Auszug aus: Eine jüdische Kindheit in Deutschland

Eine jüdische Kindheit in Deutschland

Der Rapper Ben Salomo erzählt über seine Kindergarten- und Schulzeit in Westberlin, über jüdisches Selbstbewusstsein und die ersten antisemitischen Attacken auf ihn.
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Weil sich die Eltern meiner Mutter nicht wirklich wohlfühlten in Israel, entschieden sie sich im Jahr 1979, nach Deutschland auszuwandern. Ausgerechnet nach Deutschland, in das Land der Täter, das den Juden so unendlich viel Leid bereitet hatte! Aber neben den USA war Deutschland damals das beliebteste Ziel für ausreisewillige Juden. In den USA aufgenommen zu werden, hielten meine Großeltern für aussichtslos, denn dazu hätten sie eine Green Card gebraucht. Auch in Belgien, wo sie es zuerst versuchten, bekamen sie keine Chance. So kamen Safta Asia und Saba Alex eben nach Westberlin.

Möglicherweise entschieden sie sich auch für Deutschland, weil einige Bekannte von ihnen hier lebten. Vielleicht wären sie auch nach Holland oder Österreich gegangen, aber dort kannten sie niemanden.

Womöglich hat es auch etwas mit den guten Sozialleistungen zu tun, dass sie hier landeten, aber so wirklich erklären kann ich es mir dennoch nicht. Keiner von ihnen beiden sprach Deutsch, das mussten sie nun, in ihren Vierzigern, erst noch lernen.

Opa Alex hat immerhin einen Job bekommen. Er war studierter Bauingenieur, aber der Abschluss wurde in Deutschland nicht anerkannt. Also musste er sich etwas Neues suchen. Er hat dann später, als meine Eltern und ich schon in Berlin lebten, bei Wertheim am Ku’damm gearbeitet, und zwar als Tischler für die Abteilung Schaufenster und Deko. Vom studierten Ingenieur zum Tischler – das mag nicht so toll klingen.

Aber immerhin stieg er in seinem Job bald auf und bekam Verantwortung übertragen. Ich denke, er war letztlich nicht unzufrieden damit. Manchmal habe ich ihn als Kind zu seiner Arbeit am Ku’damm begleitet.

Er wurde von allen freundlich gegrüßt und war beliebt. Er seinerseits war jemand, der mit den Deutschen und mit ihrer Vergangenheit nicht so hart ins Gericht ging, vor allem nicht mit der jüngeren Generation, die den Nationalsozialismus nicht miterlebt hatte.

Ich war gerade zwei Jahre alt, meine Mutter war 21 Jahre und mein Vater war 24, als Saba Alex und Safta Asia Israel verließen. Besonders meine Mutter litt darunter, dass ihre Eltern weggezogen waren. Als wir uns dann knapp zwei Jahre später selbst ins Flugzeug setzten und im kalten, grauen Berlin landeten, hatten meine Eltern gar nicht den Plan gehabt, hier zu bleiben. Sie wollten einfach nur die Großeltern besuchen. Doch der Besuch dauerte immer länger. Und dann, nach etwa sechs Monaten, entschieden sich meine Eltern, es meinen Großeltern nachzutun, damit dieser Teil der Familie wieder zusammen sein konnte. So blieben wir einfach in Berlin, ohne dass das jemals der Plan gewesen war.

 

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