Spanien steht nach den Wahlen eine schwierige Regierungsbildung bevor

Zehn Prozent für Francos Fans

In Spanien haben die Sozialdemokraten die Wahlen zu gewonnen. Den größten Stimmen­zuwachs verzeichnete allerdings die rechts­extreme Partei Vox.

Als am letzten Sonntag im April um kurz nach 20 Uhr die ersten Hochrechnungen der Ergebnisse der Parlamentswahlen auf öffentlichen Fernsehbildschirmen in Madrid erschienen, entfuhr so manchem Beobachter ein erleichtertes Seufzen: Der rechtsextreme Emporkömmling, die Partei Vox, erhielt knapp über zehn Prozent der Stimmen – ein stolzes Ergebnis, aber weniger, als in den letzten vor der Parlamentswahl veröffentlichten Umfragen prognostiziert worden war. Die regierende Spanische Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) von Ministerpräsident Pedro Sánchez wurde mit 28,7 Prozent der Stimmen deutlich stärkste Kraft.

Dass Sozialdemokraten einen Stimmenzuwachs von sechs Prozentpunkten erzielen und rechte Krawallmacher hinter den Erwartungen zurückbleiben, dürfte international aufmerksam zur Kenntnis genommen worden sein. Vier Wochen vor den Wahlen für das Europäische Parlament schien in Spanien gegen den Trend in Europa gewählt worden zu sein.

Sánchez stehen dennoch schwierige Wochen bevor. Einem Bündnis zwischen dem PSOE und der linken Partei Podemos würden elf Sitze für eine absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus fehlen. Die Linkspopulisten unter Führung von Pablo Iglesias verloren fast sieben Prozentpunkte. »Der PSOE wird ohne die Zustimmung mindestens einer katalanischen Unabhängigkeitspartei keine Regierungsmehrheit bilden können«, sagt der spanische Journalist Rafael González-Palencia im Gespräch mit der Jungle World. »Blieben noch die Rechtsliberalen von Ciudadanos. Doch die zeigen sich als Anführer der Opposition und werden Sánchez wohl mindestens bis zu den Regional- und Europawahlen am 26. Mai die kalte Schulter zeigen.« Wie in den vergangenen zehn Monaten an der Spitze einer Minderheitsregierung zu regieren, wird Sánchez kaum möglich sein. Der PSOE muss Kompromisse eingehen, um eine Situation wie 2016 zu vermeiden. Damals blieb Spanien fast ein ganzes Jahr ohne Regierung, da bei der Parlamentswahl im Dezember 2015 klare Mehrheiten ausblieben; ein halbes Jahr später musste erneut gewählt werden.

Dennoch ist Sánchez’ Kalkül aufgegangen. Er selbst hatte im Februar Neuwahlen ausgerufen, weil ihm die katalanisch-separatistischen Parteien die Unterstützung für seinen Haushaltsentwurf versagt hatten. Nun sieht er sich mit einem klaren Mandat ausgestattet. »Die Zukunft hat gewonnen, die Vergangenheit hat verloren«, gab er sich am Wahlabend kämpferisch. Zudem kann der PSOE auf eine erfolgreiche ökonomische Bilanz verweisen. Das Wirtschaftswachstum hat in Spanien zuletzt angezogen. Unter Sánchez wurden die Mindestlöhne um 22 Prozent erhöht – eine Maßnahme, von der mehr als zwei Millionen Beschäftigte profitieren – und auch die Renten sollen steigen. Die Arbeitslosenquote ist jedoch mit 13,9 Prozent noch immer die zweithöchste in der EU.

Im Siegestaumel des PSOE ging fast unter, dass – zumindest gemessen am Stimmungszuwachs – der größte Wahlgewinner in Spanien dennoch die Rechtsextremen waren. Der Partei Vox von Santiago Abascal war vor den jüngsten Wahlen ein Ergebnis von über der zwölf Prozent der Stimmen prognostiziert worden. Am Ende reichte es zwar nur für 10,3 Prozent, bei den Parlamentswahlen 2015 und 2016 hatte Vox aber gerade einmal 0,2 Prozent erhalten. Über 2,6 Millionen Wählerinnen und Wähler stimmten nun für die rechtsextreme Partei. Nur der außerordentlich hohen Wahlbeteiligung von 76 Prozent und dem komplexen spanischen Wahlsystem ist es zu verdanken, dass Vox nicht deutlich mehr als 24 der 350 Sitze im Abgeordnetenhaus gewann. Vor allem die linken Parteien hatten gegen Ende ihres Wahlkampfs dazu aufgerufen, gegen Vox zu stimmen.
Noch 2018 schien es unwahrscheinlich, dass sich eine rechtsextreme Partei in ganz Spanien derart etablieren kann. Im Wahlkampf machten Abascal und sein umtriebiger Stellvertreter Iván Espinosa de los Monteros vermeintliche Gefahren für die spanische Identität und Nation zu ihren Schlüsselthemen.

Sie schürten Angst vor Überfremdung durch Migration, forderten ein Abtreibungsverbot, verteidigten den Stierkampf als spanisches Kulturgut und wetterten gegen eine angebliche feministische Diktatur im Land. Während die Partei im Ausland vor allem durch ihre Hetze gegen Muslime und People of Colour auffiel, reüssierte sie in Spanien mit ihrer Haltung in der Katalonienfrage. Vox präsentierte sich offensiv als Partei der spanischen Einheit und plädierte strikt gegen Autonomierechte für Katalonien, das Baskenland und die Kanaren. Die katalanische Regierung bezeichneten Vertreter von Vox kurzerhand als »kriminelle Organisation«. Dass dieses zentralistische Verständnis von Spanien an die Strukturen der Franco-Zeit erinnert, ist kein durchaus Absicht.

Es war zu erwarten, dass sich die Partei mit ihrem deutlichen Stimmenzuwachs zur Wahlsiegerin ausruft. »Wir werden die einzige Opposition gegen die Diktatur der Progressiven und die verräterischen Separatisten sein«, hieß es im offiziellen Pressekanal von Vox auf Twitter. Ob es für die Rechten in Spanien ein noch größeres Potential gibt, ist allerdings fraglich. Denn zwei Themen, die von ihren Pendants in Frankreich, Italien und Deutschland erfolgreich genutzt werden, taugen für Vox nicht: zum einen spielten EU-Skepsis und Europa im spanischen Wahlkampf de facto keine Rolle. »Es scheint, als habe Spanien glücklich seine EU-Mitgliedschaft akzeptiert. Vor allem in der Katalonienfrage sucht man offensiv die Unterstützung durch Brüssel«, so González-Palencia. Zum anderen eignet sich auch das Thema Migration kaum für große Emotionen. Zwar kamen 2018 in Spanien mehr Flüchtlinge an als in Italien. Doch seit Ende vergangenen Jahres blockiert die PSOE-Regierung das Auslaufen von Schiffen privater Seenotretter aus spanischen Häfen und ließ bereits im August Flüchtlinge von der spanischen Exklave Ceuta direkt nach Marokko abschieben.

Dass derartige Anbiederungsversuche an die extreme Rechten auch kläglich scheitern können, zeigte die konservative Volkspartei (PP) des ehemaligen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, der in der Partei mittlerweile völlig entmachtet ist. Im Wahlkampf versuchte der PP sich in radikaler Rhetorik in Abtreibungs- und Migrationsfragen und bot Vox sogar einige Ministerposten an. Das Resultat: Mit nur 16,7 Prozent der Stimmen hat der PP sein Wahlergebnis im Vergleich zu 2016 fast halbiert. Die 180-Grad-Wende folgte drei Tage nach der Wahl. Der Parteivorsitzende Pablo Casado distanzierte sich von der »ultrarechten Vox« und will nun, die »Wähler der Mitte« zurückgewinnen.