Gespräch mit »Sibylle«-Fotografin Ute Mahler

»Mut zur Individualität«

Ute Mahler fotografierte viele Jahre für das DDR-Modemagazin »Sibylle«. Ihr sei es darum gegangen, den Eigensinn der Leserinnen zu unterstützen.
Interview Von

Wann kamen Sie zur »Sibylle« und welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?
Ich habe 1977 meine erste große Serie und den ersten Titel für die Sibylle fotografiert, ich kannte die Zeitschrift natürlich und fand sie großartig, auch die Fotografen, die dort gearbeitet haben, fand ich toll. Das war ­Fotografie, weniger Modefotografie mit Konzentration auf das Kleid, sondern eben diese wundervolle Mischung. Diese Fotos haben mich stark geprägt. Da wollte ich schon als 23jährige irgendwann mal hin. Als ich jetzt den Katalog herausgegeben habe, habe ich mir jedes Heft nochmal angeschaut, auch mit ehemaligen Sibylle-Redakteuren, und wieder ­gesehen, welche Qualität das ist.

Die Ausstellung versammelt auch die Coverbilder. Jedes steht für sich und symbolisiert eine Epoche.
Man sieht ganz deutlich, dass die Moden wechseln, in manchen Jahren war die Grafik lauter, radikaler, mal war es die Fotografie. Was ich bemerkenswert finde, ist, dass das wirklich großartige Porträts sind, keine Posen.

Der Fokus liegt auf den Frauen und die Mode ist eher Beiwerk und steht nicht im Mittelpunkt.
Ja, man glaubt den Frauen das, was sie tragen. Sie tragen die Mode mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie zu ihrer Persönlichkeit gehören. Das macht vielleicht auch die Stärke der Porträts aus. Man sieht, dass sie nicht verkleidet sind, sondern dass die Mode auch was mit ihnen zu tun hat. Es ging uns immer darum, Frauen als selbstbewusste und ­schöne Menschen zu fotografieren.

Sibylle 6/1968, Fotos: Jochen Moll.

Bild:
Willy-Brandt-Haus

Welche Idee haben Sie mit Ihren Fotografien verbunden?
Am wichtigsten war mir, diese Zeit mit hereinzunehmen, denn nicht nur Mode erzählt etwas über die Zeit, sondern auch die Fotografie dieser Mode. Und natürlich auch über das Frauenbild. Wenn man sich in der Geschichte der Modefotografie umschaut, gibt es die unterschiedlichsten Ansätze. Auch deswegen sind die Fotografen der Sibylle so unverwechselbar, weil jeder eine andere, subjektive Sicht auf das Frauenbild hat. Das ist das Spannende, denn wenn wir alle das Gleiche erzählt hätten, wäre es langweilig geworden.

Wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben?
Ich war nicht so wahnsinnig vorbereitet, wusste immer ungefähr, was ich für eine Geschichte erzählen will. Erst wenn ich vor Ort bin und den Raum und das Licht und die Person sehe, wie sie im Raum steht oder sich bewegt, entsteht etwas. Ich liebe es, den Zufall einzubeziehen. Ich freue mich über jede Überraschung, die in das Bild reinkommt. Und ich glaube, das hat auch einen Einfluss auf das Model, weil es wie in der Realität wirkt.

Ob grobkörnige Modeaufnahmen von Frauen in Trikotagen oder im klassischen Einreiher vor dem Grau der Plattenbauten – Ihre Aufnahmen wirken fast immer melancholisch und haben diese schöne Tristesse. Was ist Ihr ästhetisches Konzept?
Wenn man Modefotografie macht, fängt man immer bei null an. Man hat eine Redakteurin, man hat ein Mo­del und dann hat man einen Raum, in dem sich irgendwas entwickeln muss. Das ist eine gemeinsame Arbeit zwischen Model und Fotograf. Ate­lier­fotografie hat mich nicht interessiert, ich habe das zwar wegen schlechter Wetterbedingungen ab und zu mal gemacht, aber da habe ich mich immer ein bisschen gelangweilt.

Es waren Auftragsarbeiten, jedes Heft, jede Bildstrecke war thematisch an die Mode der Saison gebunden. Was waren die größten Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Inhaltlich war es überhaupt nicht schwierig, denn wir Fotografen haben mit den Redakteuren zusammen das Konzept entwickelt und hatten Einfluss darauf, wo wir was fotografiert haben und mit wem wir fotografieren wollten. Die Wahl der Models war immer den Fotografen überlassen. Schwierig waren die technischen Bedingungen. Die meisten Sibylle-Fotografen haben mit Kleinbildkamera fotografiert, damit kann man schnell und ein bisschen unauffällig sein. Schwarzweiß auf Kleinbild also. In Farbe ging das nicht, weil man vom Kleinbilddia keine große Seite drucken konnte, das war drucktechnisch damals nicht möglich. Und der Seitenlauf wechselte zwischen einer Farbdoppelseite und einer Doppelseite Schwarzweiß. Wir mussten für jede Seite das System wechseln. Deshalb sind die Serien manchmal nicht so ganz aus einem Guss.

Mussten Sie Konzessionen machen oder gab es besondere Vorgaben der Behörden?
Wir waren privilegiert in dem Sinn, dass wir unsere Arbeit machen konnten, wie wir sie machen wollten. Und das hat damit zu tun, dass die Sibylle, die in einer Auflage von 200 000 erschien, eine Modezeitschrift war, die von den Verantwort­lichen nicht wirklich ernst- und wichtig genommen wurde. Ich glaube, die haben sich einfach gedacht: »Lasst die mal ein bisschen spielen.«

Wurden Fotos auch mal für Propagandazwecke ausgeschlachtet? Und wenn es keine direkten ­Instruktionen gab, dann doch Erwartungen?
Es gab Erwartungen hinsichtlich des Frauenbildes, das vermittelt werden sollte. »So sind doch unsere Frauen nicht, unsere Frauen sind anders«, das war schon ein Punkt, wo man sensibel reagiert hat. Und natürlich gab es auch Bestrebungen, alles ein bisschen optimistischer zu zeigen. Dass das Umfeld so grau war, ist uns gar nicht in dem Maße aufgefallen, schließlich haben wir dort gelebt und es war unsere Realität. Manchmal äußerte die Chefredaktion allerdings schon ihre Wünsche und es hieß: »Warum geht ihr denn nicht mal in die schönen hellen Neubauviertel?« und dann sind wir in die schönen hellen Neubauviertel gegangen, um dann trotzdem unsere Bilder zu machen.

Wie würden Sie das Verhältnis zu Ihrer damaligen Leserinnenschaft beschreiben?
Reaktionen von Leserinnen waren für die Sibylle ganz wichtig, weil es darum ging, Mut zur Individualität zu machen, was auch hieß, mal ein bisschen verrückt zu sein. Alles natürlich in Maßen: Wenn man das von heute aus betrachtet, waren das nur winzige kleine Schritte, aber immerhin. Die Leute waren sensibler damals, sie haben die Zeichen verstanden. Man hat mit Symbolen gearbeitet. Es wirkt heute ein bisschen albern, aber damals hat’s funktioniert und war richtig und wichtig.

Welche Symbole waren das?
Ein gutes Beispiel ist das Foto »Elke steht im Neubaugebiet«. Da gibt es keinen Himmel, es ist alles Platte und davor ein Gitter. Das wurde dann nicht veröffentlicht, das war zu offenkundig symbolisch, obwohl man hätte argumentieren können, dass auf dem Foto nur eine Frau vor einem Neubau zu sehen ist und dass dummerweise dieses Gitter von den Mülltonnen im Bild ist. Die Chefredakteurin hat damals nur gemeint: »Ich weiß, warum wir es nicht drucken, und Sie wissen es.«


Die 1946 in Thüringen geborene Ute Mahler fotografierte viele Jahre für das Modemagazin »Sibylle«. Sie ist Mitbegründerin der Fotoagentur Ostkreuz und emeritierte Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. An die Arbeit für »Sibylle« erinnert Ute Mahler sich gerne, es sei darum gegangen, den Eigensinn der Leserinnen zu unterstützen.