Ist die Sitcom »Friends« schwulenfeindlich?

Homophil statt homophob

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Dass die Besetzung durch Turner, deren burschikose Art und tiefe Stimme sie auszeichnen, ebenfalls ein Witz über Geschlechtsstereotype ist, scheint vergessen. Turner selbst gab zwar in einem Interview mit dem Magazin Gay Times an, »Friends« sei nicht so gut gealtert, stellt aber ebenfalls fest, dass ihre Figur »wegweisend« gewesen sei. Sie erzählte weiter: »Ich habe die Rolle angenommen, weil es zu der Zeit nicht viele Drags oder Transmenschen im Fernsehen zu sehen gab.« Aber auch hier wieder die Krux mit der Repräsentation, denn die ist nach heutigen Maßstäben nur »richtig«, wenn ein Transmensch einen Transmenschen spielt. Erst kürzlich sagte die Schauspielerin Scarlett Johansson eine Rolle nach Protesten ab; sie sollte in einem Film einen Transgender spielen.

Alternative Familie, hier nicht nur im übertragenen Sinne: Rachel bekommt ein Kind mit Ross, obwohl die beiden kein Paar mehr sind. Später werden Monica und Chandler ihren Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter erfüllen.

Bild:
ddp / interTOPICS / Capital Pictures

Das »Reden über« ist zum großen Problem geworden, der Unterschied zwischen Realität und Fik­tion eingeebnet, und alles wird für bare Münze genommen. Dabei muss man sich gar nicht groß verrenken, um »Friends« als eine durch und durch queere Serie zu interpretieren, nämlich als eine, die Normverletzung zum Prinzip der Geschichte erhebt.

»Friends« ist eine Serie des Übergangs von den achtziger in die neunziger Jahre, und dieser Übergang wird aufklärerisch für das Publikum dargeboten.

Diese Interpretation könnte folgendermaßen aussehen: Sechs Freunde leben in Manhattan, allesamt sind sie leicht anachronistische Figuren – Ross ist ein Geek, Monica eine Neurotikerin, Chandler ist ein Pausenclown, Rachel eine Tussi, Joey ist ein Casanova und Phoebe ein Hippie. Diese sechs Figuren sitzen in ihrer heterosexuellen Welt der neunziger Jahre und werden ständig mit Neuem bombardiert: Mit Homo-und Transsexualität, mit Familienmodellen und Verhaltensweisen, mit kulturellen Codes und Symbolen, und dazu müssen sie sich verhalten. Viele der Nebenfiguren in »Friends« sind auf ihre Weise deviant: Phoebes Zwillingsschwester Ursula (beide Rollen werden gespielt von der groß­artigen Lisa Kudrow) dreht Pornofilme, die Eltern von Ross und Monica reden andauernd über ihre sexuellen Eskapaden und Joeys Schwestern ­bilden eine messerschwingende Girlgang.

»Friends« ist eine Serie des Übergangs von den achtziger in die neunziger Jahre, und dieser Übergang wird hier aufklärerisch für das Publikum dargeboten (für viele ­Zuschauer wird es wohl das erste Mal gewesen sein, dass sie überhaupt mit Homosexualität konfrontiert wurden). Und er bleibt nicht ohne Folgen: Alle sechs Freunde haben sich im Laufe der Serie mindestens ein Mal geküsst (ja, das gilt auch für die Männer). Joey und Chandler leben in den ersten Staffeln in ihrer WG wie ein Ehepaar zusammen, plus Kinder, nämlich dem Huhn und der Ente, die als tierische Sidekicks immer wieder durchs Bild laufen oder watscheln. Das Internet ist voll von Fan-Fiction über die beiden Freunde, in der sie eine romantische und sexuelle ­Beziehung miteinander eingehen. Monica hat eine durch und durch souveräne Beziehung mit einem deutlich älteren Mann und Phoebe trägt die Kinder für ihren Stiefbruder aus.

Die Serie entwickelt sich von einer Fabel über das Geschlechterverhältnis, in der scheinbare emotionale Unterschiede zwischen Männern und Frauen erörtert werden, zu einer alternativen Familienerzählung. Und nicht ­zuletzt ist es eine Serie über Männlichkeit, und zwar über eine kriselnde Männlichkeit, die sensible Männer wie Joey, Ross und Chandler hervorbringt, die zwar fortwährend ver­suchen, knallharte Typen zu sein, aber damit immer wieder charmant und witzig scheitern. Chandler sagt bereits in den ersten Minuten der allerersten Folge gedankenverloren den Satz »Manchmal wünsche ich mir, ich wäre eine Lesbe«, und Ross erklärt seine gescheiterte Beziehung mit Carol folgendermaßen: »Meine Ehe ist vorbei, weil Carol eine Lesbe ist … und ich nicht.«