»Stuffed & Ready«, das neue Album von Cherry Glazerrs

Kirschbomben auf’s Patriarchat

Cherry Glazerrs neues Album klingt nach jung gewordenen Breeders oder den Go-Go’s aus der Zukunft.

Cherry Glazerr, benannt nach der Lokalberühmtheit und Radiomoderatorin Chery Glaser, ist die Band der Gitarristin Clementine Creevy aus Los Angeles, die gerade ein wenig über 20 Jahre alt ist. Trotz ihres jungen Alters ist sie das ideale Beispiel einer emanzipierten Selfmade-­Musikerin. Mit »Stuffed & Ready« erscheint nun ihr drittes Album, auch wenn »Hairy People Trying Not to Die«, der Arbeitstitel aus der Entstehungsphase, der bildhaftere Titel ­gewesen wäre.

Im Jahr 2012 begann die damals 15jährige unter dem Namen Clembutt Aufnahmen ins Internet zu stellen. Auf diese wurde Sean Bohrman aufmerksam, der Betreiber des bekannten Kassettenlabels Burger ­Records, der im darauffolgenden Jahr ihr »Papa Cremp«-Tape herausbrachte. Burger Records ist das Aushängeschild der umtriebigen Szene an der US-Westküste, folglich erspielte sich die nun zum Trio angewachsene Band lokalen und schließlich überregionalen Ruhm, obwohl anfangs nur ein Bandmitglied überhaupt alt genug war, legal das Bandbier leerzutrinken.

Von 2014 an spielte Creevy die Musikerin Margaux in der erfolgreichen Amazon-Serie »Transparent«, zudem war sie Gastsängerin beim Song »Giving Bad People Good ­Ideas« von Death Grips. Der Hauptgrund für den Aufstieg der Band dürften die vor Witz und Intelligenz sprühenden Texte sein. Creevy war mit ihrer großen Schnauze und ausgeprägten Standpunkten zum Beispiel zu body positivity und Selbstermächtigung vor Jahren schon so »woke«, dass sie fraglos als Vorreiterin einer feministischen Pop-Welle angesehen werden kann. »White’s Not My Color This Evening« von 2014 – musikalisch noch eine recht raue Aktualisierung von Bikini Kill – ist vermutlich einer der besten Songs, die je über die weibliche Periode geschrieben wurden. Hymnen wie »Trash People« oder »Told You I’d Be with the Guys« vom Vorgänger­album »Apocalipstick« (2017) schaffen es auf völlig unpeinliche Weise, ein spezifisches, nicht nur, aber vor allem »Millennials« betreffendes Lebensgefühl zu artikulieren, wie es gealterten, »seriösen« Musikerinnen und Musikern kaum gelingen dürfte. Cherry Glazerr bieten gleich mehreren Generationen und Milieus eine Reihe Identifikationsmöglichkeiten, solange nur das Patriarchat als gemeinsamer Hauptfeind feststeht. Sich selbst sieht Creevy als Existentialistin und Feministin der vierten oder fünften Welle, gelegentlich verwendet sie auch den Begriff »Guilty Feminist«, bezugnehmend auf den gleichnamigen Podcast der britischen Komikerin Deborah Frances-White, deren Gast jede Episode mit dem Satz »I’m feminist, but … « einleitet.

Über die Jahre veränderte sich der Sound der Band von klassischem ­Garagen-Punk hin zu enorm eingängigem Grunge-Rock, so als hätten die Breeders in einem Jungbrunnen ein Bad genommen oder die Go-Go’s eine Reise in die Zukunft gemacht. Creevys Gesang mit den oft überakzentuierten Vokalen und Silben, die über mehrere Töne hoch- und runtergedehnt werden, ist dabei so prägnant, dass sie sich damit ihren eigenen Stil ersungen hat.

Sie selbst bezeichnet ihr bisheriges Material als Output eines sich selbst überschätzenden Teenagers mit dem Willen, die Welt zu verändern. »Stuffed & Ready« hingegen sei nun der Versuch, sich als Frau erst einmal selbst zu finden, und Gefühle genauer zu umschreiben, nicht einfach herauszurotzen. Diese Veränderung ist vielleicht das Beste, was Cherry Glazerr passieren konnte. Die Texte sind, milde gesagt, intensiv, teilweise an der Grenze zur Unheimlichkeit. In dem an die »alten Herren« adressierten Lied »Daddi« fragt Creevy: »Who should I fuck, Daddy? Is it you?«, um im Refrain mit »Don’t hold my hand, don’t be my man« die endgültige Absage zu erteilen. Auch »Wasted Nun« dreht sich um die Erniedrigungen, die der patriarchal geprägte Alltag mit sich bringt, welchen Creevy als Nebel verbildlicht: »It’s there, in my eyes, in my car, in the sky«, um dann in die männliche Perspektive zu wechseln: »Special lady with her issues, you can sue me if I kiss you«. An anderer Stelle erörtert »Self Explained« die These, dass self-care durchaus nicht sinnstiftend sein muss und Lebenszeit nicht ausschließlich produktiv verbracht werden sollte. Oft gibt es einen doppelten Boden, eine latente Ambivalenz, aber gerade diese Uneindeutigkeiten geben den Songs ihren Charakter. Der sprachliche Kniff wird musikalisch fortgeführt, wenn zuckersüße Melodien in fast schon bedrohlich wirkenden Wellen von Riffs untertauchen.

Cherry Glazerrs »Angst Pop« ist nicht die lauteste oder radikalste, aber eine der schillerndsten Ausdrucksformen des derzeitigen und hoffentlich noch lange anhaltenden Aufstiegs von Feministinnen in der etablierten Popmusik. Von Cherry Glazerr wird da noch einiges zu erwarten sein.

 

Cherry Glazerr: Stuffed & Ready (Secretly Canadian)