Erwartungen an Elternschaft und feministische Kritik

Die Eingrenzung der Freiheit

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Unabhängig von der Zuordnung der Elternschaft hat die schwangere Person eine Machtposition gegenüber anderen Elternteilen. Diese Machtposition wird sozial reguliert. In früheren Zeiten wurde die Machtposition der Mutterschaft durch die Machtposition der Person reguliert, die Entscheidungen treffen und bestimmen durfte.

Letzteres oblag dem Vater, wie auch immer dieser zu seiner Vaterschaft gekommen war. Er durfte auch gegen den Willen der Mutter bestimmen und sie musste seinen Entscheidungen nachkommen. Vaterschaft bezeichnet demnach keine fürsorgliche Beziehung im Gegensatz zur Mutterschaft, die für die emotionale Handlungsebene verantwortlich war.

Zu Recht hat aus feministischer Sicht diese patriarchale Form der Vaterschaft einen schlechten Ruf, ebenso wie die damit einhergehende Aufteilung in finanzielle und Fürsorgeverantwortung. Wie es anders gehen soll und vor allem, wie Elternschaft feministisch gestaltet werden kann, ist auch im Feminismus eine offene Frage.

Einig ist man sich weitgehend darin, dass die derzeit vorherrschende Arbeitsteilung zwischen Eltern Müttern eine Rolle zuweist, die sie daran hindert, sich frei zu entfalten. Doch bei allem, was über diese Grundposition hinausgeht, unterscheiden sich die unterschiedlichen Strömungen des Feminismus stark voneinander.

Der liberale Gleichheitsfeminismus appelliert an Frauen, sich aus der zugewiesenen Rolle zu befreien. Damit einher geht eine Idealisierung der fürsorgebefreiten Vaterschaft. Gleichheit meint hier die Angleichung an die Entscheidungsposition der Vaterrolle. Der Gleichheitsfeminismus setzt insofern auf die Selbstbestimmung von Frauen.

Genau diese wird jedoch im Zuge der Familiengründung eingeschränkt, weil die Sorge um eine abhängige Person der elterlichen Selbstbestimmung Grenzen setzt. Daher haben Gleichheitsfeministinnen Familiengründung und Mutterschaft lange Zeit per se abgelehnt. Aus der Perspektive des liberalen Feminismus erwächst Frauen ein ökonomischer Nachteil, weil sie sich um Kinder kümmern müssen. Eine europäische Studie von Anfang Februar belegt, dass sich die Geburt eines Kindes negativ auf das Einkommen der Mutter auswirkt. Als child penalties, also Strafen für das Kinderbekommen, bezeichnet die Studie die Einkommenseinbußen der Frauen nach der Geburt des ersten Kindes. Männer haben diese Einbußen freilich nicht. Laut der Studie verdienen Frauen in Deutschland zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 61 Prozent weniger Gehalt als im letzten Jahr vor der Geburt.

Fürsorge erscheint dem Gleichheitsfeminismus vor diesem Hintergrund als gesellschaftliches Problem, das Frauen lösen sollen, um ebenso erfolgreich wie Männer zu werden. Auch der Differenzfeminismus, der die weibliche Identität als Befreiung von den Zwängen einer androzentristischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung betrachtet, erfährt in der Debatte eine Renaissance. Die differenzfeministische Antwort heißt: Sofern es gelingt, nicht mehr allen anderen gefallen zu wollen, werden die äußeren Einflüsse und all die Ungerechtigkeiten gleichgültig.

Der konstruktivistische Feminismus fordert hingegen die individuelle Dekonstruktion der sozialen Verhältnisse von Familie und Elternschaft. Die herrschende Geschlechterordnung, in der Frauen durch die Übernahme von Fürsorge benachteiligt werden, ist demnach der sozialen Konstruktion der Lebenswelt geschuldet. Die auf diese Art fröhlich suggerierte Gestaltbarkeit des eigenen Lebens verbreitet zwar gute Laune, macht aber letztlich die Mütter nur wieder selbst für die Organisation der Fürsorge verantwortlich.

Vielleicht aber ist Fürsorge gar nicht das Problem, sondern eine Gesellschaft, in der ausgerechnet die Menschen ein Problem bekommen, die Fürsorge leisten. Eine wohlfahrtstaatliche Umorganisation hin zu einer Fürsorge begünstigenden Gesellschaft ist innerhalb eines kapitalistischen Wirtschaftssystems jedoch schwer zu bewirken. Möglich wäre es, Fürsorgetragenden Ausgleichszahlungen für entgangene Erwerbs­tätigkeit anzubieten. Doch wirkt sich eine Lücke in der Erwerbsbiographie später nachteilig auf Karriere und Rente aus.

Wird die gegenteilige Strategie verfolgt, die von Frauen in gleichem Maße wie von Männern eine lücken­lose Vollerwerbstätigkeit verlangt, ohne deren überproportionale Fürsorgeverantwortung zu berücksichtigen, bleibt die Zuständigkeit der Frauen für den Bereich der Versorgung bestehen und führt zu einer Doppelbelastung.

Um soziale Ungleichheit zwischen Müttern und Vätern zu beseitigen, genügt es nicht, dass die Eltern sich die Fürsorge gleich aufteilen. Es bedarf vielmehr einer Aufwertung der mit Mutterschaft assoziierten Fürsorge. Die Spannung zwischen dem Rekurs auf die Verschiedenheit von Geschlechtern und der Forderung nach Gleichberechtigung verdeutlicht die Schwierigkeit, einerseits um Rechtsgleichheit mit dem Mann zu streiten, andererseits die Angleichung an hegemoniale Männlichkeit abzulehnen. Wie bereits die Philosophin Mary Wollstonecraft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts formulierte, ist es das scheinbare Paradox, auf dem Recht auf Gleichheit zu bestehen und zugleich die Berücksichtigung von Differenzen einzufordern.