Systemwechsel statt »Green New Deal«

Klima oder Kapitalismus

Der Klimawandel ist Folge unseres zerstörerischen Wirtschaftssystems. Trotzdem nehmen viele Linke das Problem noch immer nicht ernst und verspotten Klimaschutz als Spleen von Veganern, Hippies und Esoterikern.

Mit apokalyptischen Visionen lassen sich Diktaturen und Repression rechtfertigen; allzu leicht gerät aus dem Blick, dass für viele Menschen die Lebensbedingungen derzeit schon katastrophal sind. Aber es sind Tausende von Wissenschaftlern, die Alarm schlagen, nicht ein paar Ökofaschisten. Der Klimawandel bedrohe den »Weiterbestand der uns vertrauten Zivilisation«, warnte der Physiker Hans Joachim Schellnhuber, bis 2018 Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Wir erleben bereits neue Hitzerekorde und Dürren, Missernten und Waldbrände, Starkregen und Überschwemmungen. Teile der Erde drohen unbewohnbar zu werden, weil sich Wüsten ausbreiten. Dazu kommen Artensterben, Bodenerosion, die Folgen der Plastikflut und der Versauerung der Meere.

Der Neofaschismus könnte alle um sich scharen, die im globalen Norden ein zerstörerisches Konsummodell verteidigen.

Der radikalen Linken mangelt es angesichts dessen nicht am nötigen theoretischen Rüstzeug. Umweltzerstörung ist stofflicher Ausdruck der Kapitalverwertung. Unter Konkurrenzbedingungen müssen Unternehmen immer mehr Waren immer schneller herstellen und verkaufen, sonst werden sie von Konkurrenten ruiniert oder übernommen. Wachse oder weiche, lautet das Prinzip. Es gilt für Autoindustrie und IT-Dienstleister, Handwerksbetriebe und Ökobauern. Deshalb werden immer mehr Land, Rohstoffe und Energie verbraucht, zurück bleiben immer mehr Müll und Gift. Zu den Vordenkern der Umweltbewegung gehörten Linke wie Barry Commoner oder Murray Bookchin. In den USA und Großbritannien gibt es seit langem einen ecological marxism, hierzulande gab es einmal ökosozialistische Ansätze. Daran ließe sich anknüpfen, bei allen Schwachstellen dieser Konzepte.

Abschied vom Schlaraffenland

Aus kapitalismuskritischer wie radikalökologischer Sicht ließe sich das linkspopulistische Gejammer über Globalisierung und Neoliberalismus zerpflücken, dem der kapitalkonforme Ruf nach dem starken Staat folgt, der mit Konjunkturprogrammen das Wachstum anheizen und für mehr Lohnar­beit sorgen soll. Grün ist am auch von vie­len Linken eingeforderten Green New Deal gar nichts. Das Ziel müsste vielmehr sein, die Rüstungsindustrie komplett abzuschaffen und die Produktion in Branchen wie der Auto-, Luftfahrt- und Chemieindustrie stark zu reduzieren. Global betrachtet würde das Millionen von Arbeitsplätzen kosten, auch wenn für die Beseitigung aller Umweltschäden oder eine ökologische Landwirtschaft mehr Arbeitskraft benötigt wird. In einer Gesellschaft jenseits von Kapitalverwertung und Lohnarbeit wäre das kein Problem. Niemand müsste deswegen Mangel leiden.

Allerdings müssten Linke sich von der Idee verabschieden, eine postkapitalistische Gesellschaft könne ein Schlaraffenland sein. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jede nach ihren Bedürfnissen, wie das Motto von Marx und Kropotkin lautete, kann nur heißen: Dank modernster Produktionsmittel arbeiten wir wenig, führen ein Leben in Muße, frei von allen materiellen Sorgen, wie es die Mehrzahl der Menschen bislang nicht kannte. Ludwig Erhards Wahl­versprechen »Wohlstand für alle«, stetig wachsender Konsum von beliebigen Gütern, lässt sich jedoch nicht erfüllen. Ein eigenes Auto oder Flugreisen für alle acht bis neun Milliarden Menschen, die nach gegenwärtigen Prognosen in den kommenden Jahrzehnten die Welt bevölkern werden, sind nicht drin, auch nicht mit modernster Technik.

Mit einer Hymne auf die Segnungen von Atomkraft und Gentechnik in den Händen der siegreichen Arbeiterklasse begann Jürgen Elsässer einst seinen Marsch nach rechts. Das kann sich wiederholen. Schon heute bietet der Neo­faschismus ein Panoptikum aus Naturmystikern, Verschwörungsideologen, die den Treibhauseffekt leugnen, und Neomalthusianern, die über unterschiedliche Reproduktionsstrategien schwadronieren und fordern, Deutschland müsse die Grenzen schließen, um die Afrikaner zu einer »ökologisch nachhaltigen Bevölkerungspolitik« zu bewegen. Der Neofaschismus könnte alle um sich scharen, die im globalen Norden ein zerstörerisches Konsummodell verteidigen.

Die Grünen hofieren die Wirtschaft

Die Schwierigkeiten für die Linke liegen in der Praxis und im Habitus. Ein Teil der Linken nimmt das Thema immer noch nicht ernst oder tut es als Spleen von ein paar Hippies, Esoterikern und Veganern ab. Doch die ökologische Zerstörung ist kein Schauermärchen, keine »Schändung von Mutter Erde«, sondern real, und anthro­pozentrisch aufgefasst eine Bedrohung der ökologischen Nische der eigenen Spezies.

Während der individuelle ökologische Fußabdruck mit dem Einkommen wächst, treffen die Folgen vor ­allem die subalternen Klassen, die Lohnabhängigen, Kleinbauern, ­Ärmeren und Marginalisierten, wenn die landwirtschaftlich nutzbare Fläche zurückgeht, das Trinkwasser verseucht ist, Lebensmittelpreise steigen, Mega­städte wie ­Lagos oder die Hälfte von Bangladesh im Meer zu versinken drohen. Die herrschenden Klassen könnten dann in abgeschotteten Festungen, einer Art globalem Apartheidsystem, überleben. Der Anfang ist längst gemacht, wenn die europäische »Wertegemeinschaft« das Mittelmeer in ein Massengrab verwandelt. Die Weichen für ein Jahrhundert der Barbarei sind damit bereits gestellt.

Der Widerspruch zwischen Sonntagsreden und Realpolitik ist offensichtlich, das Legitimationsdefizit groß. Das sollte Lernprozesse erleichtern. Jeder Staat fördert lukrative Branchen besonders intensiv, auch wenn sie ökologisch eine Katastrophe darstellen. Er ist der Staat des Kapitals, der schon deshalb auf funktionierende Kapitalverwertung angewiesen ist, weil die Steuereinnahmen davon abhängen. Darum können Linke wenig ändern, wenn sie in einer Regierung mitmachen. Die Grünen stehen sowieso auf der anderen Seite der Barrikade: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hofiert die Daimler AG, die hessischen Grünen segnen den Bau eines dritten Terminals für den Frankfurter Flughafen ab.

Die Kunst der repressiven Toleranz

Wirklich etwas erreichen kann nur ein breiter und vielfältiger Widerstand. In der Bundesrepublik waren 90 Atomkraftwerke geplant, der Protest gegen eine Allparteienkoalition der Befürworter trug dazu bei, dass nur 22 errichtet wurden – was schlimm genug ist. Der Braunkohleabbau im Hambacher Forst wurde vorläufig gestoppt durch die Kombination aus großen Demonstrationen, dem BUND, der vor Gericht zog, und den hartnäckigen Besetzern, die in Baumhäusern ausharrten.

Es gibt esoterische und reaktionäre Gruppen und Tendenzen, aber die Klimaschutz- und Umweltbewegung ist nicht stockkonservativ und faschistisch. Die Kollaboration von Linken mit Ökonazis, bis in die Anfänge der Grünen praktiziert, würde heute sofort skandalisiert. Problembewusstsein ist vorhanden, das zeigen einschlägige Veranstaltungen, etwa auf dem Klimacamp demnächst bei Leipzig. Die »Fridays for Future«-Bewegung mag naiv sein und ihr könnte eine baldige Vereinnahmung drohen. Ein viel grundsätzlicheres Problem ist aber, dass der Kern der deutschen Industriearbeiterklasse, ­organisiert bei der IG Metall, weiterhin die Klassenkollaboration favorisiert. Politik und Kapital perfektionieren die Kunst der repressiven Toleranz, während in den achtziger Jahren noch als Kommunist geschmäht wurde, wer für Mülltrennung eintrat. So ist das Leben.

Trotz alledem bleibt einem dennoch gar nichts anderes übrig, als möglichst viele Junge wie Alte für die Losung »System change, not climate change« zu gewinnen.