Antijüdische Ikonografie von Kirchen

Die Judensau darf bleiben

Ein judenfeindliches Relief an der Stadtkirche von Wittenberg darf nach einem Gerichtsbeschluss hängenbleiben. Der Streit um antisemitsche Machwerke an Kirchen ist in vielen Städten entbrannt.

Vorerst bleibt an der Wittenberger Stadtkirche alles beim Alten. Ende Mai verkündete das Landgericht Dessau-Roßlau sein Urteil im Prozess um die sogenannte Judensau, eine Plastik an der Fassade der Kirche. Es kam zu dem Schluss, das Schmährelief müsse nicht entfernt werden, da »keine von der evangelischen Gemeinde ausgehende Beleidigung im Sinne des Strafgesetzbuches« vorliege und die Plastik »nicht als Kundgabe der Nichtachtung oder Missachtung gegenüber in Deutschland lebenden Juden verstanden werden« könne. Michael Düllmann, ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde Berlin, hatte die Klage eingereicht und wollte so die Beseitigung der »Judensau« erwirken. Das über 700 Jahre alte Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen Menschen trinken, die Juden darstellen sollen.

Daniel Kohn, ein Vorstandsmitglied des Vereins »Werteinitiative – jüdisch-deutsche Positionen« äußerte sich im Gespräch mit der Jungle World enttäuscht. »Juristisch mag das Urteil korrekt sein«, so Kohn, »jedoch ist es moralisch daneben, diese judenfeindliche Plastik hängen zu lassen.« Seiner Meinung nach gehören solche historischen Abbildungen »ins Museum«.

Insgesamt gibt es in Deutschland noch an etwa 30 Gebäuden und Kirchen derartige Spottbilder, dazu gehören so bekannte Sakralbauten wie der Bamberger Dom, der Erfurter Dom, der Kölner Dom und der Regensburger Dom. Im Erfurter Dom zeigt ein Relief den Kampf zweier aufeinander zureitender Personen: Von der einen Seite kommt ein auf einem Pferd sitzender und mit Schild und Lanze bewaffneter Ritter; von der anderen Seite ein waffenloser Jude, der auf einer gesattelten und ­gezäumten Sau sitzt.

Die Holzschnitzerei an einer Wange des mittelalterlichen Chorgestühls im Kölner Dom gilt als eine der ältesten erhaltenen Darstellungen des Motivs der »Judensau«. Direkt daneben befindet sich ein weiteres judenfeindliches Motiv, das als Verweis auf die Ritualmordlegende gilt. In Regensburg befindet sich eine verwitterte Steinplastik an der Südseite des Doms, die jener in Wittenberg ähnelt. An der Westfassade des Doms wird der »Tanz um das goldene Kalb« dargestellt – eine Darstellung aus dem Mittelalter, die Juden während des »Götzendienstes« zeigt und das Stereotyp vom geldgierigen Juden transportiert. Am Fürstenportal des Bamberger Doms ist eine Synagoge dargestellt, darunter ist ein Jude zu sehen, der vom Teufel in die Hölle gezerrt wird.

Der Umgang mit solchen mittelalter­lichen Darstellungen ist unterschiedlich. In Bayreuth etwa wurde die stark verwitterte Darstellung einer »Judensau« an der Stadtkirche im Jahre 2004 entfernt. Seitdem hängt dort eine Gedenktafel mit der Inschrift: »Unkenntlich geworden ist das steinerne Zeugnis des Judenhasses an diesem Pfeiler.«

Auch in Wittenberg wird schon ­länger eine Entfernung des Reliefs verlangt. Vor zwei Jahren forderte das »Bündnis zur Abnahme des Reliefs im Reformationsjahr 2017«, die mittel­alterliche Plastik von der Außenwand der Kirche zu entfernen und in einem Museum auszustellen. In der vergangenen Woche sprach sich in Reaktion auf das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau eine Reihe hoher evangelischer Funktionäre und Würdenträger dafür aus, das Schmähbild abzunehmen. So plädierte der neue Bischof der Evan­gelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, auf einer mehrtägigen Konferenz über den »Umgang mit eingefurchten antisemitischen Bildern« in der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt dafür, das Relief ab­zuhängen.

Die Kunsthistorikerin Insa-Christiane Hennen, die an der Konferenz teilnahm, sprach sich hingegen in einem Interview mit dem Deutschlandfunk für den Verbleib des Reliefs aus. Es sei »ganz wichtig, dass diese Bildwerke erklärt werden und dadurch dann auch wieder eine historische Distanz ermöglichen«. Sich zu distanzieren, sei selbstverständlich, aber dies dürfe nicht »zu einer Art Bildersturm« führen. Ähnlich äußerte sich der Wittenberger Oberbürgermeister Torsten Zugehör. Er ­sagte der Welt: »Ich bin gegen Bilderstürmerei, aber für Bildung.«