Interview mit Josh Aronson von der Demokratischen Union über die Situation Behinderter in Israel

»Deutlich geringer als der Mindestlohn«

Josh Aronson, 33, ist Journalist und setzt sich bei der linksliberalen Demokratischen Union für die Belange Behinderter ein. Er hat das »Asperger-Syndrom«, mittlerweile meist als »Autismus-Spektrum-Störung« bezeichnet. Seit er 18 ist, lebt er in Israel.

Erhalten Behinderte in Israel staatliche Unterstützung?
Sie bekommen eine Beihilfe, die Höhe ist vom Grad der Behinderung abhängig. Bei 100 Prozent Behinderung, was bedeutet, dass man nicht arbeiten kann, bekommt man 3 200 Schekel – deutlich weniger als der Mindestlohn (5.300 Schekel, circa 1.300 Euro, Anm. d. Red.). Damit kann man sich kaum eine eigene Wohnung leisten, Medikamente bezahlen, über den Monat kommen.

Gibt es eine Behindertenbewegung in Israel?
Es gibt viele Gruppen. Gerade am 1. September hat es südlich von Netanya eine Demonstration der Gruppe »Dis­abled Become Panthers« gegeben. Die Protestierenden haben mit ihren Rollstühlen die Schienen für den Zugverkehr blockiert.

Was waren ihre Forderungen?
Sie wollen, dass die Behindertenbeihilfe dem Mindestlohn angepasst wird. Vor knapp einem Jahr wurde bereits vereinbart, dass die Beihilfe in vier Schritten erhöht werden soll. Die nächste Erhöhung soll im Januar 2020 erfolgen. Dazu muss ein Komitee aus der Sozialvorsorge und der Finanzbehörde zusammenkommen, doch letztere ist nicht zu den Treffen erschienen. Der Protest sollte Druck auf die Finanzbehörde ausüben, sich an die Vereinbarung zu halten.

Gibt es Parteien, die sich für die Rechte Behinderter einsetzen?
Die einzige Partei, die das Thema ernsthaft verfolgt, ist die Demokratische Union, der auch ich angehöre und in deren Management-Team ich in Jerusalem bin. Zwar haben auch andere Parteien behinderte Kandidaten auf ­ihren Listen, das Thema aber nicht auf ihrer Agenda. Eine der Forderungen der Demokratischen Union ist die Erhöhung der Beihilfe auf Mindestlohn­niveau. Ilan Gilon ist auf Platz fünf der Liste, er ist Anwalt und wegen einer ­Polioerkrankung teilweise gelähmt. Sein Engagement für die Belange Behinderter war ein Grund dafür, dass ich zur Demokratischen Union ging. Der an­dere wichtige Grund war, dass ich mich für Busverkehr am Schabbat engagiere. Da ich wegen meiner Behinderung keinen Führerschein habe, bin ich auf öffentlichen Nahverkehr angewiesen. Taxifahren wäre viel zu teuer.

Wie sieht es mit Inklusion im Bildungsbereich aus? Gehen Behinderte zusammen mit Nichtbehinderten in dieselben Schulen?
Das sollten sie eigentlich. Das Problem ist nur, dass die meisten Schulen nicht barrierefrei sind und nicht darauf vorbereitet, Behinderte zu unterrichten. Es gibt daher viele Schulen, die speziell für Behinderte sind, aber dort hat man dann Autisten zusammen mit Kindern mit Down-Syndrom und anderen. Die Lehrkräfte können nicht auf die verschiedenen Bedürfnisse eingehen. Dadurch sind die Behinderten auch im späteren Leben benachteiligt, sie finden keine gute Arbeit und sind nicht in die Gesellschaft integriert. Viele landen in Behindertenwerkstätten, wo sie etwa Elektroteile zusammenschrauben. Es wird übersehen, dass Behinderte zahlreiche Talente haben, die sie für sich und die Gesellschaft nutzen können. Nehmen Sie mich als Beispiel.

In Israel wird häufig Pränataldiagnostik angewandt, um auszuschließen, dass ein behindertes Kind zur Welt kommt. Wie wird das hier diskutiert?
Ja, das ist wirklich ein großes Ding hier. Ich persönlich halte das für falsch. Als jemand mit Behinderung kann ich sagen: Ja, es ist schwer, unter den gege­benen Umständen in dieser Welt zu leben. Aber es gibt so viele Dinge, die Behinderte beitragen können, und es waren auch viele Menschen mit Behinderung, die das Land und die Welt verändert haben.