Die »Ibiza-Affäre« und ihre Hintermänner

Rache am Paten

Haben FPÖ-Leute das Ibiza-Video in Auftrag gegeben? Erste Ermittlungen deuten darauf hin. Dass sich Heinz-Christian Strache mit Wladimir Putin verbündet hat, gefällt nicht allen in der Partei.

Am 20. Mai leitete die österreichische Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ein Ermittlungsverfahren gegen Johann Gudenus und andere verdächtige Funktionäre der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) ein. Drei Tage zuvor war das Video öffentlich worden, in dem der damalige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache und der damalige FPÖ-Fraktionsvorsitzende Gudenus einer vermeintlichen russischen Oligarchin angeboten hatten, ihr im Gegenzug für an den Behörden ­vorbeigeschleuste Parteispenden überbezahlte Staatsaufträge zuzuschanzen und sie sogar an einer eventuellen Privatisierung des österreichischen Trinkwassers zu beteiligen. Die WKStA ermittelt wegen des Verdachts auf Untreue, Anstiftung zur Untreue und Vorteilsnahme zur Beeinflussung.

In rechtsextremen Kreisen stößt das Anbiedern an Russland auf wenig Zustimmung.

Neben dem inzwischen zurückgetretenen Gudenus haben die Ermittler auch den FPÖ-Abgeordneten Markus Tschank im Visier, der verdächtigt wird, über den Verein »Wirtschaft für Österreich« illegale Parteispenden ­ab­gewickelt zu haben. Das könnte jener Verein sein, den Strache im Video als eine Art Waschmaschine für Großspenden anpries. Ob auch gegen Strache selbst ermittelt wird, war zu Redaktionsschluss nicht bekannt. In den Akten ist nur von »weiteren Personen« die Rede. Derweil ermittelt die Wiener Staatsanwaltschaft auch gegen mutmaßliche Auftraggeber und Akteure des Videos. Bei diesen soll es sich um ­einen Wiener Rechtsanwalt, einen Detektiv sowie zwei Männer aus der Security-Branche handeln, die aus »persönlicher Rache« und »Abneigung ­gegen die FPÖ-Politik« gehandelt haben sollen, wie mehrere österreichische Zeitungen kolportierten.

Die Zeit, die eigenen Angaben zufolge in Kontakt zu den für das Video Verantwortlichen hatte, berichtet, einige seien »enttäuschte Anhänger der FPÖ«. Von Bedeutung könnte sein, dass eine der Personen, die der Erstellung des Videos bezichtigt werden, bosnischer Staatsbürger ist. Bei der »Oligarchennichte« aus dem Video soll es sich um eine bosnische Studentin der Agrarwissenschaften mit lettischem Pass gehandelt haben. Einer der Männer aus der Leibwächterszene hat bosnische Eltern.

Schon lange gärt es in der FPÖ wegen deren ostentativer Parteinahme für Serbien und die bosnischen Serben. 2018 heiratete Gudenus Tajana Tajčić, eine angeblich aus Kroatien stammende Serbin. Unter den Gästen bei der Hochzeit in Banja Luka befand sich auch Milorad Dodik, der die autonome Teilrepublik Republika Srpska als Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina vertritt. Dieser ehrte Gudenus wenige Monate später mit einem Orden für die »Verdienste um die Republik Srpska«.

Gudenus und sein Freund Strache hatten die FPÖ auf einen eindeutig proserbischen und prorussischen Kurs gelenkt, was den Rechtsextremen zwar eine überaus treue Wählerschaft unter Exil-Serben und deren Nachkommen in Österreich bescherte, aber nicht von allen in der FPÖ gerne ge­sehen wurde. Zur Zeit der jugoslawischen Sezessionskriege hatten österreichische und deutsche Neonazis auf der Seite Kroatiens gegen die serbischen Truppen gekämpft. Auch das Anbiedern an Russland stößt nicht überall in der FPÖ und mit der FPÖ verbun­denen rechtsextremen Kreisen auf Zustimmung. Um das alles zu verstehen, muss man sich die Entwicklung der FPÖ in den vergangenen 20 Jahren ansehen.

Gudenus reiste oft nach Moskau. Er lernte Russisch und knüpfte Kontakte zu Politikern und Ideologen.

Im Oktober 2004 lud die »Aktionsgemeinschaft für demokratische Politik« (AFP, auch Arbeitsgemeinschaft für demokratische Politik), eine Scharnier­organisation zwischen dem neonazistischen Untergrund und formal demokratischen rechtsextremen Parteien, nach Feldkirchen zu ihrer jährlichen »Politischen Akademie«, in jenem Jahr unter dem Motto »Neues von der Überfremdungsfront«. Hauptredner war der SS-Veteran und mehrfach vorbestrafte Neonazi Herbert Schweiger, der sein »Nationales Manifest für Europa« präsentierte. Im Gespräch mit zwei Journalisten der Austria Presse Agentur, die sich in die Veranstaltung einschleusen konnten, schwärmte Schweiger von Wladimir Putin. Der sei »die letzte Hoffnung der weißen Rasse« und der einzige Staatschef, der »nicht unter der Kontrolle der Juden« stehe. Nur eine »großrassige Zusammenarbeit aller weißen Völker« unter Russlands Führung könne eine Renaissance völkischer Politik einläuten, und Deutschland brauche dringend eine neue Partei, »eine Alternative, eine Alternative für Deutschland«, wie Schweiger sie, über sein Weinglas gebeugt, taufte.

Als sich dies zutrug, war Gudenus Leiter der Wiener Jugendorganisation der FPÖ und organisierte antisemitische Vorträge, in denen unter anderem der angebliche »Staatsterrorismus« ­Israels angeprangert wurde. Die FPÖ unterhielt enge Beziehungen zum Iran, den ba’athistischen Regimes in Syrien und dem Irak Saddam Husseins sowie zu Muammar al-Gaddafi in Libyen – lauter geopolitische Verbündete Russlands. 2006 verkaufte das der FPÖ nahestehende Periodikum Zur Zeit T-Shirts mit dem Konterfei des damaligen iranischen Präsidenten Mah­moud Ahmadinejad und der Aufschrift »A World without Zionism«. Gudenus reiste in jenen Jahren oft nach Moskau, wo er an der Lomonossow-Universität Russisch lernte und Kontakte zu Politikern und Ideologen der Partei des rus­sischen Präsidenten Wladimir Putin knüpfte.

Die Begeisterung, die Putin von Rechtsextremisten entgegengebracht wird, hat ideologische wie auch finan­zielle Gründe. Europäische rechtsex­treme Parteien haben plumpem Antisemitismus zumindest offiziell eine Absage erteilt – allerdings schlossen sich Gudenus und andere FPÖ-Politiker der Kampagne gegen George Soros an, die dem jüdischen Großspender unterstellt, die »nationale Identität« durch die Förderung der Migration zerstören zu wollen. Der neue Hauptfeind ist ­jedoch »der Islam«, und in Putin, der in Tschetschenien islamistische Aufstände mit Massenmord und Flächenbombardements niederschlug, sehen die Rechtsdxtremen ein Vorbild für ihre eigenen Vernichtungswünsche. Israel erklären sie in projektiver Manier neuerdings zu einem Frontstaat des »Abendlandes« gegen »den Islam«.

Zudem beeindruckt die rechten Demokratieverächter, wie Putin mit Dissidenten und Konkurrenten umspringt. Putin brachte nach Abschluss eines blutigen Verteilungskampfs zwischen Oligarchen wie ein Mafia-Pate die Rackets unter Kontrolle. Wer ihn herausforderte, landete je nach Einschätzung seiner Gefährlichkeit im Exil, im Gefängnis oder im Leichenschauhaus. Wie schon die klassischen Mafiosi gibt sich Putin den Schein der Frömmigkeit und des Bewahrers alter Werte, weswegen er nicht nur zur Beichte geht, sondern seine Herrschaft mit Versatzstücken klerikalfaschistischer Ideologie versieht.

Schließlich setzt Putin sich global für rechte Parteien und Bewegungen ein, in erster Linie um von rechtsstaatlichen Prinzipien geprägte geopolitische Konkurrenzmächte wie die Europäische Union zu schwächen oder am besten zu zerschlagen und die Demokratie zu diskreditieren. Manchen bietet Russland Geld oder geheimdienstliche Hilfe. Mit der FPÖ hat Putins Partei »­Einiges Russland« 2016 einen Kooperationsvertrag geschlossen, ein Ziel ist die Erziehung der jungen Generationen »im Geiste von Patriotismus und Arbeitsfreude«.

Die ältere Generation darf aber offenbar auch mal trinkfreudig einen draufmachen. Im Ibiza-Video kann man an Strache und Gudenus beobachten, was die Faszination dieser Leute für Putins Russland ausmacht. Missliebige Journalisten? Entlassen! Öffentliche Güter und Steuergelder? Gehört alles uns! Der Rechtsstaat? Den tricksen wir schon aus! Und dann regt man sich, im grindigen T-Shirt Kette rauchend vor einer Batterie von Schnapsflaschen und Koks-Lines, noch über die »Dekadenz des Westens« auf. Die Szene passt zu den Verbindungen der FPÖ zur Halbwelt der Zuhälter, Spieler, Söldner und windigen Geschäftsleute.

Bereits Jörg Haider hatte solche Verbindungen, doch ihm war seine sexuelle Orientierung zum Verhängnis geworden, die dem »Ehrenkodex« der Mafiosi und kleinen Gangster zuwiderlief. Deswegen wurde er von Strache verdrängt und deswegen hielt Gudenus noch 2016 flammende Vorträge in Russland gegen die »Homosexuellen-Lobby in der EU«. Was Strache und Gudenus derzeit befürchten müssen, ist, sofern sich die bisherigen Ermittlungsergebnisse bestätigen, aber die altbekannte Tatsache, dass die Bande eine Bande bleibt und sich im Falle finanzieller oder persönlicher Zwistigkeiten auch der Methoden der Bande bedient, um Rache an den Paten zu üben.