Ein Neonazitreffpunkt in Hamm entwickelt sich zu einem regionalen Zentrum

Hotspot Hamm

Kürzlich fand im nordrhein-westfälischen Hamm ein Rechtsrockkonzert statt. Der örtliche Neonazitreffpunkt hat sich zu einem regionalen Zentrum der extrem rechten Musikszene entwickelt.

Zwei Neonazis mit Glatze, Tattoos und Bomberjacke standen vor einer Hofeinfahrt am Kentroper Weg 18 im westfälischen Hamm. Sie bewachten das Tor des dortigen Neonazitreffpunkts »Zuchthaus«. Hinein kam nur, wer sich vorher per E-Mail Karten bestellt hatte.
Örtliche Neonazis hatten am Samstag vorvergangener Woche zum Sommerfest geladen. Gegen 20 Euro Eintritt gab es Spanferkel und Live-Musik. Im musikalischen Aufgebot waren die Bands Sturmwehr, Blutlinie sowie Snöfrid aus Schweden. Etwa 100 Rechtsextreme kamen ins »Zuchthaus«.

Die Antifaschistische Aktion Hamm hatte die Ankündigung des Konzerts im Vorhinein öffentlich gemacht und die Stadt Hamm aufgefordert, »mit allen verfügbaren juristischen und ordnungspolitischen Mitteln aktiv gegen die Veranstaltung vorzugehen«. Die Stadt hatte tatsächlich eine Ordnungsverfügung erlassen, die jegliche öffentliche Veranstaltung im Kentroper Weg untersagte, das angekündigte »Sommerfest« aber nicht als öffentliche Veranstaltung eingestuft: »Bislang haben wir keine belegbaren Beweise, dass es sich bei der Veranstaltung im Kentroper Weg nicht um eine private Ver­anstaltung handelt.« Bei einer öffentlichen Veranstaltung hätte die Stadt größere rechtliche Möglichkeiten für ein Verbot gehabt.

Am Tag der Veranstaltung hielten Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Nähe des Veranstaltungsorts eine Kundgebung ab. Auch Polizeikräfte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ordnungsamts und der Rechtsdezernent der Stadt Hamm, Jörg Mösgen, waren anwesend, um sich ein Bild zu ­machen. Trotz der Ankündigung im Internet, des Stroms der ankommenden Besucher und eines »Wachschutzes«, der die Besucher anhand von Listen überprüfte, wollte der Rechtsdezernent kein Urteil über den Charakter der Veranstaltung abgeben: »Zunächst stellt sich die Frage, was da heute stattfindet. Ich weiß es schlichtweg nicht. Im Moment habe ich keinen Anhaltspunkt dafür, dass da eine Veranstaltung so stattfindet, wie sie im Internet beworben wird.«

Auf Nachfrage der Jungle World, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit die Stadt ein solches Konzert als öffentliche Veranstaltung bewerten und somit untersagen könnte, antwortete Mösgen: »Es muss schon so sein, dass da eine professionelle Band kommt und dann könnten wir daraus folgern, dass da eine Veranstaltung, wie im Internet beworben, stattfindet. Ich habe aber bisher noch keinen Musikbus oder Tourbus gesehen.«

Darauf wartete der Rechtsdezernent vergeblich. Die Bands mit ihren Instrumenten wurden im Verlauf des Nachmittags mit Pkw aufs Gelände gefahren. Das Konzert wurde auf den Abend verschoben. Dem Ordnungsamt teilten die Veranstalter mit, dass es sich um eine geschlossene Gesellschaft handele. »Es ist völlig unverständlich, warum die Stadt eine Verbotsverfügung erlässt, um diese dann nicht durchzusetzen«, sagte Johanna Schillack vom antifaschistischen Jugendbündnis »haekelclub590« in Hamm. »Wenn sich Stadt und Poli­zei von Neonazis offensichtlich vorführen lassen, sendet dies das völlig falsche Signal an die Naziszene in der Stadt.«

Es war nicht das erste Konzert im Kentroper Weg. Nach Informationen der Antifaschistischen Aktion Hamm fanden dort allein in diesem Jahr bereits sieben extrem rechte Konzerte statt – darunter auch ein Auftritt der britischen Band Brutal Attack. Sie zählt zu den ältesten und einflussreichsten Bands des Rechtsrock und gilt als dem in Deutschland verbotenen Neonazinetzwerk Blood & Honour zugehörig. »Der Kentroper Weg ist in Nordrhein-Westfalen der Ort für Rechtsrockkonzerte und wird auch von den bekanntesten Bands frequentiert«, sagte Leroy Böthel von der »Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus« im Regierungsbezirk Arnsberg. Zudem sei das örtliche Nazimilieu bestens vernetzt, besonders im musikalischen Bereich, so Böthel. In Hamm wohnt beispielsweise der Gitarrist der bekannten rechtsextremen Band Sleipnir, der auch schon für Sturmwehr und die Dortmunder Band Oidoxie gespielt hat.

Allein in diesem Jahr fanden in Hamm bereits sieben Nazikonzerte statt – unter anderem mit der bekannten Band Brutal Attack.

Auch Oidoxie sind bereits in Hamm aufgetreten. Die Band gilt nach Recherchen des Netzwerks Exif als das »bedeutendste musikalische Sprachrohr von Combat 18 in Deutschland«. Combat 18 gilt als bewaffneter Arm von Blood & Honour, ist in Deutschland jedoch nicht verboten. Auch das Terror­netzwerk NSU und der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, Stephan E., sol­len Verbindungen zu Combat 18 und Blood & Honour gehabt haben.

Zu den Konzerten im »Zuchthaus« kommen meist etwa 100 Personen, darunter nicht nur die örtliche Szene, die aus etwa 20 bis 30 Personen besteht, sondern Neonazis aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland. Ein Anwohner, der anonym bleiben möchte, sagt, er habe schon häufiger die Anreise der Konzertbesucher beobachtet. »Manchmal hört man auch, wie die ihre Lieder singen«, berichtet er.
Der Stadt sind allerdings keine Beschwerden bekannt. Dazu sagt Leroy Böthel: »Uns sind Berichte von Anwohnern bekannt, die aus Angst vor Bedrohungen durch die Neonazis keine Anzeige erstatten.« Als die »Werkstatt für Demokratie und Toleranz« einlud, um über den Neonazitreff zu diskutieren, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Rechtsextremen am Eingang fotografiert.

Seit 2012 nutzen Neonazis das Gebäude im Kentroper Weg. Nicht nur für Konzerte, auch Schulungen, Geburtstagsfeiern und Vorträge finden dort statt. Nach Recherchen von Antifaschisten soll es sich bei den Mietern um ehemalige Mitglieder der 2012 verbotenen »Kameradschaft Hamm« handeln; wie der Westfälische Anzeiger berichtete, wurde das »Zuchthaus« nur wenige Monate nach der Schließung des Treffpunkts der Kameradschaft eröffnet. Diese galt Böthel zufolge als bundesweit gut vernetzt. Ein besonders enges Verhältnis pflegte sie mit dem ebenfalls verbotenen »Nationalen Widerstand Dortmund«. Viele führende Figuren der Dortmunder Szene kommen auch zu den Konzerten im Kentroper Weg.

Neben der musikalischen Unterhaltung bieten Konzerte den Neonazis auch Möglichkeiten zur Vernetzung, eine bedeutende Einnahmequelle und die Möglichkeit, über die Musik neue Mitglieder für die Szene zu gewinnen. »Im Kentroper Weg hat man eine Location, in der man ungestört Konzerte ausrichten kann. Das ist für die Szene natürlich Gold wert«, sagt Böthel. In Hamm müssen die Neonazis für ihre Konzerte nicht über Schleusungspunk­te auf irgendwelchen Rastplätzen ge­langen. Sie können ganz bequem in der Nähe der Innenstadt feiern. Die recht­liche Lage sei schwierig, so Rechtsdezernent Mösgen, aber: »Wir werden das, was wir tun können, versuchen. Wir haben überhaupt kein Interesse an diesen Veranstaltungen. Wir wollen solche Naziveranstaltungen nicht.«