Im Paragraphendschungel – Recht im linken Alltag

Das Klima und der Notstand

Immer mehr Klimaaktivisten fordern die Bundesregierung auf, den Notstand auszurufen. Wissen diese Menschen überhaupt, wovon sie da reden?
Kolumne Von

Am 11. Mai 1968 nahmen Zehntausende an einem Sternmarsch nach Bonn teil. Anlass war die Verabschiedung der sogenannten Notstandsgesetze im damals dort ansässigen Bundestag. Nicht wenige glaubten, die Verfassungsänderung könnten einer Diktatur den Weg bereiten. Insbesondere die Gewerkschaften und die Studentenbewegung opponierten dagegen, konnten die Verabschiedung der Gesetze nicht verhindern. Zur Befriedung der Gewerkschaften war jedoch hinzugefügt worden, dass die Einschränkungen im Notstandsfall sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten dürfen.

Im Grundgesetz waren ursprünglich keine Notstandsrechte für die Bundesregierung vorgesehen, zu negativ besetzt und noch zu präsent waren die Notverordnungen, mit deren Hilfe die Reichspräsidenten in der Weimarer Republik häufig als Ersatzregierung fungiert hatten. Auch das neue Notstandsrecht war im Vergleich zu dem anderer westlicher Demokratien weniger scharf, sah aber die Möglichkeit eines Bundeswehreinsatzes im Inneren vor – einer der Hauptgründe für den Protest. Die Notstandsgesetze haben die parlamentarische Demokratie jedenfalls nicht zu Fall gebracht, wenn auch die Befürchtungen gerade im Hinblick auf die deutsche Vergangenheit keineswegs unberechtigt waren.

Heutzutage, im Jahr 2019, ist von Berührungsängsten vor dem Begriff Notstand nichts mehr zu spüren. Im Gegenteil – landauf, landab rufen Städte und Gemeinden den sogenannten Klimanotstand aus. Sie folgen damit Aufrufen aus den Reihen der Schüler- und Studentenbewegung »Fridays for Future«, die jeden Freitag Tausende zu Demonstrationen mobilisiert. Die Bewegung verspricht sich von der Ausrufung des Klimanotstands politische Unterstützung für den Kampf gegen den Klimawandel. Die Schüler und Studenten fordern, dass auch die Bundesregierung den Notstand ausrufen solle. Die befand das bislang ­allerdings nicht für nötig.

Carl Schmitt schrieb in einem seiner polemischen Angriffe auf die Weimarer Republik: »Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Demnach wäre das weiterhin das Kabinett Merkel, denn auch ein Nichtausrufen des Notstands ist eben eine ­Entscheidung. Das hindert viele Klimaschützer jedoch nicht daran, weiterhin auf die Ausrufung des Notstands zu dringen.

Wenn man mit Leuten diskutiert, die dieser Forderung zustimmen, verbindet keiner von ihnen die gewünschte Ausrufung des Notstands mit direkten Konsequenzen. Es handelt sich anscheinend eher um eine Anerkennungsfrage. Die Erderwärmung durch den Klimawandel und die Notwendigkeit der energischen Bekämpfung dieser Entwicklung sollen von der Bundesregierung offiziell anerkannt werden. Der Notstand hat aber seit 1968 im verfassungsrechtlichen System der Bundesrepublik Deutschland eine materielle Bedeutung, er ist im Grundgesetz geregelt und seine tatsächliche Ausrufung hätte ganz konkrete Konsequenzen – nämlich zusätz­liche Befugnisse für die Bundesregierung.

Geregelt ist der innere Notstand in den Artikeln 91 und 87 a IV des Grundgesetzes; er setzt eine drohende Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Bundeslands voraus. Liegt eine solche Gefahr vor, kann ein betroffenes Land die Polizei anderer Länder anfordern, was nichts Besonderes ist und im Rahmen der Kooperation der Länder auch ohne Notstand laufend erfolgt. Die Bundesregierung hingegen darf in diesem Fall die Bundespolizei einsetzen, auch gegen den Willen einer Landesregierung, sofern diese zur Abwehr der Gefahr nicht willens oder in der Lage ist. Darüber hinaus kann sie die Bundeswehr zum Schutz auch ziviler Objekte einsetzen und mit dieser gegebenenfalls militärisch gegen bewaffnete Aufständische vorgehen. Was das mit dem Klimawandel zu tun haben soll und ob dieses rechtliche Mittel überhaupt geeignet ist, gegen das Problem etwas zu tun – diese Frage drängt sich auf.

Das Szenario passt eher zu den extrem rechten Vorstellungen eines Tag X, die seit Jahren in den Köpfen nicht weniger Angehöriger von Polizei und Bundeswehr spuken und ihren Ausdruck beispielsweise in den Todeslisten der Gruppe Nordkreuz gefunden haben. Es spricht daher viel dafür, von der Forderung, der Notstand solle zur Bekämpfung des Klimawandels ausgerufen ­werden, Abstand zu nehmen.