Die Zapatistas in Mexiko haben weitere autonome Zentren eröffnet

Mehr Zapatismus wagen

In Chiapas haben die Zapatistas neue autonome Zentren gegründet. Auch unter der sozialdemokratischen Regierung von Andrés Manuel López Obrador sind viele indigene Gemeinden in Mexiko von Vertreibung und der Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen bedroht.

Wie so oft begann es mit einer Reihe Texte von Subcomandante Galeano. In wenigen Sätzen wandte er sich am 10. August in bissig-witzigem Ton an jene Anhänger des von den Zapatistas kritisierten Präsidenten Mexikos, Andrés Manuel López Obrador von der sozialdemokratischen Partei Morena, »die jetzt darüber klagen, unterstützt zu haben, was jetzt zu erleiden ist«. Das Kommuniqué schließt mit einer Ankündigung, die wissen lässt, dass etwas passieren werde, aber nicht, was. Die zapatistische Autonomie sei ausgeweitet worden, schreibt schließlich sieben Tage und vier Kommuniqués später der Sprecher der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN), ihr Militärchef Subcomandante Insurgente Moisés.

Bereits im Oktober 2016 hätten sich im Nationalen Indigenenkongress (CNI) organisierte Gemeinden, zusammen mit dem EZLN, dazu verpflichtet, zur »Verteidigung des Territoriums und von Mutter Erde« in die Offensive zu gehen, heißt es zu Anfang des Kommuniqués vom 17. August. Seit dem 10. April 2016 hatten sich über 200 meist ländliche und indigene Gemeinden, Kollektive und sonstige Gruppen in einer »Nationalen Kampagne zur Verteidigung von Mutter Erde und des Territoriums« darüber verständigt, wie sie gemeinsam gegen Vertreibungen, Abholzung, Wasser- und Umweltverschmutzung durch Industrie und infrastrukturelle Großprojekte vorgehen können. Auch sollten »alternative Lebens- und Regierungsweisen« deutlich werden.

1994 trat der EZLN erstmals öffentlich in Erscheinung. Am 9. August 2003 gründeten die Zapatistas fünf »Caracoles«, regionale Zentren der Selbstverwaltung, die jeweils mehrere autonome Bezirke umfassen. Dort hat jeweils eine der fünf »Juntas de Buen Gobierno« (Räte der Guten Regierung) ihren Sitz. Fortan soll es zwölf dieser Caracoles geben – die bedeutendste organisatorische Entwicklung der vergangenen 16 Jahre. Des Weiteren gebe es vier neue autonome Landkreise, heißt es im Kommuniqué, damit umfasse die Bewegung nun 43 autonome Zentren und Regionen.

Als grundlegend für dieses »exponentielle Wachstum« werden zwei Entwicklungen genannt: zum einen – und »am wichtigsten« – die »organisatorische politische Arbeit und das Beispiel der Frauen, Männer, Kinder und älteren Menschen in den zapatistischen Stützpunkten«, zum anderen die »die Gemeinschaft und die Natur zerstörende Regierungspolitik«, weshalb selbst »traditionellerweise parteiische Gemeinden« gegen diese aufbegehrten. Tatsächlich befinden sich einige der neuen autonomen Landkreise außerhalb des traditionellen Einflussgebiets der Zapatistas, etwa der im Süden von Chiapas nahe der guatemaltekischen Grenze gelegene Landkreis »Ernesto Che Guevara«, offiziell Motozintla.
Präsident López Obrador nahm die Neuigkeit gelassen auf. Er hieß deren Vorstoß willkommen, schließlich arbeite man »zum Wohle der Gemeinden und chiapanekischen Völker«. Das Vorgehen der Regierung der vergangenen Monate weist jedoch in eine andere Richtung. So berichtet das in Chiapas ansässige Menschenrechtszentrum Frayba von wachsender Militärpräsenz in zapatistischen Gebieten. Als der Präsident in einem Anfang Juli veröffentlichten Interview mit der Tageszeitung La Jornada damit konfrontiert wurde, bezichtigte er das Zentrum und die Zapatistas der Lüge.

Der Präsident hieß den zapatistischen Vorstoß willkommen. Das Vorgehen der Regierung der vergangenen Monate weist jedoch in eine andere Richtung.

Im Kommuniqué des EZLN heißt es, in nur wenigen Monaten seien »ein Dutzend Genossen« des CNI getötet worden, darunter Samir Flores Soberanes. Der Umweltschützer hatte sich gegen den Bau einer Thermoelektrikanlage in Huexca engagiert, er ist am 20. Februar in seinem Haus in Amilcingo erschossen worden. Einen Tag zuvor hatte er sich bei einer Informationsveranstaltung für die Bevölkerung in Jonacatepec mit einem Regierungsvertreter angelegt. In Erinnerung an Flores und die anderen Ermordeten trage die am 17. August angekündigte zapatistische Kampagne den Namen »Samir Flores lebt«, heißt es im Kommuniqué.

Vor einigen Monaten wurden Tausende Soldaten der neu geschaffenen­ ­Nationalgarde in den Süden Mexikos geschickt, um dort vor allem die irre­guläre Migration zu bekämpfen (Jungle World 31/2019). Zwei der vier von den ­Zapatistas neu ausgerufenen autonomen Landkreise befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Militärbasen. So finden in Tapachula, dem Nachbarbezirk des autonomen Landkreises »Ernesto Che Guevara«, zurzeit große Truppenbewegungen statt. Der autonome Landkreis »Esperanza de la Humanidad« (Hoffnung der Menschheit), dessen offizieller Name Chicomuselo lautet, soll im November eine neue Militärbasis bekommen – seit Jahren schwelt in der Gegend ein Konflikt wegen der Konzessionierung einer Barytmine. Am 27. November 2009 wurde der führende Minengegner Mariano Abarca Roblero in Chicomuselo erschossen, die Mine kurz darauf geschlossen; doch ein anderes Unternehmen bemüht sich mittlerweile um eine Wiedereröffnung.

Ein direkter Angriff der Nationalgarde auf die autonomen Gemeinden scheint unwahrscheinlich. Die Zapatistas vermuten allerdings, die Bewegung soll durch die Militärpräsenz isoliert und eingeschüchtert werden. Das von Moisés signierte Kommuniqué ist mit »Und wir durchbrachen die Umzingelung« betitelt. Im Gegensatz zu 1994 hat der EZLN dieses Mal nicht zum bewaffneten Aufstand aufgerufen und wird auch nicht direkt von der mexikanischen Armee angegriffen. Doch auch dieses Mal ist es den Zapatistas ­geglückt, unbemerkt mehrere autonome Zentren aufzubauen. Eines der neuen Caracoles, es trägt den Namen »Jacinto Canek«, befindet sich gar in einer Stadt, auf dem Gelände des Indigenen Zentrums zur integralen Ausbildung (CIDECI) in San Cristóbal de las Casas.