Die AfD im Bundestag professionalisiert sich - und wird gefährlicher

Hooligans machen Politik

Seit Oktober 2017 agiert die AfD im Bundestag als der parlamentarische Arm der Protestbewegungen von rechts. Das Parlament dient dabei als Tribüne eines Kulturkampfs, der sich gegen demokratische Institutionen richtet.

Am Auftritt der AfD-Fraktion im Bundestag fiel zunächst der martialische Ton auf, den ihre Mitglieder seit ihrem Einzug dort anschlugen. Den »Altparteien« drohte der Partei- und Fraktionsvor­sitzende Alexander Gauland mit Sätzen wie: »Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.« Doch während der Bundestagsdebatten drängt sich kaum der Eindruck auf, es herrsche Krieg, obschon von Mandatsträgern und Mitarbeitern der anderen Bundestagsparteien die Klage erhoben wurde, man fühle sich vom Anhang der AfD bedroht. Allerdings ähneln die Redebeiträge sowie die von Gejohle und Hohngelächter flankierten Zwischenrufe der AfD-Abgeordneten während der ­Sitzungen bisweilen einem ständigen politischen Aschermittwoch, den die Partei wohl während der gesamten Legislaturperiode begehen will.

Wo aus Sicht der AfD der Feind steht, zeigen die jüngsten Auftritte ihrer Redner. Die stellvertretende Faktionsvorsitzende Beatrix von Storch warf der Union in der Debatte über den Paragraphen 219a StGB, der die Beratung von Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage regeln soll, eine »Kapitulation« vor. Süffisant merkte von Storch an, die Union könne die Bezeichnung »christlich« nun »wohl endgültig streichen«. Gleichzeitig forderte sie das »Bundesamt für Verfassungsschutz auf, solche Organisationen zu beobachten, die der Abschaffung des Paragrafen 218 das Wort reden«.

Nicht selten agieren die »bürgerlichen« Parlamentarier der AfD wie die Lümmel von der letzten Bank. Künftige Zeithistoriker können deshalb die polarisierte politische Kultur der Bundesrepublik anhand der Zwischenrufe und Reden der AfD-Abgeordneten veranschaulichen.

Womit sämtliche Organisationen, die eine entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fordern, ein Fall für die geheimdienstliche Überwachung wären. Der Abgeordnete Petr Bystron schmähte den Antrag der Grünen zur »feministischen Außenpolitik« in neurechter Diktion als »kulturmarxistische Propaganda« und suchte am Rednerpult die offene Konfronta­tion mit der Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne).

Der parlamentarische Hooliganismus der AfD-Abgeordneten – unter diesen sind 81 Männer und zehn Frauen – hat einen bizarren Unterhaltungswert. ­Beatrix von Storch etwa erfüllt den Begriff »Wutbürger« stets mit neuem ­Leben, der parlamentarische Geschäftsführer Bernd Baumann gestikuliert bei seinen Zurufen gerne mit den Händen in der Luft. Nicht selten agieren die »bürgerlichen« Parlamentarier der AfD wie die Lümmel von der letzten Bank. Künftige Zeithistoriker können deshalb die polarisierte politische Kultur der Bundesrepublik anhand der Zwischenrufe und Reden der AfD-Abgeordneten veranschaulichen.

Doch der Herbert-Wehner-Ähnlichkeitswettbewerb der AfD zeugt keineswegs von einer nur konfusen parlamentarischen Tätigkeit. Mit einer Vielzahl von Kleinen und Großen Anfragen beschäftigt die AfD die Große Koalition. Die kulturkämpferische Tendenz ist meist eindeutig. Auch Gesetzesentwürfe der AfD-Fraktion wie der zur »Widerherstellung der Gleichberechtigung im Wahlrecht und in den politischen Parteien« richten sich dabei beispielsweise gegen das im Bundesland Brandenburg verabschiedete Parité-Gesetz, mit dem Parteien verpflichtet werden sollen, bei künftigen Wahlen gleich viele Männer wie Frauen zu berücksichtigen. Im Falle des »Globalen Pakts für sichere, geordnete und reguläre Migra­tion« konnte die AfD im vergangenen Herbst sogar ein internationales Dokument der Vereinten Nationen öffentlichkeitswirksam skandalisieren. Und dass Gesundheitsminister Jens Spahn den als »Migrationspakt« bekannt ­gewordenen Text auf dem Hamburger Parteitag der CDU im vergangenen ­Dezember nochmals diskutieren wollte, verdeutlicht, dass die Parteilosung »AfD wirkt« nicht nur Wunschdenken ist.

Rund ein Jahr nach Bildung der Großen Koalition hat die AfD ihre Tätigkeit im Bundestag professionalisiert. Zu diesem nüchternen Urteil kommt auch der Politikwissenschaftler Gerd Wiegel, der als Referent für Rechtsextremismus und Antifaschismus der Linkspartei die politische Arbeit der AfD im Bundestag analysiert. Zusammen mit Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges hat er das Buch »Rechtspopu­listen im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der AfD« verfasst. »Die Einwanderungspolitik, vor allem aber die Verbindung von Innerer ­Sicherheit und Zuwanderung, ist das Kernthema der AfD«, sagt Wiegel im Gespräch mit der Jungle World. Wiegel verweist aber nicht nur auf die medienwirksame Besetzung von migrationspolitischen Themen. Auch die Agitation gegen demokratische Initiativen sei zentral. Hierbei zeigen sich, so Wiegel, unterschiedliche Schwerpunkte.

Die AfD arbeite sich beispielsweise an dem Programm »Demokratie leben!« ab, mit dem die Bundesregierung lokale Initiativen gegen Rechtsextremismus fördert. »Hier«, so Wiegel, »setzt die AfD aber nicht grundsätzlich an. Beklagt wird die Überfinanzierung der Programme. Gefordert werden vor allem Aktionen gegen Linksextremismus.« Der Antrag der AfD zur Wiedereinführung der 2014 von der damaligen Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) gestrichenen »Extremismusklausel«, mit der zivilgesellschaft­liche Initiativen im Rahmen der Bewilligung von öffentlichen Geldern erneut einer Gesinnungsprüfung unterzogen werden sollten, scheiterte zwar, gelangte aber in die Medien. Gegen die extreme Rechte gerichtete Institutionen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) ­betrachtet die AfD ohnehin schon lange als Ärgernis. Anetta Kahane, Mitgrün­derin der AAS, zählt zu den bekanntesten Hassfiguren der Rechten. Zuletzt wurde gegen die AAS-Broschüre »Ene, mene, muh – und raus bist du!« agitiert, die im Herbst 2018 als Handreichung für die »Kindertagesbetreuung in Zeiten rechtspopulistischer Mobi­lisierungen« konzipiert wurde. Der AfD-Abgeordnete Stephan Brandner, Vorsitzender des Rechtsausschusses des Bundestages, empörte sich: »Die Bundesregierung fördert linksradikale Agitation in Kindergärten – das ist politischer Kindermissbrauch und untragbar!« Im Verlauf der kampagnenähnlichen Berichte auf rechten Blogs im Internet und in der Bild-Zeitung häuften sich die an die Stiftung gerichteten Droh- und Hassmails.

Angriffe von Bundestagsabgeordneten der AfD auf den vermeintlich oder tatsächlich linken Gegner finden große Resonanz. Zwar sind Kampagnen gegen demokratische Initiativen nach Auffassung von Gerd Wiegel »auf Länder­ebene noch wirkungsvoller, da die lokalen Akteure dort greifbarer sind«. Wiegel verweist aber auf einen für die Arbeit der AfD zentralen Punkt: »Der Bundestag ist eine wichtige Bühne, selbst wenn auch die Abgeordnetenbänke der AfD inzwischen leerer sind als zuvor.« Denn die mediale Reaktion auf die Arbeit der AfD werde vor allem über das Internet hergestellt. Formate wie »AfD TV« verbreiten öffentlichkeitswirksam die Auftritte der Abgeordneten.

Auch gegenwärtig klagen die in sämtlichen Talkshows präsenten Politiker der AfD darüber, dass sie in den Medien nicht zu Wort kämen. Dabei wurde schon AfD-Mitgründer Bernd ­Lucke im Bundestagswahlkampf 2013 in zahllose Fernsehsendungen eingeladen – obwohl seine Partei damals noch nicht einmal über ein kommunales Mandat verfügte. Den Abgeordneten der AfD gilt weiterhin jeder Widerspruch, jede Kritik als Zensur. Auf der parlamentarischen Bühne wird nach wie vor die Opferrolle bevorzugt. »Wer hierzulande den Islam kritisch diskutiert, wird kriminalisiert, und die Menschen spüren das«, sagte der Abgeordnete Jürgen Braun Mitte Februar. Braun ist stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag. Ziel seiner Attacken war das Deutsche Institut für Menschenrechte, das Braun als »ideologisch geprägte Einrichtung« bezeichnete. »Das Institut ist Teil der steuergepamperten sogenannten Zivilgesellschaft, die kein Volk mehr kennt und sich die Hypermoral zur Ersatzreligion erwählt hat«, sekundierte die rechte Internettplattform PI News in einem Bericht über Brauns Auftritt.

Im Parlament herrschte zum Zeitpunkt der Rede überschaubarer Normalbetrieb. Auf dem Youtube-Kanal der AfD-Fraktion verzeichnet Brauns Beitrag bislang hingegen über 100 000 Aufrufe. So inszeniert sich die AfD weiterhin als Außenseiterin des politischen Diskurses und bedient sich gleich­zeitig der Instrumente der modernen Mediengesellschaft.