Die CDU kann sich von Angela Merkel distanzieren, nicht aber von der politischen Realität

Symbolpolitischer Kurs nach rechts

Unter Annegret Kramp-Karrenbauer setzt sich die CDU rhetorisch von Kanzlerin Angela Merkel ab. Was das für die künftige Politik der Union bedeutet, ist noch nicht ausgemacht.

Nicht nur für die Süddeutsche Zeitung war die von stehendem Beifall begleitete Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz »fast so etwas wie ein Vermächtnis«. Innenpolitisch aber sorgt der politische Nachlass Merkels weiter für Kontroversen. Dazu gehört vor allem die medial als »Grenzöffnung« deklarierte Aussetzung des Dublin-Verfahrens im Spätsommer 2015. Die ehemalige CDU-Vorsitzende reagierte deshalb in München auch auf die unionsinternen ­Debatten, die jüngst in einem von ihrer Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer einberufenen »Werkstattgespräch« zur Migrationspolitik gipfelten.

Fast alle der dort zu hörenden Statements glichen einer Demontage der Politik Merkels. Die neue CDU-Vorsitzende teilte mit, künftig auch Grenzen schließen zu wollen – in einer Mischung aus »Humanität und Härte«. Die Bild-Zeitung, die 2015 noch die ­Losung »Refugees welcome« auf ihrer Titelseite verbreitet hatte, lobte sogleich die »Hammer-Aussage« von Kramp-Karrenbauer. Die Bundeskanzlerin aber wies in München nüchtern darauf hin, dass die Regierung seinerzeit »in einer humanitären Notlage« geholfen habe.

Der Applaus von München findet kein nennenswertes Echo in der CDU. Im Wahlkampfjahr 2019 wird sich die Union besonders in Brandenburg, Thüringen und Sachsen auf Distanz zu Merkel gehen. Der Spiegel berichtet über Pläne, wonach die Kanzlerin eher für »niedrigschwellige Formate« wie Sommerfeste auf Spargelhöfen eingeplant werden solle. Der eingeschlagene rhetorische Kurs nach rechts der Union kann aber nicht über die strukturellen Zwänge hinwegtäuschen, denen die Partei unterliegt. Merkel übernahm die CDU-Führung im Jahr 2000 in der Opposition zur rot-grünen Bundes­regierung. Ihre Nachfolgerin muss sich hingegen gegen die eigene Regierungschefin profilieren. Schon in Kramp-Karrenbauers Kampfrede auf dem Hamburger Parteitag im Dezember wirkten deshalb Floskeln wie »Leistung muss sich wieder lohnen« nach über 13 Jahren CDU-geführter Bundesre­gierungen unfreiwillig komisch.

Sicher sind die rechten Töne der Union unüberhörbar, sie bestimmen aber noch nicht ihre Politik. Denn auch Kramp-Karrenbauer braucht Unweterstützung von allen Flügeln der Partei. Und will die CDU nicht nach den sächsischen Landtagswahlen im September eine Koalition mit der AfD bilden – eine für das politische System der Bundesrepublik fatale Option –, unterliegt die Union weiterhin dem Zwang zum Koalieren mit anderen Partnern. Die Liberalen sind für die Katho­likin Kramp-Karrenbauer schon wegen ihrer schlechten Erfahrungen im Saarland keine Wunschpartner. Die Grünen blockieren im Bundesrat nach wie vor die Vorstöße der Union, die Maghreb-Staaten der Liste »sicherer Herkunftsländer« hinzuzufügen. Mag Kramp-Karrenbauer auch künftig allerlei Kampfgeschwader zum öffentlichen Disput über die Flüchtlingspolitik laden – sie kommt an den Grünen ebenso wenig vorbei wie an der von einer Identitätskrise gebeutelten Sozialdemokratie.

Ohnehin sollte Kramp-Karrenbauers Rhetorik nicht mit der politischen ­Realität und den Kräfteverhältnissen verwechselt werden. Bereits 1982, zu Beginn von Helmut Kohls »geistig-moralischer Wende«, wurde in den Koalitionsgesprächen zwischen Union und FDP vereinbart, den »Zuzug von Ausländern zu unterbinden«. Die spätere demographische Entwicklung der alten Bundesländer zeigt, wie wenig sich diese Position durchgesetzt hat. Auch Kramp-Karrenbauers vorerst nur symbolpolitischer Kurs nach rechts bleibt bislang ein Werkstattmodell mit zweifelhafter politischer Marktfähigkeit. Denn das Vermächtnis der Kanzlerin wird die neue CDU-Vorsitzende nicht so schnell ausschlagen können.