue Album der Goldenen Zitronen ist eine Enttäuschung

Mach Limonade draus

»More Than a Feeling«, das neue Album der Goldenen Zitronen, ist nicht gut, sondern nur gut gemeint.

Im Oktober 2014 spielten Die Goldenen Zitronen im Berliner Konzertsaal Astra. Liveauftritte dieser Band sind für gewöhnlich eine sehr angenehme Sache: witzig, intim, nett, als würde man alte Freunde nach langer Zeit wiedersehen und sofort wieder einen guten Draht zu ihnen haben. Nicht so an diesem Abend. Das lag aber erstmal weniger an der Band als viel mehr am Publikum und dessen Wunsch nach einer fetten Sause. Lauthals grölten einige, die Band möge doch ihren Klassiker »Für immer Punk« spielen, was einge­fleischten Fans nur seltsam vorkommen kann, ist doch dieses Lied aus einer Phase, die die Band längst hinter sich gelassen hat, die ihnen zwar nicht peinlich ist, aber mit den Goldenen Zitronen von heute nur noch wenig zu tun hat. Entsprechend amüsiert fiel die Antwort von Sänger Schorsch Kamerun aus, der mit dem Hinweis, er könne den Text wahrscheinlich gar nicht mehr auswendig, verkündete, dass sie ihn nicht spielen würden. Stattdessen spielten sie einen anderen Klassiker, nämlich »Wenn ich ein Turnschuh wär«, ein Lied, das schon 2006, lange vor der »Flüchtlingskrise«, die Flucht von Menschen thematisierte. Dieses Lied, das nur mit spärlichem Einsatz von Instrumenten auskommt, ist ein mahnender und gleichzeitig zynischer Song: Aus der Sicht eines Flüchtlings wird die schier aussichtslose Reise über das Mittelmeer beschrieben, dessen Einsicht zum Schluss ist, dass es Waren wie Schuhe viel leichter als Menschen haben, das Wasser zu überqueren. Für den Moshpit vor der Bühne war dieses Stück eine Partyhymne, die sie zum Mitpfeifen und Mitklatschen anregte. Selbstredend gibt es keine »angemessene« Form, auf Musik zu reagieren – doch die Stimmung kippte, und zwar merklich unangenehm.

Seit über 30 Jahren machen die Goldenen Zitronen nun schon Musik, und seit ihres Bestehens sind sie als politische, als linke Band verstanden und rezipiert worden, allerdings weniger als Aushängeschild, sondern als Korrektiv der Linken. Wieso nun auf einmal dieses Insistieren darauf, politisch zu sein?

Die Goldenen Zitronen, die als recht klassische Punkband angefangen hatten, veränderten sich Ende der Achtziger radikal und traten von da an nur noch in Uni­formen oder in Frauenkleidern auf, um die dumpfen Teile ihres dama­ligen Publikums vom Mitschunkeln abzuhalten. Funktioniert hatte diese Taktik nur bis zu diesem Abend.

Fast schon trotzig ließ sich Schorsch ­Kamerun daraufhin auf Stagediving ein – der Abend wurde immer ab­surder.

Der Rest der Band spielte nun regelrecht gegen ihr Publikum: Als sie dazu ansetzte, ihren Song »Menschen haben keine Ahnung« zu spielen, raunte Gitarrist Ted Gaier noch ein schnelles »Aus gegebenem Anlass« in das Mikrophon, als sie später ältere Titel brachten, kam ein trotziges »Das kennt ihr eh nicht« dazu.

Nach so einem Konzert nimmt man eigentlich an, dass eine Band wie die Goldenen Zitronen, die, wie schon bemerkt, nicht unerfahren damit ist, ihrem Publikum einen Streich zu spielen, sich etwas überlegt, um genau diesen Leuten nicht mehr zu gefallen. Ihr 2013 erschienenes Album »Who’s Bad« wäre zwar musikalisch genau eine solche Absage, hatte aber diesen Zweck anscheinend nicht erfüllt.

1991 erschien auf »Fuck You«, der ersten bemerkenswerten Platte der Band, und nicht zufällig die erste nach ihrer Fun-Punk-Phase, mit dem Lied »Alles was ich will (Nur die Regierung stürzen)« ein Stück, das so infantil wie ironisch der Revolution frönte und deren Gewaltaufrufe so schlecht und albern gereimt waren, das jedem Zuhörer klar sein musste, dass dieser, wenn auch im Kern ernstgemeinte Aufruf zum Aufstand einer war, der sich wiederum selbst über Aufrufe zum Aufstand lustig machte. Wem das nicht gleich klar wurde, der bekam zehn Jahre spä­ter eine erneute Abreibung: Auf dem Album »Schafott zum Fahrstuhl« (schon wieder eine alberne Anspielung) hieß der vorletzte Song »Von den Schwierigkeiten, die Regierung stürzen zu wollen«. Es handelte sich  um ein Cover des ersten Liedes, allerdings war der Text diesmal gesprochen und die Musik hatte sich den Veränderungen der Band angepasst: statt punkiger Gitarrenriffs schnurrte ein Synthesizer im Hintergrund, all das eine Komplettabsage an die Fans von früher. Mit der Revolution ist es eben schwieriger, als manch einer gern glauben möchte.

Diese Komplexitätssteigerung der eigenen Produktion, diese ewige Reflexion in Text und Melodie, machte die Musik der Goldenen Zitronen jahrzehntelang aus. Ihre Texte, Collagen aus Kalendersprüchen, Fernsehen und Alltagsweisheiten, in ihrem Sarkasmus einer Elfriede Jelinek nicht unähnlich, sind teilweise so kompliziert gebaut, dass es den Hörer schon mal einige Wochen kosten konnte, um sie zu entziffern, sprich: Erkenntnis aus ihnen zu ziehen. Neben den klassischen Themen der Lieder, nämlich was Kapital, Arbeit und falsches Bewusstsein beim Menschen alles anrichten können, gesellten sich auf den letzten Alben auch Songs dazu, die höchst poetisch und damit unkitschig beispielsweise das Ende einer Liebesbeziehung zum Thema machten oder ganz auf Text verzichteten. ­Parolen und Slogans fand man hier nicht, außer welche, die zweifellos zu lang gewesen wären, um sie auf einer Demonstration zu brüllen.

Ihr neues Album »More Than a Feeling« ist im Angesicht der Geschichte der Band, ihrer Art, politische Themen zu verarbeiten, ihrer erneut auftauchenden Party-Fans und ihres kuriosen und spannenden Soundmix aus Punk und Elektro eine ziemliche Enttäuschung. Eine Enttäuschung vor allem deswegen, weil der von Christoph Twickel verfasste Promotext mit klugen Einsichten beginnt, um diese dann komplett  zu kassieren: »Haltung zeigen gilt heute als zentrales Merkel für politische Popkultur. Waren wir da nicht schon einmal weiter? Fanden wird nicht irgendwann mal bloß Haltung zeigen zu ausgelutscht? Zu ausbeutbar, zu umdeutbar in ein Just-Do-It-Rebellentum? ­Heute, wo sie selbst im tropischen Brasilien, einst Traumland der ­Globalisierungskritiker_innen, einen Rechtsradikalen zum Präsidenten wählen, greifen wir wieder instinktiv in die Schublade, dahin, wo die guten alten Haltungen lagern. Bella Ciao – komm, wir wärmen uns am alten Partisanenlied! Komm, wir singen Antifa-Stadionpunkrock wie früher! Rebellischer Reggae und Hiphop, hoch die Faust, da wissen wir wenigstens, wo wir dran sind.«

Seit über 30 Jahren machen die Goldenen Zitronen nun schon Musik, und seit ihres Bestehens sind sie als politische, als linke Band verstanden und rezipiert worden, allerdings weniger als Aushängeschild, sondern als Korrektiv der Linken. Wieso nun auf einmal dieses Insistieren darauf, politisch zu sein? So kampflos die erspielte Po­sition als Band aufzugeben, die ihre Haltung nicht krampfhaft vor sich herträgt, ist umso ärgerlicher, weil es nicht als Ergebnis eines Denkpro­zesses, sondern als eine Art Naturgesetz präsentiert wird: »Instinktiv« will man jetzt »Haltung zeigen« und gibt sich damit dem Kitsch hin, obwohl einem doch die eigene Diskographie etwas anderes nahelegen sollte. Dieser Wunsch nach Haltung, er ist nicht »More Than a Feeling«, sondern »Only a Feeling«.

Im ersten Lied »Katakombe« liest Schorsch Kamerun die üblichen Fake News vor, wie sie auf sozialen Netzwerken geteilt werden: durch Ausländer bedrohte Schwestern, Unsicherheit in den Vierteln, falsche Berichterstattung, zusammengeschlagene Frauen – um zwischendurch immer wieder mit einem langgezogenen »Whaaaaat?«, einem sachlichen »Frei erfunden« oder einem aggressiven »Schwachsinn!« kommentierend einzugreifen. Dazu läuft eine Musik, die klingt wie der Soundtrack eines Nintendo-Spiels, circa 1993. Dieses Lied will rechte Rhetorik kritisieren, scheitert damit aber grandios: Denn statt diese Rhetorik wiederum mit Hilfe der Sprache zu durchdringen und somit ihren Charakter zu enthüllen und bloßzustellen (wie man es bei »Das bißchen Totschlag« ausgezeichnet hören kann), verliert sich Schorsch Kamerun selbst im Modus der Fake-News-Produktion, in dem er den Tweets und Posts nicht mehr antut, als ihnen allein zu bescheinigen, falsch zu sein. Das ist nicht kritisch, sondern allenfalls banal, von der Form als auch vom Inhalt her.

Wenn man bis zum elften Lied durchgehalten hat, das »Die alte Kaufmannsstadt Juli 2017« heißt und sich immerhin ein bißchen ­weniger platt mit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg ­beschäftigt, nämlich allen Beteiligten attestiert, an diesem Tag »ihre Rolle gekannt zu haben«, fühlt man sich unangenehm agitiert.

Im wahrsten Sinne vulgär, nämlich oberflächlich und simpel, geht es im nächsten Song weiter, dessen Titel »Gebt doch endlich zu euch fällt sonst nichts mehr ein« allein schon einen unfreiwillig die Augen ver­drehen lässt. Der sicherste Indikator dafür, dass kritisches Denken durch Phrasendrescherei ersetzt wird, ist das Aufkommen von Buzzwords, die sich aufgrund ihrer Anmaßung allumfassend zu sein, nicht mehr dazu eignen, komplizierte Sachverhalte zu erhellen, sondern diese wie mit einer Dampf­walze einfach plattzumachen. Eines dieser Worte, das man eigentlich ­zuallerletzt auf einem Album der Goldenen Zitronen erwarten würde, ist das der »fucking Privilegien«, die zu beschützen Schorsch Kamerun aus­gesprochen infantil denjenigen unterstellt, die für ein europäisches Grenzregime sind, um in der nächsten Zeile noch einen draufzusetzen und in bester Postcolonial-­Manier despektierlich über die »edlen Erfinder der Menschenrechte« herzuziehen, die doch in Wahrheit – Über­raschung! – doch nur Knechte bräuchten. Die Chance, sich dieser Dialektik wahrlich zu stellen, wird vertan, indem man sich stattdessen mit dem Reim »Rechte-Knechte« zufriedengibt. Dabei können es die Zitronen doch so schön: In dem Lied »Ich verblühe« von 2013, das die Lethargie heutiger Kleinunternehmer auf den Punkt bringt, reimten sich noch »freilaufende Kühe« auf das titelgebende »Ich verblühe«, und in diesem krummen Reim ist mehr Witz, mehr Charme, mehr Poesie und mehr Wahrheit aufgehoben als in der plakativen Geste, eine scheinbare Bigotterie zu enthüllen, was doch nicht nur akademisch schon seit mindestens 40 Jahren ­betrieben wird. Darüber hinaus dient die Phrase dazu, den Westen gerade für die Menschenrechte und den Grad an Freiheit anzugreifen, von dem man in anderen Teilen der Welt nur träumen kann.

Unangenehm besserwisserisch geht es weiter, bis im sechsten Song Einspruch erhoben wird: »Der gute Wille nervt« spricht Gastmusikerin Latoya Manly-Spain ins Mikrophon, um fortzufahren, dass ihr auch das Richtig-machen-Wollen sowie die »bemühten Gestures« auf den Geist gehen. Kurz denkt man, die Künstlerin und Aktivistin sei die Selbstkritik, die die Goldenen Zitronen sich höchstpersönlich auf ihre Platte eingeladen haben und die man von ihnen eigentlich gewöhnt ist. Aber weit gefehlt: Manly-Spain macht klar, dass sie genervt ist, weil sie als schwarze Frau von denen, gemeint sind weiße, linke Menschen, immer nur paternalistisch behandelt werde. Konsequent unterscheidet sie in dem Lied zwischen »Wir« und »Ihr«, getrennt voneinander durch die Hautfarbe, spricht sogar von »Euresgleichen« und »Unseresgleichen«. Wenn sie dann dazu übergeht, »moralische Überlegenheit« anzuprangern, kann man sich nur noch wundern, trieft doch der von ihr vorgetragene Song selbst nur so vor Überlegenheitsempfinden.

Wenn man bis zum elften Lied durchgehalten hat, das »Die alte Kaufmannsstadt Juli 2017« heißt und sich immerhin ein bißchen ­weniger platt mit den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg ­beschäftigt, nämlich allen Beteiligten attestiert, an diesem Tag »ihre Rolle gekannt zu haben«, fühlt man sich unangenehm agitiert und hat in gut 42 Minuten kein einziges Mal auf­gelacht, sei es wegen eines Kalauers oder wegen einer Textzeile, die ­einen wegen seiner Rätselhaftigkeit so berührt oder irritiert hat, das man ungewollt kichern musste. Das »instinktive« Zeigen von Haltung der Band führt zu Biederkeit, rutscht unaufhaltsam in selbstzufriedenen Rigorismus. Die Melodie von »Widersprüche« kommt einem in den Sinn, das Lied der Zitronen von 2001, in dem Widersprüche und Selbstzweifel noch aus allen Ritzen quollen. Auf »More Than a Feeling« haben sie Hausverbot.
In der letzten Spex erschien ein Gespräch zwischen Diedrich Diederichsen und den Goldenen Zitronen, in dem Diederichsen in einem ­Nebensatz eine Frage stellte, die, ­obwohl nicht auf die Band gemünzt, ganz nebenbei genau das Problem der neuen Platte der Zitronen benennt: »Wie bleibt man bei der Stange, ohne sich von der Statik der Welt seine eigene Motorik kaputtmachen zu lassen?« Genau das haben die Goldenen Zitronen getan: Sie haben sich vom Takt der Welt zu sehr leiten lassen und reagieren ­gradezu hilflos naiv auf sie, anstatt den versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzusingen und sie damit zum Tanzen zu bringen.

 

Die Goldenen Zitronen: More Than a ­Feeling (Buback)