Im Paragraphendschungel – die Rechtskolumne über das Unternehmensstrafrecht

Straftäter mit Unternehmens­hintergrund

Auf Antrag der Linkspartei debattierte der Bundestag Mitte April in erster Lesung über die Einführung eines Unternehmensstrafrechts. Im Zusammenhang mit dem Abgasskandal bei Dieselfahrzeugen und den Steuervermeidungsstrategien durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte sind nämlich Forderungen laut geworden – nicht nur in der Partei »Die Linke« –, die die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland fordern. Es wird argumentiert, dass im Vergleich mit anderen Ländern die Situation hierzulande schlecht sei, weil die Möglichkeit der strafrechtlichen Verfolgung juristischer Personen, gemeint sind hauptsächlich Konzerne, fehle.

Das klingt angesichts der Tatsache, dass im Unterschied zu den USA in Deutschland aus dem Abgasskandal bisher kaum strafrechtliche Konsequenzen folgten, nachvollziehbar. Dass es in der Bundesrepublik keine strafrechtlichen Sanktionen gegen juristische Personen gibt, hat allerdings seinen Grund in der Strafrechtsdogmatik des deutschen Rechts, die auf dem Schuldprinzip fußt. Dieses lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Voraussetzung für eine strafrechtliche Sanktion ist, dass die Tat dem Täter persönlich zum Vorwurf gemacht werden kann und dieser Vorwurf das gesamte Unrecht der Tat umfasst. Außerdem darf die Strafe nicht das Maß der Schuld übersteigen. Das alles verweist auf die Person und das Handeln des Täters als Mensch und lässt sich schwer denken für eine juristische Person, die ja als solche zum Beispiel nur als Eintrag im Handelsregister existiert. Welchen persönlichen Vorwurf mache ich einem solchen Eintrag oder einem Aktienpaket?

Sanktionen sind nach deutschem Recht trotzdem möglich, zum einen gegen die handelnden Unternehmensangehörigen, zum anderen im Rahmen des Rechts der Ordnungswidrigkeiten. Als Ordnungswidrigkeit kann auch mit Bußgeld belegt werden, wenn beispielsweise mangelnde Kontrolle innerhalb des Unternehmens zu strafbarem Handeln führte oder dieses begünstigte.

Diese Geldbußen sind freilich für große Konzerne viel zu lasch. So sieht Paragraph 30 des Ordnungswidrigkeitsgesetzes etwa eine Höchstsumme von zehn Millionen Euro vor. Die Verfahren sind zudem meist äußerst kompliziert und können aufgrund der rechtlichen Regelungen bei Ordnungswidrigkeiten auch von den Behörden schnell eingestellt werden. Deshalb handelt es sich um kein geeigntes Instrument zur Sanktionierung von Konzernen. Auch die OECD empfahl Deutschland, ein wirksameres Sanktionsregime zu etablieren.

Der geltende Koalitionsvertrag schlägt Sanktionen vor, die zumindest in der Formulierung vom Strafrecht und seiner Systematik abweichen. Dazu existiert der »Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes«. Dieser geht auf einige der bestehenden Schwächen ein, indem er zum Beispiel die Höchstsumme der Geldbuße am Umsatz des Unternehmens orientiert. Die Höhe der Geldzahlung kann bis zu 15 Prozent des Umsatzes des Verbands betragen. Die Volkswagen AG beispielsweise verbuchte im Jahr 2018 einen Umsatz von knapp 236 Milliarden Euro. 15 Prozent davon wären immerhin über 35 Milliarden Euro. Ob darüber hinaus ein Unternehmensstraf­recht notwendig wäre, ist umstritten.

Aber zurück zum eigentlichen Strafrecht: Straftaten mit Unternehmenshintergrund werden oft unzureichend bis gar nicht bestraft. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, die meisten davon sind praktischer Art. Oft stehen die Ermittler beispielsweise vor völlig undurchsichtigen Firmen- und Vertragsgeflechten und scheitern schon deswegen an der Aufgabe, Beteiligten individuell strafbares Handeln nachzuweisen. In vielen Fällen leiden die Ermittlungen, und auch spätere Gerichtsprozesse, unter simplem Personalmangel. Ein solcher Zustand nennt sich Vollzugsdefizit und kann dadurch behoben werden, dass schlicht mehr Mittel und Personal bereitgestellt werden. Das kostet im Unterschied zu Gesetzentwürfen allerdings Geld der Länderhaushalte und ist deswegen meist unbeliebt.

Mehr Sanktionsmöglichkeiten gegen Unternehmen bei Straftaten wären jedoch sicherlich nicht verkehrt und würden das deutsche Recht auch an die anderen Rechtsordnungen innerhalb der OECD anpassen. Das eigentliche Strafrecht und sein Schuldprinzip sollte jedoch weiterhin Menschen vorbehalten bleiben.