Anarchistenhochburg in Athen

Exarchia soll sauber werden

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Achtung, Kontrolle

Ende August. Wagen der Verbrechensbekämpfungseinheit OPKE rasen von allen Seiten auf den Exarchia-Platz im Herzen des Viertels zu. Polizisten, vermummt und schwer bewaffnet, sprinten umher, nehmen Menschen in ­Gewahrsam. Minuten später ist der Spuk vorbei. Ein Grieche, der Stunden nach einer in Ingewahrsamnahme aufgrund mangelnder Beweise freigelassen wurde, berichtet später, von Beamten auf der Wache von Omonia geschlagen worden zu sein. Bis zu dreimal täglich geht die Polizei auf diese Weise gegen den Drogen- und Zigarettenhandel vor.

»Jeder kann mit seinem Körper machen, was er will, aber das, was hier passiert, wollen wir nicht in unserem Viertel.«

Ahrend sieht die Drogenrazzien entspannt. Er verkaufe nicht oft, er brauche nur sehr wenig Geld. Sobald etwas merkwürdig erscheine, stehe er gemächlich auf und bewege sich in eine der kleinen Gassen um den Platz. »Nicht rennen«, sagt er, das mache verdächtig. So seien zahlreiche Menschen und auch er beinahe in eine Falle der griechischen Polizei getappt: Die MAT scheuchte Geflüchtete auf, in einer Seitenstraße wartete die Festnahmeeinheit. Auch wenn abends Angriffe der Autonomen auf die Polizei stattfänden und die MAT ins Viertel komme, müsse er sich wie viele andere verstecken, um nicht festgenommen zu werden und wieder in die Mühlen des europäischen Asylsystems zu gelangen.

Lange wagte sich die Athener Polizei kaum ins Viertel. Aus verschiedenen Gründen suchen Menschen in Exarchia Rückzug: Sie fliehen aus anderen Athener Problemvierteln wie Viktoria, ver­suchen, sich der Registrierung in Griechenland zu entziehen, oder verbergen sich, weil ihr Asylantrag bereits anderswo abgelehnt wurde. In besetzten Häusern, im Park auf dem Hügel über dem Viertel und auf der Straße leben Hunderte Menschen. Es gibt zahlreiche solidarische Angebote, Anlaufstellen und Unterstützung für Geflüchtete. Beim Verlassen des Viertels droht aber der Zugriff des Staats. So wird für manche der Freiraum zum Freiluftgefängnis, auch für Ahrend. Er habe Exarchia in den vergangenen Monaten kaum verlassen. Die Tage verbringt er auf dem Exarchia-Platz, die Nächte in einem geknackten Auto oder manchmal in einem besetzten Haus.

Polizeieinsätze und Razzien gehören in Exarchia mittlerweile zum Alltag.

Bild:
Michael Trammer

Aus mehreren Gründen, so sagt er, fühle er sich dort allerdings nicht mehr wohl. Für viele Geflüchtete ist Athen nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein anderes Land. Bei einem offenen Hausplenum in einem der besetzten Häuser werden die Probleme schnell deutlich: Es kommt zu Diebstählen, die Bewohner sehen die Unterkunft eher als Serviceleistung und als Zwischenstopp. Politisches Zusammenleben ist für viele neu und muss erst erlernt werden. Wegen des steigenden staatlichen Repressionsdrucks häufen sich Konflikte zwischen den Bewohnern. Für viele Geflüchtete ist es aufgrund ihres prekären Aufenthaltsstatus sehr gefährlich, sich an der Verteidigung der besetzten Häuser beteiligen. Weil ihnen nicht klar ist, dass Polizeirazzien drohen, schließen manche die Türen nicht richtig ab.