Über das Verhältnis von Antizionismus und Antisemitismus

Antizionismus und Antisemitismus

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Viele Linke unterstützen heutzutage einfach den palästinensischen Nationalismus, ohne sich um sein »Wesen« zu sorgen oder gar über das Programm der Nationalisten nachzudenken, die oft ausdrücklich fordern: »vom Jordan bis zum Meer«. Es gibt zionistische Juden, die die gleiche Forderung mit gleicher Leidenschaft stellen. Sicherlich sollten sich Linke gegen beide wenden – mit einer ähnlich entschlossenen Opposition.
Diejenigen Linken, die »einen Staat« mit gleichen Rechten für Juden und Palästinenser fordern, würden wahrscheinlich sagen, dass sie genau das tun. Es handelt sich um ein Programm, das eine beständige Abscheu vor dem Nationalismus und dem Nationalstaat widerzuspiegeln scheint – zumindest in diesem einen Fall konsequent.

Aber »ein Staat« bedeutet die Beseitigung eines Staats, des bestehenden jüdischen Staates, und wie genau werden die one-staters das erreichen? Wie wollen sie den jüdischen Staat und die nationale Bewegung, die ihn hervorgebracht hat, besiegen – oder alternativ, wie wollen sie den palästinensischen Nationalismus besiegen? Wie würde der neue Staat aussehen? Und wer würde über dessen Einwanderungspolitik entscheiden? Was wäre letztlich, wenn der neue Staat – das wahrscheinlichste Ergebnis – so ähnlich wie der Libanon aussähe? Angesichts der jüngsten Geschichte des Nahen Ostens und der Geschichte Israels und der palästinensischen Gebiete sind das friedliche Zusammenleben und die Gleichberechtigung unter einer Regierung eine sehr schöne Vorstellung, aber dennoch bloße Phantasie.

Zweifellos wäre es besser, einen Staat hinzuzufügen, als einen abzuschaffen, und beiden nationalen Bewegungen zu erlauben, die von ihnen angestrebte Souveränität zu erlangen beziehungsweise zu behalten. Die Zweistaatenlösung kann auch Phantasie sein; es gibt bedeutende politische Kräfte auf beiden Seiten, die sich dagegen einsetzen. Aber es gibt auch hier Realismus. Es ist bekannt, wie man Nationalstaaten schafft; es gibt viel Erfahrung, auf die man aufbauen kann. Niemand weiß ingegen, wie die ideale politische Gemeinschaft entstehen soll, die die one-stater angeblich wollen. Und die Art von Staat, den sie wahrscheinlich schaffen würden, wäre nicht wünschenswert.

Die Schaffung von Nationalstaaten – das ist etwas, das Linke während der ­gesamten postkolonialen Periode verteidigt haben. Jugoslawien ist die offensichtliche Ausnahme, wo viele Linke gegen die Schaffung von sieben neuen Nationalstaaten waren und das tyrannische Regime bevorzugten, das einst alle sieben Nationen zusammenhielt. Eine weitere Inkonsistenz: Wenn Tyrannei die Alternative zur nationalen Befreiung ist, sollten und werden Linke sich meist für die Befreiung entscheiden. Und die Wahl ist gut, denn es gibt viele Indizien dafür, dass Nationen Staaten brauchen – oft, um sich vor der Unterdrückung durch andere zu schützen. Das kann man der Geschichte der Juden – oder der Armenier, oder der Kurden, oder der Kosovo-Albaner, oder der Palästinenser – entnehmen. Umfragen deuten darauf hin, dass die große Mehrheit in jeder dieser Nationen einen eigenen Staat will. Und wenn die anderen vier, warum nicht die Juden?