Eine Kulturgeschichte der Mauer

Gute Mauern, schlechte Mauern

Seite 3 – Dialektik der Mauer

Vor rund 7 000 Jahren entstanden die ersten Städte, die von Stadtmauern geschützt waren. Diese Bauwerke sollten auch beeindrucken und konnten daher in späteren Zeiten imposante Ausmaße annehmen. Man denke etwa an das Ischtar-Tor aus Babylon, das in den zwanziger Jahren nach Berlin geschafft wurde.

Stadtmauern trennen den urbanen Ort vom Land. Intra muros, lateinisch für »innerhalb der Mauer«, galt als Pseudonym für den Städter. Mauern waren das Symbol für die mittelalterliche Stadt, weshalb sie auch auf den Stadtsiegeln markant abgebildet wurden. Doch längst nicht alle Städte verfügten über Mauern. Für das deutschsprachige Gebiet vermutet die Wissenschaft, dass nur 50 Prozent der Städte von Mauern umschlossen waren. Es existierten aber vielerorts auch durch Stein­ringe befestigte, sogenannte Wehr­dörfer. Stadtmauern dienten auch der Repräsentation und sollten urbanes Selbstbewusstsein ausstrahlen. So werkelten die Bürger von Nördlin­gen 300 Jahre am steinernen Ring. In der Neuzeit verlor Nördlingen an Bedeutung und die Mauer wurde nicht mehr erweitert. Ein Glücksfall für den Tourismus: Hoch oben kann man das Mauernrund komplett ablaufen und in das pittoreske Städtchen schauen.

Mit Horn und Posaune gegen Mauern: So stellte man sich bislang die Zerstörung Jerichos durch die Israeliten vor.

Bild:
mauritius images / Memento

Eine Mauer steht niemals nur für sich selbst. Ob Festung oder Grabmal, Ghetto oder Paradiesgarten: Die menschliche Existenz ist mit Mauern eng verbunden. Mauern legen räumliche Machtbeziehungen fest, werden gesellschaftlich produziert und wirken auf die Gesellschaft zurück. Das ist die Dialektik der Mauern: Wo Mauern hochgezogen werden, will man sie zugleich auch einreißen oder überschreiten. Während der Dekolonialisierung wurden Großstau­dämme euphorisch als Ausdruck erwachten Nationalbewusstseins gefeiert. Projekte wie Assuan, Itaipú und Tarbela versprachen in Afrika, Asien und Lateinamerika technolo­gischen Fortschritt. Die Projekte zur Energiegewinnung hatten aber auch Umsiedlung und Verarmung, Beein­trächtigung der flussabwärts Lebenden und Umweltzerstörung zur Folge. Vom Verkauf und Bau der teuren Mauertechnologien profitierten vor allem internationale Konzerne.