Die Abschottungspolitik der EU

»Die Sahara ist ein Friedhof«

Seite 3 – »Alle sprachen vom Mittelmeer, keiner von der Wüste«
Interview Von

 

Welche Gefahren warten auf diesen Routen?
Viele nigrische Schleuser fahren heute zum Beispiel zunächst in den Tschad und von dort nördlich nach Libyen. Sie nehmen die Routen, auf die sich nigrische Sicherheitskräfte nicht wagen, weil sie zu gefährlich sind. Den Sicherheitskräften gelingt es dadurch zwar tatsächlich immer weniger, Migranten auf dem Weg nach Libyen aufzugreifen, doch für die Reisenden ist das sehr riskant. Auf solchen Routen können sie ­bewaffneten Gruppen oder Terroristen begegnen. Die Fahrer verlieren auf ­diesen Umwegen leicht die Orientierung in der Wüste oder es kommt zu Unfällen. Migranten verdursten oder sterben an der Hitze.

Wie genau arbeitet »Alarmphone Sahara« in Anbetracht dieser Situation?
»Alarmphone Sahara« ist ein Kooperationsprojekt von Organisationen und Aktivisten aus Niger, Mali, Benin, Togo, Burkina Faso, Marokko, Deutschland und Österreich. In all den Dörfern, an denen Migranten vorbeifahren, haben wir sogenannte Warner etabliert. Sie fungieren wie eine Art Wache. Wenn Migranten in Not geraten, misshandelt oder geprellt werden, dann sind wir zur Stelle. Wir koordinieren Rettungsaktionen, dokumentieren Todesfälle und leisten Aufklärungsarbeit.

Das Mittelmeer gilt als tödlichste Grenzsperre der Welt. Warum ­hielten Sie es für notwendig, den Blick auf die Sahara zu richten?
Viele Menschen sprachen über die Toten im Mittelmeer, aber niemand davon, was in der Wüste geschah. Es war, als ob es dort überhaupt keine Toten ­geben würde. Als würden die Menschen sich in Agadez auf den Weg machen und am nächsten Tag einfach so in ­Libyen ankommen. Wir beschlossen daher, endlich über all die Dramen zu sprechen, die sich in der Wüste ereignen. Zu sagen, wie es wirklich ist: dass das Meer tötet, aber die Wüste ebenso. Es war höchste Zeit, dass die Medien ihre Kameras auch dorthin richten. Denn die Sahara ist zu einem Friedhof unter freiem Himmel geworden.

Wie funktioniert das konkret, wenn ein Fahrzeug in der Sahara in Not gerät?
Wir haben Faltblätter verteilt, viele Schleuser haben unsere Telefonnummer. Sie rufen an, wenn sie in Not ­geraten sind. Es ist allerdings erwähnenswert, dass wir sehr begrenzte Mittel haben. »Alarmphone Sahara« hat keine eigenen Fahrzeuge, um selbst Rettungsaktionen zu fahren. In der Regel ko­ordinieren wir uns daher mit den lokalen Behörden, besonders wenn der Notruf von entlegenen Orten kommt.