Anarchistenhochburg in Athen

Exarchia soll sauber werden

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Stress mit der Mafia

Der Exarchia-Platz ist mittlerweile zum Drogenumschlagplatz geworden. Früher drängten sich hier abends Aktivisten, Künstler und Geflüchtete. Auch damals wurden Drogen konsumiert, doch stand dies nicht im Vor­dergrund – die Menschen spielten Musik, sangen, lachten, tanzten. Das ist vorbei, der Platz hat sich geleert, für viele ist der Drogenverkauf zur Hauptbeschäftigung geworden. Die populäre braune Grassorte heißt »Albanico«. Es gibt das Gerücht, ein Mann wache hier für die albanische Mafia. Mit gutem Überblick beobachte er täglich das Treiben auf dem Platz, tauche aber immer erst nach den Razzien der Spezialeinheit auf. Die albanische Mafia gilt als eines der am weitesten entwickelten in Clanstrukturen operierenden kriminellen Netzwerke der Welt. In Gesprächen mit Anwohnerinnen und Anwohnern wird deutlich: Sie vermuten, es gebe eine Verbindung zwischen der organisierten Kriminalität und der neuen Regierung.

Immer wieder enden Auseinandersetzungen mit der Mafia tödlich. 2017 wurde ein Algerier auf offener Straße, nur wenige hundert Meter vom Exarchia-Platz entfernt, von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Wegen solcher Verbrechen ist für viele Autonome neben der Polizei die organisierte Kriminalität der Hauptfeind im Viertel.

12. September: Eine anarchistische Gruppe hält eine Kundgebung ab und verjagt Dealer mit dicken Fahnenstangen, die sie als Knüppel benutzt. Eine Tüte mit Gras, die am Boden lag, wird verbrannt. Die Mitglieder der Gruppe hängen ein Banner auf mit der Aufschrift: »Gegen die Narco-Mafia, den sozialen Kannibalismus und staatliche Repression. Der Kampf um ein Exarchia der sozialen Selbstorganisation und Klassensolidarität.« Leider steht die Botschaft auf dem Banner nur auf Griechisch und somit nur für die wenigsten Dealer lesbar.

Zugriff in Exarchia. Die Polizei nimmt einen mutmaßlichen Dealer fest.

Bild:
Michael Trammer

Auch Ahrend muss den Platz verlassen. Wie die Polizei Stunden zuvor indentifizierten die Mitglieder der Gruppe mutmaßliche Dealer anhand der Hautfarbe. »Wir sind die Situation leid«, sagt der Aktivist Alexis*. »Jeder kann mit seinem Körper machen, was er will, aber das, was hier passiert, wollen wir nicht in unserem Viertel.«

Die organisierte Kriminalität sieht im politischen Freiraum, der mit Molotow-Cocktails und Straßenschlachten erkämpft wurde, ein profitables Geschäftsfeld. Die Regierung Mitsotakis wiederum nutzt die Situation als Vorwand für häufige Polizeieinsätze. Das Ziel dieser Razzien sind beinahe immer people of color. Sie treffen vor allem diejenigen, die dealen, um zu überleben. Für einige Geflüchtete ist der Verkauf von Drogen die einzige Möglichkeit, sich den staatlichen Internierungszentren zu entziehen. Mancher sieht auch in einem Asylverfahren keine Chance. Meist stehen um die 30 Dealer auf dem Platz. Die Gruppen sind nach Herkunftsländern organisiert. Wer über den Platz geht, dem wird in kürzester Zeit schlechtes Gras zu einem hohen Preis angeboten. Die Kunden der Dealer sind meist Touristinnen und Touristen.