Proteste in Indonesien

Widerstand gegen den Autoritarismus

In Indonesien gibt es derzeit die größten regierungskritischen Proteste seit dem Sturz des Diktators Suharto 1998. Sie richten sich unter anderem gegen rückschrittliche Gesetzesänderungen und Polizeigewalt.

Knapp einen Monat vor der Einführung in seine zweite und damit laut Ver­fassung letzte Amtszeit am 20. Oktober sieht sich Indonesiens Präsident Joko Widodo mit großen Protesten konfrontiert. Mehr als 10.000 Studierende ­demonstrierten am Dienstag vergangener Woche vor dem Parlamentsgebäude in Jakarta. In mehreren Städten versuchte die Polizei, die Demonstrationen mit Tränengas und Wasserwerfern aufzulösen. Am Montag gab es in Jakarta erneut große Proteste und Ausschreitungen. Bisher starben zwei Studenten, Hunderte wurden verletzt, weil die ­Polizei rabiat gegen sie vorging. Die Zahl der Festgenommenen beläuft sich auf über 500.

Die geplante Strafrechtsreform findet vor allem bei konservativen Muslimen Anklang. Sowohl für vor- als auch außerehelichen Sex sind mehrmonatige Gefängnisstrafen vorgesehen.

Die Protestierenden haben mehrere Forderungen: sofortige Maßnahmen gegen die vielen Waldbrände, die Beendigung von Polizeigewalt, die Rücknahme rückschrittlicher Gesetze, die Freilassung politischer Gefangener und die Aufarbeitung früherer Menschenrechtsverbrechen. Vor allem sorgte ein neues Gesetz für Unmut, das die Befugnisse der Antikorruptions­behörde (KPK) enorm einschränkt. Trotz vieler politischer Hindernisse erzielte die KPK, die bisher weitgehend unbeschränkt arbeitete, bemerkenswerte Ergebnisse. Seit ihrer Gründung 2002 wurden Hunderte korrupte Regierungsbeamte festgenommen und verurteilt, darunter auch hochrangige Richter, ein Parlamentssprecher und Gouver­neure. Stimmenkauf, Vorteilsnahme und Bestechung sind nach wie vor dringliche Probleme. Die Protestierenden riefen Joko Widodo dazu auf, ­mittels eines Notstandsdekrets das KPK-Gesetz aufzuhalten, was dieser ­jedoch bislang ablehnt. Ebenfalls für Protest sorgt der Entwurf für ein ­neues Strafgesetzbuch. Seit Jahren wurde an der dringend notwendigen Über­arbeitung des bisherigen gefeilt, nicht zuletzt weil viele Paragraphen noch aus der niederländischen Kolonialzeit stammen. Die jetzt vorliegende Version findet vor allem bei konservativen Muslimen Anklang. Rechte von Frauen und Minderheiten werden demnach beschnitten. Sowohl für vor- als auch außerehelichen Sex sind mehrmonatige Gefängnisstrafen vorgesehen.

Schwangerschaftsabbrüche sollen noch strenger verfolgt werden. Außerdem ist vorgesehen, grundlegende Rechte wie Rede- und Meinungsfreiheit einzuschränken, sowohl die Strafen für Blasphemie als auch für Landesverrat sollen verschärft werden. Die Beleidigung des Präsidenten, seines Stellvertreters, der Regierung oder anderer staatlicher Behörden soll strafrechtlich geahndet werden. Der Präsident forderte zwar das scheidende Parlament auf, mit der Verabschiedung des neuen Strafrechts zu warten, aber es ist damit zu rechnen, dass auch das neue Parlament, das in wenigen Wochen seine Arbeit aufnehmen soll, nicht anders entscheiden wird.

Während in den Städten protestiert wird, brennen Indonesiens Wälder, was auch in den Nachbarländern für Verärgerung sorgt. Vor allem in Kalimantan und Sumatra wird mit Brand­rodungen Platz für neue Palmölplan­tagen geschaffen. Über 2.000 Brände sind außer Kontrolle, die Rauchentwicklung verursacht Atemprobleme für Millionen Menschen. Da wirtschaftliches Wachstum eines von Widodos wichtigsten Zielen ist, wird wenig gegen die Brandstifter unternommen.

 

Ein noch größeres Problem als die erwähnten Proteste ist für den Präsidenten die Lage in der indonesischen Provinz Papua, dem östlichsten Teil des Landes, dessen Bevölkerung seit Jahrzehnten nach Unabhängigkeit von Indonesien strebt. Seit August hat es dort heftige Auseinandersetzungen gegeben. Anlass dafür waren rassistische Bemerkungen mehrerer indonesischer Politker. Sie hatten eine Gruppe papuanischer Studenten als »Affen« bezeichnet, nachdem diese die rot-weiße ­indonesische Staatsflagge von ihrem Studentenwohnheim in Surabaya auf Java unerlaubterweise entfernt hatten. Pünktlich zum indonesischen Unabhängigkeitstag am 17. August kursierte ein Foto mit der Aufschrift: »Wenn wir Affen sind, zwingt uns nicht, die rot-weiße Fahne zu hissen.« Die rassistischen Verunglimpfungen sorgten in mehreren Städten in ­Papua und anderen Teilen Indonesiens für mehr­tägige Demonstrationen, bei denen vielerorts auch die Morgensternflagge zu sehen war, das Symbol der papuanischen Unabhängigkeitsbewegung. Bei Zusammenstößen mit Ordnungskräften im August kamen zehn Menschen ums Leben, Hunderte Studierende wurden festgenommen.

Die Zahl der Polizisten an Ort und Stelle wurde weiter erhöht und die Berichterstattung für ausländische Journalisten erschwert. Bei erneuten Demonstrationen am Montag vergangener Woche kamen nach offiziellen Untersuchungen der Polizei 32 Menschen ums Leben. Bei den Protesten gingen auch zahlreiche Häuser und Geschäfte in Flammen auf, in denen sich noch Menschen aufhielten. Einige indonesische Beobachter beschuldigten papuanische Separatisten, mit den Ausschreitungen Aufmerksamkeit bei der Vollversammlung der Vereinten Nationen erregen zu wollen, die zur gleichen Zeit in New York City tagte.

Hunderte papuanische Studierende und Unabhängigkeitsbefürworter ­wurden festgenommen. Auch deren Sympathisanten wird das Leben schwergemacht. Surya Anta Ginting, der Pressesprecher der Indonesischen Volksfront für Westpapua (FRI-WP), wurde zusammen mit anderen Studierenden festgenommen; ihnen wird Landesverrat vorgeworfen. Veronica Koman, die als Anwältin das Westpapuanische Nationalkomitee und seine Unabhängigkeitsbestrebungen vertritt, wurde vorgeworfen, Proteste anzu­heizen und Falschmeldungen auf Twitter zu verbreiten. Daraufhin reiste sie nach Australien aus. Dem Filmemacher Dandhy Laksono wird wegen seiner Tweets über die Gewalt in Papua vorgeworfen, Hassreden zu verbreiten. Die vage formulierten Paragraphen 28 und 45 des Gesetzes über die elektronische Verbreitung von Informationen sind bereits wiederholt dazu genutzt worden, Kritiker mundtot zu machen. Nach Einschätzungen von Noory Okthariza vom indonesischen Centre for Strategic and International Studies »befindet sich Indonesien derzeit auf einem Tiefpunkt, was die Presse- und Meinungsfreiheit betrifft«.

Es ist unklar, inwieweit die Regierung auf die Forderungen der Studierenden eingehen wird. Nach wie vor hängt die Macht Widodos von der Unterstützung der alten Führungsschicht ab, darunter eine Reihe ehemaliger Generäle. 1998 hatten Massenproteste ­gegen die Herrschaft des damaligen Diktators Suharto, an denen sich auch zahlreiche Studierende beteiligten, dafür gesorgt, dass dieser abtreten musste. Doch viele ehemalige Weggefährten Suhartos und Unterstützer seines Regimes der »Neuen Ordnung« hielten sich auch über die Reformperiode hinweg an der Macht, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Straflosigkeit und der nicht erfolgten Aufarbeitung von Menschenrechtsverbrechen. Die derzeitigen Proteste sind die größten seit dem Sturz Suhartos. Sie könnten eskalieren, wenn Widodo keine Zugeständnisse macht; einige Beobachter befürchten, dass sie von extremistischen muslimischen Gruppen unterwandert werden.