Der analoge Mann

Don’t talk about politics, religion and money

Warum man manche Smalltalk-Themen lieber vermeiden sollte.
Kolumne Von

Außer ihm und mir ist niemand im Laden. Während ich mich durch eine Ein-Euro-Plattenkiste arbeite, höre ich, wie er hinter meinem Rücken anfängt zu singen: »Ob’s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht. Der Tag glühend heiß, oder eiskalt die Nacht. Bestaubt sind die Gesichter, doch froh ist unser Sinn. Es braust unser Panzer im Sturmwind dahin.« »Kennst du?« fragt er.

Regelmäßig versucht mich der Besitzer des kleinen Kreuzberger ­Second-Hand-Schallplattenladens zu provozieren, indem er das Panzerlied der Wehrmacht anstimmt. Und weil er immer versucht, mich aus der Reserve zu locken, weiß ich auch schon ganz genau, was ich antworte. Immer das Gleiche. »Nazis sind scheiße«, sage ich zum Plattenmann. Ein Typ wie aus einem Roman. Er kifft in seinem Laden, geht in Swingerclubs, glaubt an Verschwörungstheorien und hasst Polen, den Islam und arabische Großfamilien.

Aber ein richtiger Nazi ist er nicht. Weil er gar nicht in politischen Kategorien denkt. Ich kann seine Meinungen nicht ernst nehmen. Er sitzt mitten in Kreuzberg in seinem Plattenladen, umringt von Leuten, die Geld sammeln, um die Ozeane von Müll zu befreien, und langweilt sich wahrscheinlich nur. »Ehrlich gesagt, ist es mir egal, wenn du Satan anbetest«, sage ich. »Das ist deine Privatsache. Ich interessiere mich nicht für Politik und Religion. Ich interessiere mich für Musik. Wenn ich in deinen schön ­dekorierten Laden komme, dann bin ich auf der Suche nach einer Platte von den Schlümpfen. Oder von Peter Frankenfeld. Oder von den Television Personalities. Ich bin hier unten in deiner Schallplattenwelt, weil ich Schallplatten liebe. Für mich gibt’s keine herrlicheren Orte als Platten­läden.« Jedes Mal bringt ihn das zum Verstummen.

Selbstverständlich interessiere ich mich für Politik und Religion. Ich möchte nur nicht mit dem Plattenverkäufer darüber reden. Die Lüge versteht er. Mein negging hingegen irritiert ihn. Negging – negative complimenting – ist eine üble Flirttechnik, bei der Komplimente eine Person subtil herabwürdigen. »Du hast abgenommen, steht dir« suggeriert »Vorher warst du mir zu fett«. Ich betone, dass ich mich für Musik interessiere, weil ich weiß, dass er sich nicht für Musik interessiert. Er beschäftigt sich lieber mit esoterischen Magnetmotoren.