Wirtschaftsrezession in Deutschland

Die Null bleibt schwarz

Der deutschen Wirtschaft droht eine Rezession. Die Bundesregierung hält Investitionsprogramme bislang jedoch nicht für notwendig.

Deutschland galt jahrelang als Vorbild für ganz Europa. Während manche ­andere EU-Staaten mit immensen Schulden und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpften hatten, boomte hierzulande die Wirtschaft. Doch die Zeiten des deutschen Aufschwungs und der Export­rekorde sind vorbei. Nach zehn Jahren fast ununterbrochenen Wachstums schrumpfte die Wirtschaft im vergangenen Quartal, im Juni sanken die deutschen Exportwerte um acht Prozent. Im Vergleich zu anderen Staaten sind das die schlechtesten Prozentwerte im Euro-Raum, eine Rezession im kommenden Jahr ist sehr wahrscheinlich. »Deutschland ist wieder auf dem Weg, zum kranken Mann Europas zu werden«, prophezeit die Welt.

Überraschend kommt die Entwicklung nicht. Vermutlich handelt es sich bei der sich anbahnenden Rezession um die am leichtesten vorhersagbare der Nachkriegsgeschichte. An Kritik und Hinweisen mangelte es schließlich in den vergangenen Jahren nicht, auch wenn sie zumeist nur außerhalb Deutschlands geäußert wurden.

Das deutsche Modell basiert vor allem auf dem erfolgreichen Export von ­Maschinen und Fahrzeugen. Dieser Erfolg ist auch deshalb möglich, weil deutsche Produkte aufgrund der verhältnismäßig niedrigen Löhne billig sind. So war Deutschland in den vergangenen Jahren mehrfach das Land mit dem höchsten Leistungsbilanzüberschuss der Welt.

Grenzen der Verschuldungsfähigkeit

Doch sind diesem Wirtschaftsmodell Grenzen gesetzt. Je mehr Deutschland exportiert, desto mehr verschulden sich Länder, die diese Produkte abnehmen. Endlos aufrechterhalten lässt sich dieses ungleiche Verhältnis nicht. Zudem veraltet die wichtigste exportierte Technologie: der ­Verbrennungsmotor. Deutsche Hersteller verkauften vor allem großmotorige Limousinen massenhaft nach Übersee und Fernost – Güter, die angesichts der immer drängender werdenden Klimafrage alles andere als up-to-date sind. Deutsche Unternehmen verdienten so gut, dass die Hersteller nur zögerlich nach anderen Antrieben als dem Verbrennungsmotor suchten. In vielen innovativen Bereichen sind sie mittlerweile abgehängt oder müssen um den Anschluss kämpfen. »Das deutsche ­Erfolgsmodell war weder ökonomisch noch ökologisch durchhaltbar«, kommentierte das Handelsblatt vergangene Woche. »Es missachtete die Grenzen der Verschuldungsfähigkeit der übrigen Welt.«

Hinzu kommt, dass die Hinwendung etlicher Staaten zu einer nationalis­tischen und protektionistischen Wirtschaftspolitik kaum ein anderes Land so trifft wie Deutschland. Ein »harter Brexit« würde die Beziehungen zu ­einem der wichtigsten Handelspartner in Europa erheblich erschweren, eine neue postfaschistische Regierung in Italien könnte wegen der immensen Verschuldung des Landes ebenfalls zu protektionistischen Maßnahmen greifen.

Zudem gefährdet der Konflikt zwischen den USA und China das deutsche Exportmodell. Die vom US-Präsidenten Donald Trump immer wieder angedrohten Strafzölle würden die deutsche Autoindustrie empfindlich treffen. Und schon lange vor dem Handelsstreit hat sich abgezeichnet, dass die Industrieproduktion in China nur noch langsam wächst. Die USA und China kauften im vergangenen Jahr zusammen Waren made in Germany im Wert von 206 Milliarden Euro. Sinkt die Nachfrage in beiden Ländern, hat die deutsche Wirtschaft ein existentielles Problem.

Marode Infrastruktur

Kein Wunder also, dass nunmehr nach staatlicher Unterstützung verlangt wird. »Es liegen trübe Monate vor uns, die drohen, Jahre zu werden, wenn die Politik nicht gegensteuert«, klagte jüngst Joachim Lang, der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), und stellte einen der zentralen Glaubenssätze der Bundesregierung in Frage. Die »schwarze Null« müsse angesichts der »fragilen konjunkturellen Lage auf den Prüfstand«, sagte er, »finanzpolitisch muss Deutschland jetzt umschalten«. Die Zinsen seien auf einem historisch niedrigen Stand, daher ergebe die Spar­politik keinen Sinn mehr.

Weil die Absatzmöglichkeiten auf dem Exportmarkt schwinden, richtet sich das Interesse der Wirtschaft auf den Binnenmarkt. So schlägt Michael Hüther, der Direktor des unternehmernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), die Gründung eines »Deutschlandfonds« vor. Dieser soll Mittel in Höhe von 450 Milliarden Euro erhalten, um in Infrastrukturmaßnahmen, Verkehr, Digitalisierung, Klimawandel und Bildung zu investieren.

Tatsächlich hat Deutschland in diesen Bereichen großen Nachholbedarf. Obwohl es, gemessen am Bruttosozialprodukt pro Kopf, zu den reichsten Ländern der Welt gehört, sind viele Straßen, Brücken und Bahntrassen marode. In zahlreichen Kommunen fehlen dringend notwendige Mittel, um Schulgebäude und Kindergärten zu sanieren und bedarfsgerecht auszubauen. Das digitale Netz erfüllt vor allem in ländlichen Gebieten häufig nicht einmal minimale Standards, während man etwa in Bulgarien und Rumänien selbst in abgelegenen Gebieten kaum Funklöcher findet. Die Immobilienpreise steigen auch deshalb in erheblichem Maß, weil der Staat in den ver­gangenen Jahren kaum noch in den Wohnungsbau investierte.

Loyaler Nachfolger

Der Vorwurf, Deutschland investiere zu wenig und konzentriere sich ein­seitig auf den Export, wurde spätestens seit der Finanzkrise 2008 immer wieder erhoben, beispielsweise von linken Parteien in Europa. Er prallte jedoch regelmäßig an den Vorstellungen des damaligen deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble (CDU) ab, der stattdessen die »Schuldenbremse« und die »schwarze Null« zur Grundlage seines Handelns erklärte. Die damalige Bundesregierung änderte 2009 sogar das Grundgesetz und legte Beschränkungen für die staatliche Kreditaufnahme verfassungsrechtlich fest. Auch die deutschen Wirtschaftsverbände bezeichneten damals die Sparpolitik als alternativlos.

Mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat Schäuble einen loyalen Nachfolger bekommen, der von diesen Vorgaben nicht abweicht. So sagte Scholz vergangene Woche, dass nicht viel Geld für neue Investitionsprogramme zur Ver­fügung stehe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht »derzeit ­keine Notwendigkeit für ein Konjunkturpaket«. Die Bundesregierung will an dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts festhalten. Lediglich Bundes­arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Vorbereitungen für eine drohende Rezession treffen. In der vergangenen Woche stellte er in Auszügen ein geplantes Gesetz vor, das unter anderem die staatliche Zahlung von Kurzarbeitergeld für Beschäftigte angeschlagener ­Unternehmen erleichtern und Weiterbildungsmaßnahmen für Arbeitnehmer fördern soll.

Die Haltung des Bundesfinanzministers und der Bundeskanzlerin könnte sich aber ändern, wenn die Rezession mit voller Wucht einsetzt. »Niemand hat die Absicht, einer Krise hinterherzusparen«, zitiert der Spiegel einen Konjunkturexperten der Bundesregierung. Dass diese auch anders kann, zeigte sich in der Finanzkrise vor zehn Jahren. Damals legte die Bundesregierung ein milliardenschweres Konjunkturprogramm für die Autobranche auf, das als »Abwrackprämie« bekannt wurde. Wer ein neues Fahrzeug erwarb, erhielt einen staatlichen Zuschuss. Doch dieses Programm lässt sich nicht mehr wiederholen. Einfach noch mehr Autos verkaufen – damit wird das deutsche Modell diesmal sicher nicht zu retten sein.