Der Comic »Wir ­waren Charlie« von Luz

Charlie auf der Netzhaut

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Einerseits wurden die Zeichner von Politikern als Staatskünstler vereinnahmt, also von jenen, gegen die sie von Beginn an polemisiert hatten, andererseits wurden sie als rassistische Islamhasser verunglimpft, die sich mit ihren Karikaturen selbst zur Zielscheibe gemacht hätten. Diesem Zerrbild begegnet Luz mit seinem erstaunlich unaufgeregten Blick auf 23 Jahre Mitarbeit bei der Zeitung. Dabei kommen weder die Debatten über den Islam noch die Kontroverse über den Abdruck der Mohammed-Karikaturen 2006 oder der Brandanschlag auf die Redaktion 2011 vor. Es geht Luz nicht darum, ich zu ­erklären und redaktionelle Entscheidungen zu rechtfertigen oder erneut zu betonen, dass sich die Autoren des Blattes über ausnahmslos alle Religionen lustig gemacht haben. Luz rechtfertigt sich nicht, sondern ­rekonstruiert das politische Selbstverständnis der Zeitung, zu der Religionskritik ebenso gehört wie die Polemik gegen die Politik der Regierung oder der Spott über die neue Rechte in Europa.

Luz, Jahrgang 1972, stieß als 20jä­higer zu Charlie Hebdo. Die Satirezeitung hatte sich 1992 neu gegründet, nachdem sie 1981 eingestellt worden war. Pierre Bourdieu rühmte die erste Phase von Charlie Hebdo in seiner berühmten Studie »Die feinen Unterschiede« als Produkt der Gegenkultur, das »in journalistischer Verpackung die Erzeugnisse der intellektuellen Avantgarde« biete. Die Auflage des Magazins von der ­intellektuellen Avantgarde und für diese lag in den Neunzigern bei 60 000 bis 90 000 Exemplaren. Mit ein paar Zeichnungen im Rucksack war Luz 1992 aus der Provinz nach Paris gekommen, um sich bei verschiedenen Zeitungen als Karikaturist zu bewerben.

Das zufällige Treffen auf der Straße: Cabu lacht über eine Zeichnung von Luz.

Bild:
Reprodukt

Im Buch erzählt er von seiner schicksalhaften Begegnung mit dem Zeichner Cabu, dem er zufällig auf der Sraße begegnet war und den er mit einer Karikatur zum Lachen brachte. Der 1938 geborene Jean »Cabu« Cabut war zu dieser Zeit bereits ein bekannter Zeichner, den sogar die Eltern des jungen Rénald kannten. »Wir waren Charlie« hält sich nicht damit auf, politische Debatten innerhalb der Redaktion abzubilden. Eine linke, religionskritische, antinationale Position wird als selbstverständ­licher Grundkonsens aller Mitarbeiter der Zeitung dargestellt. Charlie Hebdo setzt sich Woche für Woche mit der Tagespolitik auseinander, angetrieben von der Hoffnung, wie sie stellvertretend der Zeichner Gébé formuliert: »Wenn nur ein Leser oder eine Leserin sich eine deiner Zeichnungen zu ­eigen macht, um die Welt zu verändern, dann bist du es, der die Welt verändert.«