Pfüats euch, Sozis!
Natascha Kohnen ist wahrlich nicht um ihr politisches Amt zu beneiden. Die bayerische SPD-Vorsitzende musste zuletzt als glücklose Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl im Oktober 2018 ein beispielloses Debakel verkraften. Trotzdem stellte sie sich am 26. Januar auf dem Landesparteitag in Bad Windsheim als Vorsitzende zur Wiederwahl. Es war für Kohnen das erste Mal, dass sie vor größerer Öffentlichkeit erklären musste, mit welcher Strategie sie ihre Partei aus der Misere führen will. Das Landtagswahlergebnis der Sozialdemokraten von 9,7 Prozent hatte für einen veritablen Schock in der gesamten SPD gesorgt. Die Landtagsfraktion schrumpfte um 20 Abgeordnete, sogar das Ausscheiden aus dem Parlament ist mittlerweile zu einer konkreten Gefahr geworden.
Auf dem Parteitag bemühte Kohnen das altbekannte Mantra, das die SPD in den vergangenen Jahren nach jeder Niederlage – also sehr oft – angestimmt hat: dass die Wähler der Partei nicht mehr zutrauten, ihre Probleme zu lösen, dass die SPD an Glaubwürdigkeit eingebüßt habe, dass es jetzt aber endlich wieder besser werden solle – irgendwie. Die Genossen honorierten das pflichtschuldig mit 79,3 Prozent der Stimmen, immerhin ein besseres Ergebnis, als viele erwartet hatten. Vor dem Parteitag hatten manche Sozialdemokraten spekuliert – oder befürchtet –, das Ergebnis könnte unter 70 Prozent liegen.
Natascha Kohnens Team leistete sich eine Reihe schwerer taktischer Fehler. Die meiste Zeit spielte die SPD schlicht keine Rolle in dem Wahlkampf.
Doch auch wenn diese Schmach Kohnen erspart blieb, Grund zum Optimismus haben die Sozialdemokraten nicht. Nur einen Tag nach dem Parteitag veröffentlichte das Umfrageinstitut Forsa für RTL und N-TV den jüngsten »Bayerntrend«. Das Ergebnis dürfte den Schock, den die Landtagswahl bereits ausgelöst hatte, noch verschlimmert haben. Dieser Umfrage zufolge liegt die SPD nur noch bei sechs Prozent der Stimmen. Auch bei einer Berücksichtigung der Fehlertoleranz ist das Ausscheiden aus dem Landtag damit ein ganzes Stück näher gerückt.
Mit welcher Strategie die SPD die unlösbar erscheinende Aufgabe bewältigen will, in der Wählergunst wieder zuzulegen, ist unklar. Die meisten Vorschläge bleiben so vage und oberflächlich, dass sie kaum ernsthafte Chancen haben dürften, abgewanderte Wähler zu überzeugen. Die Schlagwörter »Gerechtigkeit« und »Kultur des Miteinanders« dürften jedenfalls nicht ausreichen, wenn nicht entsprechende politische Konsequenzen folgen. Die Partei müsste, bevor sie mit den nächsten Schlagworten hausieren geht, zunächst einmal eine kritische innerparteiliche Wahl- und Fehleranalyse vornehmen.
Vor allem zwei Faktoren sind es, die am Debakel einen wesentlichen Anteil hatten. Zum einen leistete sich Kohnens Team im
Wahlkampf eine Reihe schwerer taktischer Fehler. Es gelang ihm zum Beispiel nicht, die Spitzenkandidatin in der Öffentlichkeit präsent zu halten, geschweige denn Themen zu setzen. Die meiste Zeit spielte die SPD schlicht keine Rolle in dem Wahlkampf. Die politische Auseinandersetzung spielte sich vor allem zwischen CSU und AfD, aber auch zwischen CSU und den Grünen ab.
Zudem griff die Parteiführung auf verfehlte Konzepte zurück, die Kohnen in geradezu absurder Weise von der Öffentlichkeit isolierten. Das beste Beispiel war die Veranstaltungsreihe »Kohnen plus«, eine Diskussionsrunde, bei der die Spitzenkandidatin über ihre Themen sprach. Auf diese Weise sollte Kohnen eigentlich Anregungen der Bürger direkt und persönlich aufnehmen. Was in der Theorie sinnvoll klang, war in der Praxis jedoch ein Flop: Anstatt interessierte Wähler anzulocken, kamen vor allem die eigenen Genossen als Zuschauer, um ihrer Kandidatin wenigstens etwas Unterstützung zu geben. Eine größere Öffentlichkeit anlocken oder gar ernsthafte Debatten anstoßen konnte das Format nicht. Das zeugte von einer bemerkenswerten Unkenntnis der politisch äußerst polarisierten Lage im Land.
Es wäre jedoch verkürzt, die Verantwortung allein auf Kohnen abzuwälzen. So unklug und fehlerhaft ihr Wahlkampf war, so musste die bayerische SPD doch auch für das bluten, was die Bundespartei angerichtet hatte. Das ist der zweite wesentliche Grund des Debakels. Bei den bayerischen Landtagswahlen wirkte immer noch nach, dass sich die Sozialdemokratennach der Bundestagswahl 2017 – trotz des gegenteiligen Versprechens – am Ende wieder zu einer Großen Koalition hatten breitschlagen lassen. Darüber hinaus sorgte die Causa Hans-Georg Maaßen auch in Bayern für Unmut, schließlich hatte die SPD die Beförderung des Verfassungsschutzpräsidenten nach dessen Bagatellisierung extrem rechter Gewalt toleriert, um einen Bruch der Regierungskoalition zu vermeiden. Die bayerischen Sozialdemokraten gingen zwar immer wieder demonstrativ auf Distanz zur Bundespolitik und grenzten sich teils sogar offensiv von deren Fehlern ab. Im Fall Maaßen etwa war es nicht zuletzt Natascha Kohnen, die mit ihrer Beschwerde bei der SPD-Bundesvorsitzenden Andrea Nahles eine Neuverhandlung erwirkte. Doch reichte das nicht einmal ansatzweise aus, um den Frust und die Verärgerung der Wähler zu dämpfen.
Im Zusammenspiel haben diese beiden Faktoren die SPD in Bayern an den Abgrund geführt. Bislang ist kein Ausweg in Sicht. Selbst wenn eine selbstkritische Analyse und eine Emanzipation von der Bundespolitik gelängen, sind die Umstände denkbar schlecht. Als fünftstärkste Kraft im Landtag spielt die SPD keine relevante Rolle mehr, sie wird in den kommenden Jahren große Mühe haben, mit ihren Themen und Zielen überhaupt noch in den Medien und der breiteren Öffentlichkeit vorzukommen.