Klima und Klasse
Eine nicht unerhebliche Zahl von Menschen lebt in dem festen Glauben, dass ihre Meinung mindestens ebenso viel zähle wie wissenschaftliche Erkenntnisse und empirische Befunde. Zum Beispiel die Flat Earther: Was wissen schon diese Astrophysiker? Kann nicht auch ein unsichtbarer Antimond für die Mondfinsternisse verantwortlich sein? Haben nicht zahlreiche Denker überzeugend nachgewiesen, dass die Erde eine Scheibe ist?
Den Flat Earthern muss man zugutehalten, dass sie sich um Beweise bemühen. Einen vergleichbaren Forscherdrang lassen Klimaskeptiker vermissen.
Den Flat Earthern muss zugutegehalten werden, dass sie sich um Beweise bemühen und im kommenden Jahr eine Expedition zum Eiswall am Rand der Welt wagen wollen, obwohl sie glauben, dass dieser von der Nasa scharf bewacht wird. Einen vergleichbaren Forscherdrang lassen die sogenannten Klimaskeptiker leider vermissen. Ihr Glaube ist selbstgenügsam, dafür widmen sie sich mit großem Eifer der Diskreditierung der derzeit prominentesten Kämpferin für eine konsequentere Klimapolitik. Es ist nicht ungewöhnlich, dass einer politischen Aktivistin Hass entgegenschlägt. Doch kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Feinde Greta Thunbergs Angst vor ihr haben. Sie lässt weibliche Emotionalität vermissen, das hat man schon Hillary Clinton nicht verziehen. Doch in der Phantasie der »Klimaskeptiker« wird sie zu einer erbarmungslosen Terminatorin: »Verzichte auf dein Auto und dein Steak!« Für ihre Feinde personifiziert sie die kapitalistische Modernisierung, die ihr Männlichkeitsbild bedroht. Bis weit hinein in die Reihen der Sozialdemokratie gibt es eine Anhänglichkeit an einen Industriekapitalismus, der kracht, stinkt und die Sache schweißgebadeter Männer ist. Das Aufheulen des Verbrennungsmotors durch das Surren des Elektromotors zu ersetzen, wird als symbolische Kastration empfunden. Die berechtigte Sorge, durch eine konsequentere Klimapolitik den Arbeitsplatz zu verlieren, wird von patriarchalen Sehnsüchten überformt.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Feinde Greta Thunbergs Angst vor ihr haben. Sie lässt weibliche Emotionalität vermissen, das hat man schon Hillary Clinton nicht verziehen.
Eine solche Konstellation ist nicht grundsätzlich neu. Vor 50 Jahren kämpfte die Lehrlingsbewegung nicht nur gegen unternehmerische Ausbeutung, sondern auch gegen autoritäre, oftmals prügelnde und überwiegend sozialdemokratische Meister und Vorarbeiter. Teils infolge von Einsicht, teils, weil die Lehrlinge nun zurückschlugen, änderten sich die Verhältnisse. Für einen vergleichbaren Kampf in den Gewerkschaften, die in der Autobranche eisern zu ihren Unternehmen halten, fehlen derzeit die Voraussetzungen. Die Klimaschutzbewegung ist als Massenbewegung noch eine neue Erscheinung, sie steht erst am Anfang ihrer Politisierung – die allerdings auch ausbleiben kann. Dass sie überwiegend von der Mittelschicht getragen wird, entspricht ebenso der historischen Normalität wie die dem herrschenden Bewusstsein folgende Konzentration auf den individuellen Konsum und Appelle an die Politiker. Bleibt es dabei, wird die Klimadebatte an der Basis zum clash of lifestyles, in dem beide Seiten mit Statuskonsum ihre jeweilige moralische Überlegenheit dokumentieren, während man sich auf der offiziellen Ebene von Konferenz zu Konferenz schleppt, um immer wieder mit größtem Bedauern festzustellen, dass man seine Ziele immer noch nicht erreicht hat.
Klimapolitik ist Klassenpolitik. Wer arm ist, wird stärker unter dem Klimawandel zu leiden haben.
Klimapolitik ist Klassenpolitik. Die Bevölkerung ärmerer Länder und die ärmeren Schichten der Bevölkerung reicherer Länder werden stärker unter dem Klimawandel zu leiden haben. Aber völlig zu Recht gehen die Lohnabhängigen in den von fossilen Brennstoffen abhängigen Branchen davon aus, dass sie keine adäquaten Ersatzarbeitsplätze erhalten werden. Da bereits jetzt selbst Hartz-IV-Empfänger die Stromrechnung der Großkonzerne mitbezahlen, muss man nicht lange rätseln, wer für die Kosten der Klimapolitik aufkommen soll. Andere als marktwirtschaftliche Lösungen aber sind derzeit kaum im Angebot, damit einher geht das Beharren darauf, im nationalstaatlichen Wettbewerb weiterhin die Nase vorn haben zu müssen. »Deutschland bleibt ein hochattraktiver Standort« gehört zu den elf Zielen, die von der Kohlekommission als gleichrangig mit der Umwelt- und Klimaverträglichkeit der Energieversorgung genannt werden. Das haben auch die Vertreter von Umweltschutzorganisation wie Greenpeace brav unterschrieben.
Eine klassenkämpferische Klimapolitik ist nicht allein eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Der »grüne Kapitalismus«, die rechtzeitige Umstellung auf umweltschonende Produktion mit erneuerbarer Energie, ist gescheitert. Der CO2-Ausstoß steigt weiter und die vorhandenen technologischen Lösungen sind, wie die derzeitige Form der Elektromobilität, bestenfalls unausgegoren. In den kommenden zehn bis 20 Jahren aber wird sich entscheiden, ob die katastrophalsten Folgen der globalen Erwärmung abgewendet werden können.
Für die sozialistische Revolution reicht die Zeit also leider nicht, mag das Scheitern der kapitalistischen Klimapolitik auch bei mehr Menschen die Einsicht reifen lassen, dass Kosmopolitismus und demokratische Planwirtschaft auf globaler Ebene die nächsten notwendigen Schritte der zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit sind. Vorläufig kann es daher nur um diese oder jene Version eines »Green New Deal« gehen, wie er derzeit bei den Demokraten in den USA debattiert wird. Das kann die Probleme nicht lösen, sondern nur vermindern, aber helfen, weitergehende Maßnahmen vorzubereiten – wenn es gelingt, in diesem Rahmen Prinzipien durchzusetzen, die mit der Konzentration auf den individuellen Konsum brechen, die aus der Anpassung an klimapolitische Notwendigkeiten ein weiteres Feld der Selbstoptimierung macht.
Diese Anpassungsleistung kann gutwilligen Angehörigen der Mittelschicht einen Distinktions- und Statusgewinn verschaffen, die Wirkung auf den CO2-Ausstoß ist jedoch unzureichend. Produktionsbeschränkungen und die Subventionierung erwünschter Neuerungen – ein Einstieg in die demokratische Kontrolle über die Produktionsmittel – müssen Vorrang vor marktwirtschaftlichen Regelungen haben, die unweigerlich die Armen stärker treffen und zudem nicht rechtzeitig wirksam sind. Der Kampf für einen »Green New Deal« kann für den Kampf um soziale Fortschritte genutzt werden. Die Branchen, die Mobilität gewährleisten, werden in Zukunft weniger Beschäftigte benötigen. Was liegt da näher als eine – ohnehin längst fällige – drastische Verkürzung der Arbeitszeit? Auch die Kostenverteilung muss nicht Arme und Reiche »gleich« belasten. Warum nicht den Strompreis nach dem Haushaltseinkommen staffeln und Reiche mehr für die Energie bezahlen lassen?
Einen »Green New Deal«, der hilft, den Übergang zum Sozialismus vorzubereiten, können nur Gewerkschaften und soziale Bewegungen durchsetzen. Die Klimaschutzbewegung aber – und hier gibt es eine legitime Thunberg-Kritik – pflegt ungeachtet der scharfen verbalen Kritik ein zu vertrauliches Verhältnis zu vermeintlich wohlwollenden Kapitalfraktionen, Politikern und Medien. Bleibt es dabei, kann sie nicht mehr erreichen als den Status liebevoll getätschelter Hofnärrinnen und -narren, während die »Profis« (der FDP-Vorsitzende Christian Lindner sprach hier nur aus, was andere Politiker den lieben Kleinen so offen nicht sagen wollen) weitermachen wie bisher. Ernsthaften Druck können die Jugendlichen nur ausüben, wenn sie zwar nicht Arbeit und Bildung, aber Karriere und Beteiligung an der Akkumulation verweigern.