Der Sieg des Amtsinhabers Muhammadu Buhari bei den Präsidentschaftswahlen in Nigeria ist umstritten

Schwache Legitimation

Trotz einer schlechten politischen Bilanz ist Präsident Muhammadu Buhari in Nigeria wiedergewählt worden. Die Wahlbeteiligung lag lediglich bei 36 Prozent.

Die Menschen in Nigeria wünschen sich vor allem Sicherheit. Der fehlende Schutz vor Gewalt war neben der Korruption bereits bei den Wahlen 2015 ein zentrales Thema. Nicht zuletzt mit dem Versprechen, den islamistischen Terror im Nordwesten zu beenden, gewann Muhammadu Buhari damals die Wahlen.
Am Dienstag voriger Woche erklärte die Wahlkommission in Nigeria Präsident Buhari von der Sammlungspartei der Fortschrittlichen (All Progressives Congress, APC) auch zum Gewinner der Präsidentschaftswahl vom 23. und 24. Februar. Gut schnitt Buhari insbesondere im Nordwesten Nigerias ab. Hier hat der Konflikt, den die jihadistische Terrororganisation Boko Haram und ihr Nachfolger, der »Islamische Staat der Provinz Westafrika« (ISWA), ausgelöst haben, dem Council on Foreign Relations zufolge seit 2011 etwa 34 000 Menschenleben gekostet – jihadistische Kämpfer, zivile Opfer und staatliche Sicherheitskräfte. Gerade in den vergangenen Monaten nahm die Zahl jihadistischer Angriffe erneut zu, an der Wahl teilzunehmen, war für viele Menschen riskant.

Die offizielle Arbeitslosenrate stieg unter Buhari von 18 Prozent im Jahr 2015 auf 25. Nach Schätzungen vom Sommer vorigen Jahres leben 87 Millionen Einwohner Nigerias unter der absoluten Armutsgrenze.

Wie kann es sein, dass Buhari, ein ehemaliger General der nigerianischen ­Armee, der seine vergangenen Wahlversprechen keineswegs einhalten konnte, gerade im Nordwesten so viele Stimmen erhielt? Zudem hatte Buhari während seiner Amtszeit den Vorsitz des Repräsentantenhauses und des Senats an die Partei verloren, für die sein Widersacher Atiku Abubakar antrat: die Demokratische Volkspartei (Peoples Democratic Party, PDP). Abubakars Wahl­slogan »Making Nigeria work again« war angesichts des ökonomischen Stillstands und der wachsenden Arbeitslosigkeit überzeugend. Die offizielle Arbeitslosenrate stieg unter Buhari von 18 Prozent im Jahr 2015 auf 25 Prozent. Nach Schätzungen vom Sommer vorigen Jahres leben 87 Millionen der etwa 190 Millionen Einwohner Nigerias unter der absoluten Armutsgrenze – mehr als die 73 Millionen in Indien mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern.

Dennoch liegt Abubakars Stimmenanteil mit 41 Prozent deutlich unter den 56 Prozent von Buhari. Der Konservative verbuchte nicht nur die für das Präsidentenamt vorgeschriebene absolute Stimmenmehrheit für sich, er erreichte zudem das Soll von mindestens 25 Prozent der Stimmen in zwei Dritteln der 36 Bundesstaaten, damit die Wahlergebnisse Gültigkeit erlangen.

Die Wahlbeteiligung war mit landesweit 36 Prozent deutlich niedriger als noch vor vier Jahren – ein Debakel. Ein Grund hierfür ist, dass die Wahlkommission die Wahl um eine Woche verschoben hatte. Viele Wahlwillige konnten sich die oft weite Reise zum Ort, an dem sie im Wahlregister eingetragen sind, so kurzfristig nicht leisten. Bereits für die Eintragung ins Wahlregister hatten viele Nigerianerinnen und Nigerianer zwei Tage Schlange gestanden. Menschenrechtsinitiativen sehen sich in ihrer Arbeit behindert, auch die schleppende Verwirklichung menschenrechtlicher Standards auf allen Ebenen hat junge Menschen eher vom Wählen abgehalten.

Buhari hat nicht nur das Sicherheitsdebakel zu verantworten, auch in ­Sachen Bildung und Korruption ging während seiner Amtszeit nichts voran. Das Gesundheitssystem ist nach wie vor marode, Lehrkräfte werden schlecht bezahlt und das Bildungssystem weist große Mängel auf. Tausende Lehrerinnen und Lehrer warten seit Monaten auf ihre Gehälter. Der Korruptionsindex von Transparency International führt Nigeria auf Rang 144 von 180 Ländern. Der Premium Times aus Abuja zufolge sind elf Senatoren, die neu in den 109köpfigen Senat einziehen werden, in laufende Korruptionsfälle verwickelt.

Wer seit Jahren arm ist und erfahren hat, dass der Öl- und Gasreichtum des Landes, der nach Angaben der Nigeria Extractive Industries Tranparency Initiative (NEITI) 65 Prozent aller Export­geschäfte ausmacht, bei den politisch Einflussreichen verbleibt und nicht verteilt wird, wird gerade an eine Präsidentenwahl, deren Kandidaten im Ölgeschäft mitmischen, kaum Hoffnung knüpfen. Buhari war von 1994 bis 1999 Geschäftsführer des Petroleum Trust Fund (PTF), dessen Aufgabe es sein sollte, mit dem Geld aus dem Ölgeschäft Schulen, Straßen und Infrastruktur zu ­finanzieren und vor allem die ländlichen Regionen am Profit teilhaben zu lassen. Viele Menschen in Nigeria werden sich an Betrugsvorwürfe gegen Buhari erinnern, etwa an die vom PTF finanzierte Verteilung abgelaufener Medikamente gegen HIV/Aids im ganzen Land oder daran, dass der Norden beim Verteilen des Geldes deutlich bevorzugt wurde. Vor allem aber verschwand viel Geld. Mittlerweile fungiert Buhari auch als Minister für Ölressourcen.

Abubakar, von 1999 bis 2007 Vizepräsident unter Olusegun Obasanjo, wiederum ist Mitbegründer von Intels Nigeria Limited, einem Logistikunternehmen für die Öl- und Gasindustrie mit umfangreichen Aktivitäten in ­Nigeria und im Ausland. Er ist zudem mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert.

Wer dennoch wählen ging, tat das vermutlich vor allem wegen der gleichzeitig stattfindenden Wahl des Senats und des Repräsentantenhauses. Letzteres hatte Ende Januar mehrheitlich die Anhebung des Mindestlohns auf nunmehr 30 000 Naira (umgerechnet 73 Euro) monatlich gebilligt. Es scheint auf die Sorgen der Bevölkerung mehr einzugehen als der Senat und der Präsident, die den Gesetzentwürfen noch zustimmen müssen.

Als ein Grund für die Wiederwahl Buharis wird in den nigerianischen Medien die konservative Haltung vor allem der Bevölkerung im Norden ­angeführt, eine Art blinde Gefolgschaft für den Mann ihrer Herkunft – Buhari und seine Eltern stammen aus den nördlichen Bundesstaaten – und eine diffuse Skepsis gegenüber möglichen Veränderungen, für die der sich liberal gebende Abubakar steht. Der Oppositionskandidat, der mit knapp 11,3 Millionen Stimmen etwa vier Millionen hinter Buhari liegt, hat Beschwerde gegen das Ergebnis bei der Wahlkommission eingereicht. Er bemängelt, dass in Wahlbezirken wie Akwa Ibom, wo deutlich mehr Wahlberechtigte registriert sind als noch 2015, die Wahlbeteiligung um 61 Prozent geringer sei als vor vier Jahren. Ausgerechnet in den nördlichen Bezirken, wo die Sicherheitslage prekär ist, ist sie deutlich höher als anderswo im Land. Je weniger Sicherheit, desto höher die Wahlbeteiligung? Zwar kann das Bedürfnis nach Sicherheit durchaus auch Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Aber es gibt auch Ungereimtheiten wie die über eine Million ungültigen Stimmen oder auch die von Buhari angeordnete und umstrittene Absetzung des Leiters der Wahlkommission drei Wochen vor der Wahl. Doch wahlentscheidend war das nicht.

Der Ablauf der Wahlen war von gewaltsamen Zwischenfällen überschattet, bei denen mindestens 53 Menschen starben. Ob die Explosion der Ölpipeline im Bundesstaat Delta am Freitag voriger Woche ein Unfall war oder aber auf das Konto der »Rächer des ­Nigerdeltas« (NDA) geht, ist zur Stunde noch nicht geklärt. Im Februar hatte die NDA angeblich gedroht, »die nigerianische Wirtschaft wieder zu lähmen, sollte Buhari die Wahl gewinnen«. In diesem Bundesstaat holte Abubakar mehr als doppelt so viele Stimmen wie Buhari.

Vor zwei Jahrzehnten hatte Olusegun Obasanjo, wie Buhari ein ehemaliger Militäroffizier, als erster demokratisch gewählter Präsident die Demokratisierung des Landes vorangetrieben und Nigeria nach Jahrzehnten der Diktatur aus der internationalen Isolation geholt. Aber noch immer mangelt es an poli­tischen Freiheiten. Die NGO Freedom House vergibt in der Kategorie »politische Rechte« an Nigeria, das als teilweise frei bezeichnet wird, auch in diesem Jahr die Note drei (eins ist die beste, sieben die schlechteste Note). Für die Wahrung der Bürgerrechte hat das Land weiterhin die Note fünf. Dass sich in einer weiteren Amtszeit Buharis daran etwas verbessert, ist kaum zu erwarten.