Sun Ras »Space Is the Place« auf Blu-ray

Kosmische Emanzipation

Seite 2 – Afroamerikanische Utopie

Im Laufe der Vierziger hatte Sun Ra sich in der Jazzszene von Chicago ­einen Namen erspielt, zunächst mit Swing- und Big-Band-Standards, bald mit neuen, experimentellen Sounds. Diese auf unzähligen Tonträgern – über 100 Alben hat Sun Ra hinterlassen – veröffentlichte Musik ist kaum einzuordnen, zu sehr hat sie sich, wie auch ihr Schöpfer, gegen die Jazz-Konventionen ihrer Zeit ­gestemmt: mal blubbernd, fiepend, mal klassischer Big-Band-Sound, dann wieder minutenlange Synthesizerexperimente oder spirituelle Texte über das Weltall und die Errettung der Seele. Anders als viele an­dere afroamerikanische Musiker hat er nicht nach seinen Wurzeln und ­einer verschütteten Vergangenheit gesucht, stattdessen blickte er nach vorne und vor allem nach oben. Sun Ra hat aus dem traumatischen Motiv der Vergangenheit der Sklaverei, dem Schiff, ein in die Zukunft weisendes, ermutigendes Motiv gemacht: das Raumschiff.

Der britische Kulturwissenschaftler Mark Dery hat diesem Phänomen den Namen Afrofuturismus gegeben. Für den Blick in die Zukunft ist auch eine neue Ästhetik notwendig, in der Wissenschaft und Kunst verschmelzen. Für Sun Ra ist das Raumschiff der Inbegriff dieser neuen Ästhetik, ein Raumschiff, das mit Musik angetrieben wird.

Sun Ra war nicht der Erste, der den space, das Weltall, als Metapher für eine afroamerikanische Utopie benutzt hat, er war jedoch einer derjenigen, die dieses Konzept am konsequentesten umgesetzt haben, weswegen er neben George Clinton und Lee »Scratch« Perry als Erfinder des Afrofuturismus gilt. Aber die eskapistische Idee, angesichts der Diskriminierung der Schwarzen in USA in Richtung Weltall zu blicken und dort nach einem freieren Leben zu suchen, ist bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert durch die afroamerikanische Kulturgeschichte gegeistert.