Ausstellung »Exil und Fotografie«

Genau an diesem Ort

Seite 6 – Düstere Atmosphäre

Dabei ist meist unklar, um wen es sich bei den Abgebildeten handelt. So ist die Identität der Sängerin auf der trügerisch verschwommen Aufnahme »La Chanteuse« (1998) nicht bekannt. Boltanski gab lediglich an, sie stamme aus einem Amateurfilm der dreißiger Jahre, den er auf einem Berliner Flohmarkt entdeckt hatte. Auch bei »The Dancers« (1996) kann nicht beantwortet werden kann, ob es sich bei dem tanzende Paar um Opfer oder Täter handelt. In jedem Fall erschaffen die Verschwommenheit der abgebildeten Personen und die in beiden Arbeiten seltsam anwesend-abwesende Musik eine düstere Atmosphäre, die auf das nahende Verhängnis und den Tod verweist.

An beiden Eingängen zur Ausstellung sind Fotografien platziert. ­Boltanskis Arbeit »Jüdische Schule« (1992) basiert auf einer Fotografie von Schülerinnen der Jüdischen Mädchenschule in Berlin, die er auf transparentes Papier druckte, zerknitterte und an den Rändern mit Klebeband versah. Die Mädchen, die den Nationalsozialismus nicht überlebt haben, blicken den Betrachter direkt und heiter, fast schon übermütig an. Das Foto wurde 1939 aufgenommen.

Weissensteins Foto »Ben Yehuda School Tel Aviv« stammt ebenfalls aus dem Jahr 1939. Auch hier werden die Betrachtenden von einer großen, fröhlichen Schülergruppe angesehen, in diesem Fall sind es ausschließlich Jungen. Zwar ist auch hier unklar, wer diese Menschen sind, wie sie ihren Weg nach Israel gefunden haben, wen sie zurücklassen mussten und wie ihr Alltag verlief. Doch ähnlich wie bei der Aufnahme vor dem Radiogeschäft in Tel Aviv sind sie dem Geschehen in Europa entrückt: Vor den Nazis und ihren Helfershelfern befinden sie sich in Sicherheit.

Rudi Weissenstein – Exil und Fotografie. Fotografien von Rudi Weissenstein, Ellen Auerbach und Christian Boltanski. ­Villa Grisebach, Berlin. Bis 21. September.