Gespräch mit Eiman Seifeldin über die Rolle von Frauen bei den Protesten im Sudan

»Frauen stellen die Mehrheit auf der Straße«

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Interview Von

Dagalo war auch Kommandeur der berüchtigten Janjaweed, einer Miliz, die während des Darfur-Kriegs genozidale Kriegsverbrechen beging und aus der die RSF gebildet wurden. Wie groß ist die Bedrohung durch solche Kräfte?
Als 2017 der Karthoum-Prozess einsetzte und al-Bashirs Regime Mittel zur Grenzsicherung erhielt, um Flüchtlinge an der Flucht nach Europa zu hindern, hat das Parlament das sogenannte Rapid-Support-Forces-Gesetz verabschiedet – und die Janjaweed unter neuem Namen, RSF, eingesetzt. Die Kriegsverbrechen der Janjaweed – im Sudan nennt man die RSF weiterhin so – in Darfur sind bekannt und von den UN dokumentiert worden: Massaker an der Zivilbevölkerung, systematische Vertreibungen und Ver­gewaltigungen. Was sie in Darfur angerichtet haben, tun sie bis heute unter dem Namen RSF. Der jüngste Vorfall war am 18. August, zwei Mädchen im ­Alter von neun und 13 Jahren wurden vergewaltigt. Daher wird auch der Friedensprozess scheitern, solange die beiden Verhandlungspartner die Janjaweed beziehungsweise RSF nicht entwaffnen und demobilisieren. Es droht die Wiederkehr des alten Systems von al-Bashir. Dagalo und seine Milizen dienten und dienen zur Aufrechterhaltung eines islamischen Regimes, unter al-Bashir und bis heute. Zudem haben islamische Gruppen wie al-Bashirs Regierungspartei National Congress Party (NCP) und die Popular Congress Party (PCP), die kürzlich eine Schattenregierung angekündigt hat, verschiedene Milizen, etwa den National Intelligence Security Service (NISS) und die Popular Defense Forces (PDF). Dazu kommen weitere Milizen, die unter al-Bashir operierten und noch aktiv sind.

Für die extrem hohe Beteiligung von Frauen an der Protestbewegung wurde das Bild der Studentin Alaa Salah, die eine große Ansammlung Demonstrierende agitierte, sym­bolisch. Aus welchen gesellschaftlichen Schichten kommen all die Frauen, aus welchen Motiven protestieren sie?
Die meisten Frauen sind arm und kommen aus den unteren, sozial benachteiligten Schichten, wie auch die Mehrheit der Demonstrierenden. Dass mehrheitlich Frauen demonstriert ­haben, liegt in ihrer Unterdrückung durch das islamische Regime der Sharia und die »Gesetze der öffentlichen Ordnung« begründet, die auf die Zeit der Diktatur al-Bashirs zurückgehen. Mit dem Public Order Act hatte er ein islamisches Regime eingesetzt, das bis heute von den Milizen aufrechterhalten wird. Dieses zielt hauptsächlich auf Frauen, mit zahlreichen Gesetzen und Restriktionen, die auf die Einschränkung aller Aspekte ihres Lebens zielen: so­zial, ökonomisch und politisch.

Wie sehen diese Beschränkungen aus?
Frauen wurde es untersagt, allein zu reisen oder ohne Begleitung auf die Straßen zu gehen, ihr Sozialleben wurde eingeschränkt, ihre indi­viduelle Freiheit attackiert. Die Islamisten haben Polygamie, Frühverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung (im Sudan betrifft dies über 80 Prozent der Frauen, eine der höchsten Raten weltweit, Anm. d. Red.) und vieles mehr gefördert.
Es gibt ein völlig ungerechtes Familienrecht, eine Frau kann sich kaum scheiden lassen. Sie ist gezwungen, bei ihrem Ehemann zu bleiben – geht sie weg, kann sie von der Polizei aufgegriffen und zum Ehemann zurückgebracht werden. Polizei und Ehemann besitzen die Autorität, die Frau zu Hause einzusperren. Dieses Regime, das von Saudi-Arabien unterstützt wird, hat zudem neue Eheformen eingeführt, unter anderem die mut’ah- und die misyar-Ehe (»Lust-« und »Durchreise-Ehe«), die durch einen Kurzzeitvertrag geschlossen werden, ohne jegliche Verpflichtung für den Mann, selbst wenn Kinder daraus hervorgehen. Dadurch werden junge Mädchen aus armen ­Familien Opfer ihrer finanziellen Notlage, wenn sie zur »Heirat« vergeben werden.
Des Weiteren haben Frauen Statistiken zufolge insgesamt mehr als drei Millionen Peitschenhiebe erhalten, weil sie Hosen trugen oder auf andere Art gegen die »Gesetze der öffentlichen Ordnung« verstoßen hätten. Seit dem ­Public Order Act haben nach Informationen des Netzwerks AYIN, einer un­abhängigen sudanesischen Medienorganisation, die zuständigen Gerichte durchschnittlich 135 Millionen Sudanesische Pfund (umgerechnet rund 2,7 Millionen Euro, Anm. d. Red.) an Bußgeldern eingenommen, mehr als 43 000 Frauen jährlich sind strafrechtlich verfolgt, willkürlich festgenommen und zur Polizeistation gebracht worden, wo man sie schlägt, erniedrigt, mit Bußgeld belegt und zwingt, Verpflichtungen zu unterschreiben, keine Hosen oder kurzen Kleider mehr zu tragen.