Klassenkampf

Pelikan, geh du voran

Es ist heiß, sehr, sehr heiß. Mir kann das ja vergleichsweise egal sein, denn während die meisten Menschen dieser Tage fächelnd und hechelnd an ihren jeweiligen Arbeitsorten herumglipschen und ohnehin nicht viel mehr schaffen, als täglich brav den büroeigenen Wasserspender leerzutrinken, verbringen meine Aufsichtsbefohlenen ihre Tage längst schön aufsichtsbefreit im Neuköllner Columbiabad, an der türkischen Riviera oder bei Verwandten in einem kurdischen Bergdorf und ich hänge am See herum und lese Bücher, für die das einzige Auswahlkriterium ist, für den Unterricht möglichst ungeeignet zu erscheinen.

Die in diesem Jahr fast unanständig früh einsetzenden Berliner Schulferien haben allerdings auch einen Nachteil, und der heißt August. Im August, wenn sich die Süddeutschen gerade erst in ihre BMWs begeben und klimaanlagengekühlt ihren Urlaub auf der österreichischen Autobahn angetreten haben, müssen wir nämlich schon wieder ran. Wirklich den ganzen erbarmungslosen August lang, der doch sicher nicht – wie könnte er! – kühler werden wird als der Juni. Und, früher war alles besser, »hitzefrei« gibt es nicht mehr, oder jedenfalls nur dann, wenn die Schulleitung vor Hitze vergisst, dass wir die Kinder bis um vier Uhr dabehalten müssen, damit die Eltern arbeiten gehen können, also: nie.

Wenn ich daran denke, entstehen entsetzliche Bilder vor meinem inneren Auge: Flach atmende, fondueschokoladengleich dahingeschmolzene Schüler, deren verformte Köpfe träge auf ihre mit Zeichnungen von Eiswürfeln, -waffeln und -bären gefüllten Hefte herabgesunken sind, in sich zusammengesackte Lehrer, die mit einer für die schwere Luft zu schwachen Stimme über Vektoren oder Schiller sprechen, während sie von Ventilator und Swimmingpool träumen, ein Film von Schweiß, der sich gelatineartig über Technik, Tische und Personen legt, eine Hitze, die noch die kleinste gedankliche Bewegung im Keim erstickt, eine allumfassende Lähmung, die keine sein darf, weil die Karawane, die Schule heißt, immer weiter ziehen muss, ohne Sinn, Verstand oder Klimaanlange durch die Wüste keinem Wasserloch entgegen, sondern der nächsten Notenkonferenz, die bewerten wird, wie sich die kleinen Tiere geschlagen haben, während sie langsam verreckten beim end- und ziellosen Zug durch den Stoff, der bewältigt sein will, was immer das bedeuten wird bei 40 Grad im Schatten. Wenn die Älteren jetzt unwillkürlich an diese eine Szene aus Disneys »Lustige Welt der Tiere« denken müssen, in der die noch flugunfähigen Pelikankinder durch die Kalahari-Wüste watscheln und dabei eine weniger lustige Spur aus erschöpft und verdurstet zusammengebrochenen kleinen Pelikanköpern hinterlassen: Richtig, so ähnlich wird er wohl werden, der August an den Berliner Schulen, nur natürlich viel sinnloser.