Die AfD und ehemalige Bürgerrechtler verbreiten Wendemythen

Kampf um die Deutungshoheit

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Anders als AfD-Verdrehungen, Schönfärbereien von Bürgerrechtlern und staatstragende Jubelfeiern suggerieren, waren die Ereignisse im Herbst 1989 historisch ambivalent. Die Vielfältigkeit der DDR-Opposition zeigte sich beispielsweise auf den zahlreichen Transparenten bei der Demons­tration auf dem Alexanderplatz am 4. November 1989, als etwa eine halbe Million Menschen auf die Straße gingen. »Es ist, als habe jemand die Fenster aufgestoßen«, fasste der Schriftsteller Stefan Heym die Aufbruchsstimmung damals zusammen. Viele basisdemokratische, gewerkschaftliche und staatskritische Gruppen begannen sich zu organisieren. Nationalistische Losungen wie »Deutschland, ­einig Vaterland« oder »Wir sind ein Volk« waren bis zum Mauerfall kaum zu hören. Danach wurden sie – unterstützt durch Kampagnen der Bild-Zeitung und der CDU – schnell populär. Nationalistische und rassistische Ideen konnten an den verbreiteten Rassismus gegen sogenannte Vertragsarbeiter und an die staatliche Verleugnung neonazistischer Umtriebe in der DDR anknüpfen.

Schon bald liefen bei den Montagsdemonstrationen auf dem Leipziger Ring die linken Gruppen entgegen der offiziellen Route, um sich gegen den ­nationalen Taumel zu stellen. Die Volkskammerwahlen im März 1990 brachten einen überraschenden Sieg der CDU-geführten »Allianz für Deutschland« und waren ein Schock für jene, die für radikaldemokratische Ziele auf die Straße gegangen waren. Für Migrantinnen und Migranten (nicht nur) in Ostdeutschland brachte die »friedliche Revolution« mehr offenen Rassismus bis hin zu Pogromen wie in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie 1993 die weitgehende Einschränkung des individuellen Rechts auf Asyl.